Debatte Schwarz-grün: Grüne sind immer noch links

Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg wird möglich, gerade weil die Grünen eine linke Partei sind: Die Union will von der moralischen Integrität ihrer neuen Partner profitieren.

Sind die Grünen jetzt rechts, weil sie mit der CDU koalieren? Längst eine Öko-FDP ohne sozialen Verstand? Aber nein. Sofern man das Links-rechts-Schema aufs Parlament anwenden möchte, sollten die Grünen weiterhin an ihrem Anspruch gemessen werden, eine in sich demokratische, soziale und ökologische Partei - also links zu sein.

Diese Vermutung entspricht natürlich vor allem dem romantischen Selbstbild der meisten Grünen und ihrer Wähler. Doch empfinden es nicht nur die Grünen als dramatische Frage, ob und wie die Partei in Hamburg mit der CDU, vielleicht bald im Bund mit Union und FDP koalieren kann, ohne ihre Identität zu verlieren. Über die Parteigrenzen hinweg wird den Grünen eine linke, moralische Integrität zugesprochen. Dies befeuert nun die allgemeine Erregung über ein "schwarz-grünes Projekt".

Auch und gerade Rechtsliberale sind von dieser Aufregung infiziert: Sie werden nicht nur vom Wunsch getrieben, dass die Grünen der CDU (plus FDP) zur Regierungsmehrheit verhelfen sollen. Sie hoffen zugleich, dass die neuen Partner den verwaschenen Konservatismus und langweiligen Arbeitgeberlobbyismus der CDU politkulturell aufzuwerten vermögen.

Diese Hoffnung der Union ist nicht abwegig. Ihre Bürgerlichkeit macht die Grünen CDU-kompatibel. Doch ist es eben ausgerechnet der klassische bürgerliche Idealismus, der den linken Kern der Partei ausmacht. Grüne haben Geld und Bildung. Dennoch machen sie das Abgeben zum Programm: in der Gemeinschaftsschule, in der Bürgerversicherung, beim Klimaschutz. Die Uneigennützigkeit ist der lebendige Funke der Grünen, er macht sie auch in den Augen Andersdenkender erst besonders.

Links daran ist, die Interessen der Bessergestellten gesetzlich zur Disposition zu stellen - auch wenn es tatsächlich etwas kostet, also Umverteilung bedeutet. Die Bürgerversicherung würde die Gutverdiener in ein Sozialsystem mit dem Rest der Gesellschaft zwingen. Klimaschutz würde das Recht auf Ressourcenverwendung gerechter verteilen. Die Gemeinschaftsschule würde Arbeiter- und Migrantenkindern faire Chancen geben.

Es ist außerdem nicht wahr, dass das Zeitalter des Postmaterialismus vorbei und mit der alten Westbundesrepublik untergegangen sei. Das Bedürfnis, um des eigenen Heils willen nicht nur das Kleingeld in Spendendosen zu werfen, sondern eine neue Politik zu fordern, mag insgesamt nachgelassen haben. Doch allein schon die wachsende Ungleichheit in Deutschland und die Folgen des Klimawandels werden dafür sorgen, dass weiterhin die Kinder von Gutverdienern für mehr Gerechtigkeit in die Welt ziehen.

Deshalb sind die Grünen auch kein Generationenprojekt - jedenfalls nicht mehr, als Parteibindung generell ein Generationenprojekt ist. Die Population aller Parteien altert, doch immerhin haben die Grünen mit knapp 30 Prozent unter 40-jährigen Mitgliedern mehr junge Leute als die anderen.

Wahr ist, dass der linke Kern nach sieben Jahren Rot-Grün nicht immer erkennbar ist. Die Regierungsbeteiligung hat die Grünen unendlich geschwächt, und seit 2005 konnten sie sich nicht regenerieren. Das Führungspersonal hat die relative Muße der Opposition vor allem für internes Machtgezerre genutzt. Die Bundestagsfraktion schafft es nicht, sich im großkoalitionären Getöse bemerkbar zu machen. Aus den Landesverbänden kommt wenig Stoff, aus dem sich Bundespolitik stricken lässt. Schon das Problem, den Bundesvorsitz neu zu besetzen, spricht für sich.

