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Debatte SicherungsverwahrungKultur des Wegschließens

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Regierung hat bei der Gesetzesreform keine Vorkehrungen gegen Missbrauch getroffen. Nun müssen es Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht wieder hinbiegen.

Haftstrafe oder Sicherungsverwahrung? Die Aussicht ist die gleiche. Bild: AndreasF. / photocase.com

D ie Sicherungsverwahrung droht zu einer Standardmaßnahme der deutschen Kriminalpolitik zu werden. Schon seit 1998 stieg die Zahl der Verwahrten um mehr als 160 Prozent auf heute über 520 Personen. Ausgerechnet die Reform der liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger befördert die Ausweitung.

Die Zahl der Betroffenen könnte sich mittelfristig auf einige tausend vervielfachen. Sicherungsverwahrung, das ist die massivste präventive Maßnahme des Staates. Hier werden Menschen, die zum Teil abscheuliche Verbrechen begangen haben, auch nach Verbüßung der Strafe nicht aus der Haft entlassen. Vielmehr bleiben sie vorsorglich weiter weggesperrt, bis sie nicht mehr als gefährlich gelten.

Ewig schuldige Sexualtäter

Die Reform dieser Haft nach der Haft hat zwei Teile und zwei Anlässe. Zum einen will die Regierung verhindern, dass mehr als hundert Verwahrte kurzfristig entlassen werden müssen. Diese können sich auf ein Urteil des Straßburger Gerichtshofs für Menschenrechte berufen, doch mithilfe einer neuen Begründung sollen viele von ihnen weiter hinter Gittern bleiben.

Die Diskussion über dieses heikle Manöver hat in den letzten Monaten den Blick auf die eigentliche Reform der Sicherungsverwahrung verstellt. Sie wäre aber ohnehin gekommen, denn sie setzt eine Vorgabe des schwarz-gelben Koalitionsvertrags um. Geplant ist, die Sicherungsverwahrung künftig auf Gewalt- und Sexualstraftäter zu konzentrieren.

Bild: taz

CHRISTIAN RATH ist Journalist und promovierter Jurist. Er lebt in Freiburg und schreibt als rechtspolitischer Korrespondent unter anderem für die taz.

Notorische Einbrecher, Betrüger und Heiratsschwindler, die heute noch 7 Prozent der Verwahrten ausmachen, sollen nicht mehr vorsorglich weggesperrt werden können. Die Sicherungsverwahrung darf dann auch nicht mehr nachträglich - also erst in der Haft - verhängt werden. Hier kommt die Bundesregierung einem erneuten Urteil des Straßburger Gerichtshofs zuvor.

Kern der Reform ist jedoch die deutliche Ausweitung der sogenannten vorbehaltenen Sicherungsverwahrung. Bei ihr wird die Verwahrung im Strafurteil noch nicht verhängt, sondern nur angedroht. Die eigentliche Entscheidung fällt am Ende der Strafhaft. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gibt es zwar schon seit 2004, aufgrund restriktiver Vorgaben spielt sie bisher aber keine große Rolle.

Künftig soll sie jedoch schon über Ersttäter verhängt werden können, und ein Hang zu Straftaten muss nicht mehr nachgewiesen werden. Das ist durchaus konsequent. Denn wenn sich die Sicherungsverwahrung zu Recht auf Gewalt- und Sexualtäter fokussiert, will niemand auf den x-ten Rückfall warten, bevor die Bevölkerung geschützt werden kann.

Verwahrung überstrapaziert

Nun besteht aber umgekehrt die Gefahr, dass aufgrund eines verhängnisvollen Automatismus viel zu viele Menschen in Sicherungsverwahrung landen. Künftig dürfte die Verwahrung bei schweren Gewalt- und Sexualtaten im Urteil fast schon routinemäßig vorbehalten werden - es ist ja noch keine endgültige Entscheidung … Wenn dann aber nach Verbüßung der Haftstrafe geprüft wird, ob die Sicherungsverwahrung wirklich angeordnet wird, hängt dem Straftäter schon das Etikett des potenziellen Rückfalltäters an, das er kaum noch loswird. Die Zahl der Verwahrten könnte so geradezu inflationär steigen.

Denn wie soll ein Straftäter beweisen, dass er doch nicht gefährlich ist? Unter den hochreglementierten Umständen der Strafhaft ist das kaum möglich, darin sind sich Experten einig. Erforderlich sind Vollzugslockerungen wie Hafturlaub oder die Verlegung in den offenen Vollzug, bei denen sich der Gefangene bewähren kann.

Es ist aber sehr zweifelhaft, ob man Vorbehaltsgefangenen solche Lockerungen der Vollzugspraxis überhaupt zugestehen wird. Viele Anstaltsleiter werden dies gerade mit Verweis auf die erhöhte Gefährlichkeit verweigern. Hier wäre eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll gewesen, dass auch Gefangene mit Verwahrungsvorbehalt grundsätzlich einen Anspruch auf Haftlockerungen haben. Leider hat die Bundesregierung darauf verzichtet.

Therapie als letzte Chance

Immerhin könnte ein Gefangener am Ende der Haft noch geltend machen, dass er erfolgreich an einer Therapie teilgenommen hat und nun nicht mehr gefährlich ist. So kann der Gefangene sogar hinter Gittern aktiv etwas tun, um die angedrohte Sicherungsverwahrung noch abzuwenden. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wer eine Therapie verweigert oder abbricht, was nicht selten ist, gilt schnell als besonders rückfallgefährdet und wird der Sicherungsverwahrung kaum entgehen. "Selbst schuld", könnte man sagen.

