Debatte Schlecker: Neustart in Mitarbeiterhand
Die insolvente Drogeriekette Schlecker müsste nicht zerschlagen werden, denn es gibt eine bessere Lösung. Ein Plädoyer für Belegschaftseigentum.
D er Fall Schlecker zeigt einmal mehr das „Wolfsgesetz“ der kapitalistischen Konkurrenz: Hier hat es sogar dem nach Umsatz zweitgrößten Unternehmen einer Branche den Garaus gemacht. Auf dem hart umkämpften Drogeriemarkt reichte am Ende auch das pervertierte „Geschäftsmodell“ der doppelten Ausbeutung von Beschäftigten und Lieferanten nicht mehr. Der Familienkonzern musste Insolvenz anmelden.
Das Eigenkapital des Unternehmens war durch aufgelaufene Verluste aufgebraucht. Zuvor hatte die Familie Schlecker allerdings per jahrelange Gewinnausschüttung ein beachtliches Vermögen privat akkumuliert. Das Geld will man jetzt zur Krisenbehebung nicht wieder ins Unternehmen reinvestieren. Vielmehr sollen über 10.000 Beschäftigte, überwiegend Frauen, ihre Arbeit verlieren, und das Unternehmen soll zerschlagen werden. Nur durch eine Massenentlassung sei ein Weiterleben des Restkonzerns möglich.
Sicher werden auch noch Fremdkapitalgeber wie zum Beispiel Banken und Lieferanten zur Kasse gebeten werden – wie bei jeder Insolvenz. Und auch der Ruf nach dem Staat ist bereits ertönt. Großunternehmen genießen eben, im Gegensatz zu kleinen und mittleren Firmen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und damit auch der Politik. So wird im Fall Schlecker abermals über eine Transfergesellschaft diskutiert, in der die Entlassenen aufgefangen werden sollen – unterstützt vom Staat, was den Steuerzahler Millionen kosten wird.
Mickriger Sozialplan
Eine wirkliche Hilfe ist dies aber genauso wenig wie ein mickriger Sozialplan. Die meisten der in eine Transfergesellschaft überführten Beschäftigten werden nach einem Jahr keine neue Arbeit gefunden haben. Ihnen droht in Anbetracht der schlechten Arbeitsmarktlage für Verkäuferinnen dann die Erwerbslosigkeit. So müssen am Ende für die Krise des Unternehmens wirklich nur die haften, die sie nicht verursacht haben.
Bei Schlecker wurden am Dienstag die ersten Kündigungen ausgesprochen. „Wir haben die Listen mit den zu entlassenden Mitarbeitern erhalten“, sagte Grit Walz, Betriebsrätin im Bezirk Baden-Baden. Die ersten Mitarbeiter seien schon informiert worden. Daneben laufen jetzt die Vorbereitungen für Auffanggesellschaften, in denen die Betroffenen weiterqualifiziert werden können, ohne in die Arbeitslosigkeit zu rutschen – obwohl die Finanzierung noch nicht steht. Laut ver.di-Verhandlungsführer Bernhard Franke sollen sie schon in dieser Woche die Arbeit aufnehmen. Sie sollen vorbereitende Gespräche führen und ein Profil der zu betreuenden Mitarbeiter erstellen. (dapd)
Statt wie geplant die Schlecker-Reste an neue private Investoren zu verkaufen, wäre jedoch eine weit bessere Lösung möglich: die staatlich flankierte Übernahme des Unternehmens in Belegschaftseigentum zu einem symbolischen Preis von einem Euro.
Für ein Unternehmen in der Hand der Belegschaft sind dann verschiedene Formen vorstellbar. Ein „Mitarbeiter-Schlecker“ könnte als Aktiengesellschaft, GmbH oder Genossenschaft organisiert werden. Die Belegschaft hätte die Möglichkeit, in einem Gesellschaftsvertrag über die derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen der Mitbestimmung hinaus jede nur denkbare Form der demokratischen Kontrolle und Entscheidungsfindung festzuschreiben.
hat als Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie gearbeitet und ist heute Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Er gehört der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik an.