In der Koalition mit Gerhard Schröder haben die Grünen entsetzliche Fehler gemacht. Sie haben sich von der SPD in der gesamten Sozialpolitik schlicht platt trampeln lassen - nicht zuletzt, weil Joschka Fischer sich dafür nicht interessierte. In Arbeitsmarkt-, Renten- und Gesundheitspolitik hatten die Grünen über Jahre entweder unfähige oder nicht durchsetzungsfähige Leute am Start. Auf Parteitagen über die Bürgerversicherung zu debattieren, im Alltagsgeschäft aber erst aufzuwachen, wenn der Absatz der süddeutschen Homöopathie-Hersteller bedroht ist, reicht eben nicht.

Aus demselben Grund werden die Grünen nun auch vom Thema Altersarmut von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt - sie haben bei Walter Riesters, Ulla Schmidts und Franz Münteferings Rentenreformen schlicht nicht mitgerechnet. Das Greinen der Gewerkschaften fanden sie blöd. Man habe damals halt "in ideologischen Gräben gesessen", formuliert der scheidende Bundesvorsitzende Reinhard Bütikofer heute. Sachverstand hätte da bestimmt geholfen.

Durchsichtig ist auch der Versuch, sich jetzt mit dem Mindestlohn zu profilieren, den die Grünen noch kürzlich unter linkem Populismus verbuchten. Oh ja, zu rot-grünen Zeiten hielten die Grünen den freien Fall der Löhne für eine sinnvolle Ausweitung des Niedriglohnsektors.

Doch sind die Grünen durch die unrühmlichen rot-grünen Jahre nicht zu einer rechten Partei geworden. Die Basis nutzt seit 2005 jeden Parteitag, das Programm nach links zu zerren und so die Funktionäre zur Abkehr vom Agenda-Kurs zu zwingen. Gegen die Steuersenkerfront um Finanzfrau Christine Scheel treten jetzt die Neoumverteiler um Gerhard Schick und Wolfgang Strengmann-Kuhn an. Mit dem "Ökobonus", der die soziale mit der ökologischen Frage verbinden soll, werden sie sich möglicherweise nicht durchsetzen - mit dem Anspruch, den Besserverdienenden kein weiteres Geld zu schenken, schon.

Scheel und Freunde ahnen bereits, dass die Strategie, der Basis Raum nach links zu geben, um gleichzeitig an der Spitze machttaktisch nach rechts zu steuern, sich bald rächen könnte. "Die Republik braucht keine dritte linke Partei", sagen sie. Mit ungefähr derselben Berechtigung ließe sich allerdings behaupten, dass die Republik auch keine fünfte rechte Partei braucht (sofern man CSU und CDU getrennt zählt und davon ausgeht, dass die SPD-Linke sich bis auf Weiteres nicht durchsetzt).

Denn auch durch das Hamburger schwarz-grüne Bündnis werden die Grünen zu keiner rechten Partei. Gegenwärtig sieht es so aus, als hätten sie in den Verhandlungen mit der CDU einiges durchgesetzt. Schafft Schwarz-Grün in Hamburg jetzt tatsächlich mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancen für Migranten mit jedwedem Rechtsstatus, darf das als linke Politik gelten - dann eben mit der CDU.

Letztlich entscheiden wird sich aber die Frage nach dem solidarischen, also linken Kern der Grünen in der nächsten Koalition auf Bundesebene - ob nun mit CDU oder SPD. Versagen sie dann erneut in der Renten-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik, schrumpfen die Grünen zu einer randständigen Ökomarkttruppe zusammen. Die bis dahin modernisierte Linkspartei wird die linke Hoheit über die Sozialthemen übernehmen. Diejenigen, die den Grünen heute schon den Idealismus absprechen, werden dies begrüßen. Wer heute bei den Grünen den Idealismus noch erkennt, hat dann eine andere Wahl.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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