Doch ein Staat, der sich vorbehält, Menschen vorsorglich wegzuschließen, muss vorher alles versuchen, genau dies zu verhindern. Er muss den Betroffenen weit entgegenkommen, etwa indem er einem Gefangenen, der sich mit dem Gefängnistherapeuten überworfen hat, einen externen Therapeuten anbietet.

Und ein Gefangener, der sich für unschuldig hält, wird zwar meist die Aufarbeitung der bestrittenen Tat verweigern, kann sich aber vielleicht auf eine Behandlung einlassen, in der er die Kontrolle über seine Aggressionen lernt. Am besten wäre deshalb ein Therapieanspruch für alle Vorbehaltsgefangenen gewesen, doch auch dies fehlt im Reformgesetz.

Der Gesetzgeber setzt ganz darauf, dass Gutachter und Gerichte mit dem neuen Instrumentarium verantwortungsvoll umgehen werden. Doch ist dies wahrscheinlich in einer gesellschaftlichen Stimmung, die von größtmöglicher Risikovermeidung geprägt ist? Gerade bei Rückfalltätern wird heute immer bohrender nachgefragt, ob der Rückfall nicht vermeidbar gewesen wäre. Und im Nachhinein ist man ja immer schlauer. Welcher Richter, welcher Sachverständige wird da einem Straftäter mit vorbehaltener Sicherungsverwahrung eine Chance geben, wenn er im Fall des Scheiterns von den Boulevardmedien an den Pranger gestellt wird?

Der Gesetzgeber hat wenig gegen die Gefahr getan, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausufert. Jetzt müssen wieder Bundesgerichtshof und Verfassungsgericht die Kohlen aus dem Feuer holen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

3 Kommentare

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  • J
    Jengre

    Wir reden hier von Vergewaltigern. Vergewaltigung ist eine Tat, die Opfer durch das Erlebnis totaler Verdinglichung, Mißachtung, Demütigung und Entwertung schwerer und nachhaltiger traumatisiert als jede andere Gewalttat. Entsprechende Signale, die das Opfer verzweifelt aussendet, könnten die meisten Männer nicht mißachten. Die wenigsten Männer sind zu einer Vergewaltigung fähig. Verwaltiger wissen, was für schweres Unrecht sie tun, und die Authentizität späterer "Einsicht" ist nicht ohne weiteres anzunehmen. Nicht zuletzt deshalb ist die Anzahl an Wiederholungstaten hoch. Fazit: Auch die Würde des nächsten Opfers ist unantastbar, insofern ist der perfekte Schutz des Täters vor den Konsequenzen seiner Tat wohl nicht immer möglich...

  • L
    linsenspaeller

    Man wird es ja sehen, wohin sich das entwickelt und was bei eventuellen Klagen von Betroffenen vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte herauskommt. Ich halte es auch für zu früh, die Gespenster der vorbeugenden Strafverfolgung, wie wir sie in früheren Epochen deutscher Gerichtsbarkeit hatten, an die Wand zu malen. Aber es wird auf jeden Fall schwieriger werden, sich von jenen Zeiten und Juristen zu distanzieren. Ich bin nicht sicher, ob das alle schon begriffen haben.

     

    Wenn derzeit ein Alkoholiker oder ein Junkie einen Mordversuch unternimmt, bekommt er eine verminderte Schuldfähigkeit und kann nach einigen Monaten Zwangsunterbringung mit erfolgter Entziehungskur lustig und erholt ins zivile Leben, eventuell in die alte Szene zurückkehren. Begeht er den selben Mordversuch nüchtern, landet er mit etwas Pech, z.B Frechwerden beim Psychologen usw. lebenslang in der Sicherungsverwahrung. Ist er ebenfalls nüchtern, gehört aber als kleiner Provinzfunktionär oder Mandatsträger der einen bestimmten, oder auch anderen Partei an, manövriert er sich unter Freunden mit etwas Glück an jeglicher Anklage vorbei. Es ist ein offenes Geheimnis, daß in manchen Polizeiinspektionen oder sogar -direktionen bei Kenntnis von solchen Fällen die Gardinen zugezogen und die Rollos herunter gelassen werden. Und ich vermute, daß das nur die Spitze des Eisbergs ist. Es fehlen eigentlich jetzt nur noch die privatisierten Strafanstalten nach amerikanischem Vorbild, wo die Eigner den Richtern Trinkgelder bezahlen, damit bestimmte Leute länger am isolierten Gemeinwesen teilhaben als andere.

  • A
    AntonGorodezky

    Der arme, arme Straftäter - durch einen dummen Zufall, an dem er selbst völlig unschuldig ist hat er jemanden vergewaltigt und/oder körperverletzt und jetzt haftet ihm der Geruch eines Kriminellen an. Was können wir da nur tun?

     

    Bei dieser ganzen Sicherheitsverwahrung steht man doch vor einem Dilemma - einerseits ist es Ziel des Strafvollzugs, die Straftäter wieder in die Gesellschaft zu integrieren, andererseits will man die Bevölkerung schützen. Handhabt man die Sicherheitsverwahrung zu lasch, gefährdet man die Bevölkerung, die sich nichts zu Schulden kommen ließ. Handhabt man sie zu straff, läuft man Gefahr, jemanden für den Rest seines Lebens einzusperren, der eigentlich gefahrlos entlassen werden könnte.

     

    Ganz ehrlich, da gehe ich lieber das Risiko ein, einen Straftäter zu lange einzusperren, der seine Strafe verbüßt hat als aus Versehen einen gefährlichen Straftäter freizulassen.

     

    Vollkommen widerspruchsfrei wird man das Dilemma ohnehin nicht lösen können (jedenfalls nicht zur Zeit) - und da lasse ich dann doch lieber diejenigen dafür die Zeche zahlen, die schon Verbrechen begangen haben.