Aus der Rettung in der Not würde so ein wichtiger Schritt auf Neuland: Die Beschäftigten könnten sich eine eigene Führungsmannschaft wählen, sie könnten uneingeschränkt mitbestimmen über die Geschäftspolitik und die Strategie, über Investitionen und Gewinnverwendung. Und sie könnten für „gute Arbeit“ im Unternehmen sorgen und damit für mehr Produktivität und Effizienz.
Größtes Kapital der Firma
Denn keiner kennt ein Unternehmen – seine Stärken und Schwächen wie auch die Erwartungen der Kunden – so gut wie die Beschäftigten. Sie sind das größte Kapital jeder Firma. Ihr Einsatz, ihre Erfahrung und ihr Sachverstand käme dem Unternehmen noch mehr zugute, wenn sie sich mit ihm identifizieren könnten: als Eigentümer, die nicht nur mit einem Lohn abgespeist werden, sondern denen der Gewinn selbst gehört.
Wichtig auf dem Weg zum Belegschaftseigentum wären allerdings zwei Dinge: Kein Schlecker-Mitarbeiter dürfte entlassen werden, sonst käme es zu einer Entsolidarisierung. Und das wäre keine gute Voraussetzung für einen Neustart in Mitarbeiterhand. Zudem müsste das insolvente Unternehmen vollständig entschuldet und mit neuem Eigenkapital ausgestattet werden.
Dieses Kapital können die bisher schlecht bezahlten Beschäftigten natürlich nicht aufbringen. Deshalb muss der Staat mit einer Subvention einspringen, was zwar viele Vorurteile wecken würde, aber gesamtwirtschaftlich gerechtfertigt ist: Erstens bräuchte die Gesellschaft keine Arbeitslosen zu alimentieren. Zweitens entstünden keine Sozialplankosten, und es würde drittens weder zu Mindereinnahmen der Sozialversicherungssysteme kommen noch würden, viertens, die Lohnsteuerzahlungen sinken.
Gefährliches Duopol droht
Ein fünfter Vorteil wäre: Es würde zu keiner weiteren Marktkonzentration kommen. Das ist keine Nebensache, denn werden die Schlecker-Reste an private Investoren verkauft, droht ein gefährliches Duopol der Schlecker-Konkurrenten dm-drogerie-markt und Rossmann. Eine solche Konzentration würden nicht nur die Kunden in Kürze durch höhere Preise zu spüren bekommen: Betroffen wären auch die Lieferanten, die einer noch größeren Nachfragemacht der Duopolisten ausgesetzt wären, die wiederum so ihre Gewinne noch beträchtlich steigern könnten, was mit abermals wachsender Marktmacht einhergehen würde.
Es würden freilich Probleme bleiben, die mit einer Überführung Schleckers in Belegschaftseigentum allein nicht zu beseitigen sind. Dazu gehört als Erstes das marktwirtschaftliche Konkurrenzprinzip, das mit einem verschärften Wettbewerbsrecht eingedämmt werden sollte. Zudem bräuchte man eine branchenbezogene verteilungsneutrale Tarifpolitik, die für ausgeglichene Verteilungsverhältnisse in Deutschland sorgt. Nur so ist auch eine nachhaltige Entwicklung im Einzelhandel möglich.
Der heute herrschende Verdrängungswettbewerb zum angeblichen Vorteil der Verbraucher ist in Wahrheit zerstörerisch. Dazu haben allgemein gigantische Umverteilungen des Volkseinkommens von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen wie auch speziell im Einzelhandel die Lockerungen des Rabatt- und Ladenschlussgesetzes kontraproduktiv beigetragen. Würde es gelingen, diesen destruktiven Rahmen durch eine antineoliberale Wirtschaftspolitik zu berichtigen, könnte auch das Belegschaftseigentum seine vollen positiven Wirkungen entfalten. Nicht nur im Fall Schlecker.
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