Debatte Sarrazin in den Medien: Die Freiheit, die sie meinen
"Meinungsfreiheit" ist zu einem rechten Kampfbegriff geworden. Das Motto lautet: Wer meine Meinung nicht teilt, der beschneidet meine Meinungsfreiheit. Hä? Wie krank ist das denn?
W enn die Bild-Zeitung eine Kampagne lostritt, dann darf die FAZ nicht abseits stehen. "Bild kämpft für Meinungsfreiheit", hatte das Zentralorgan des gesunden Volksempfindens unlängst getitelt und in großen Lettern rausgeschrien: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen." Auch FAZ-Chef Frank Schirrmacher, an sich kein Freund der Sarrazinschen Thesen, griff wenig später zu dieser Catch-Phrase: Es gehe, so schrieb er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, "bei der Sarrazin-Debatte im Kern mittlerweile um nichts anderes als die Meinungsfreiheit".
So sieht man das also bei Bild, bei der FAZ und in den Landtagsfraktionen der NPD. Und auch in linksliberalen Kreisen fällt das Argument, dass Thilo Sarrazins "Meinungsfreiheit" beschnitten worden sei, auf fruchtbaren Boden. Das Wort "Meinungsfreiheit" ist zu einem Kampfbegriff geworden.
Frank Schirrmacher insinuiert, dass zur Meinungsfreiheit nicht nur die Freiheit gehöre, sich öffentlich zu äußern - sondern auch noch das Recht, substanziell diskutiert zu werden (ein Recht, das die Kanzlerin offenbar allein schon durch ihre bockige Nichtlektüre des Sarrazinschen Buchs beschnitten habe). Das ist, für sich genommen, schon eine etwas drollige These. Nur: Mit Meinungsfreiheit hat sie nichts zu tun.
Das Dieter-Bohlen-Prinzip
Es gibt wohl nur wenige, die in den vergangenen Jahren ihre Meinung mit derartiger medialer Unterstützung unters Volk bringen konnten wie Thilo Sarrazin. Niemand will ihm dieses Recht nehmen. Nun aber lautet der Einwand: Wer so rede wie er, der sei "öffentlicher Stigmatisierung" ausgesetzt. Öffentliche Stigmatisierung? Worin genau soll die bestehen? Darin, dass ein Teil der Bevölkerung seine Thesen scharf ablehnt - während sie von einem ebenso großen Teil unterstützt werden? Nun ist mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung keineswegs die Verpflichtung verbunden, jemanden deshalb lieben zu müssen. Zur Meinungsfreiheit gehört auch das Recht, eine ausgesprochen schlechte Meinung von Herrn Sarrazin zu haben. Wer sich so massiv aus dem Fenster lehnt wie er, dem fliegen eben nicht nur Sympathien zu: Das ist bei Dieter Bohlen ganz ähnlich.
Zur Meinungsfreiheit gehört auch nicht das Recht, jeden Job behalten zu dürfen. Es gibt nun einmal ein paar berufliche Stellungen, für die ein besonderes Seriositäts-, Neutralitäts- und Unparteilichkeitsgebot besteht. Jeder, der solche Jobs annimmt, weiß, dass er sich damit die Pflicht zur Zurückhaltung auferlegt. Er kann sich vorher überlegen, ob ihm dieser Job mehr wert ist als die Freiheit, provokant, bissig und verletzend zu argumentieren.
Unfähig zur Unterscheidung?
Wenn ich gerne Polemik à la Glenn Beck betreibe, werde ich selbstverständlich keine Stellung als Spitzenfunktionär eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders übernehmen, bei dem das "Objektivitätsgebot" die Geschäftsgrundlage ist. Wenn ich gerne völlig losgelöst von allen guten Sitten die steilsten Thesen herausposaune, werde ich auch besser nicht Regierungssprecher. Oder: Es ist schwer vereinbar, "beruflich" der Pressesprecher eines Pelzhandelsunternehmens und "privat" auch noch Sprecher des Tierschutzvereins "Vier Pfoten" zu sein. Es gibt viele berufliche Stellen, bei denen ich mich - am besten noch bevor ich sie antrete - mit der Frage auseinandersetze, ob ich die damit verbundenen Restriktionen auf mich nehmen will. Das ist die freie Entscheidung eines jeden Einzelnen - und keine Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Doch kaum geht es um irgendwelche rechtspopulistischen "Meinungen", wird dieser Begriff von interessierter Seite ins Spiel gebracht - und damit jede Unterscheidungsfähigkeit fahren gelassen. Aber Unterscheidungsfähigkeit ist eine der wichtigsten Kompetenzen in öffentlichen Debatten. Wenn jemand fragwürdige Karikaturen zeichnet und dann mit dem Tode bedroht wird, dann ist dessen Meinungsfreiheit sicher massiv bedroht: Für seine Rechte sollte man sich deshalb einsetzen.
Robert Misik lebt als freier Publizist in Wien und schreibt für die taz, für Falter und Profil. Demnächst erscheint von ihm das Buch: "Anleitung zur Weltverbesserung. Das machen wir doch mit links" (Aufbau Verlag).
Wieder eine andere Sache ist, dass bestimmte "Meinungen" negative Reaktionen hervorrufen - etwa, weil sie von vielen Leuten als dämlich, verletzend oder stigmatisierend angesehen werden. Sobald das geschieht, erschallt gerne der Ruf: "Das wird man doch noch sagen dürfen." Aber natürlich darf man. Man muss aber nicht. Wenn man es jedoch tut, dann muss man eben auch Kritik ertragen.
Eine schamlose Anmaßung
Mittlerweile wird das "Recht auf Meinungsfreiheit" verdammt oft mit dem Recht verwechselt, nicht kritisiert zu werden. Das Anmaßende daran fällt nicht immer gleich auf. Und zwar weil diejenigen, die so sprechen, für sich in Anspruch nehmen, sie würden als Einzige "Klartext" sprechen, während alle anderen um den heißen Brei herumreden oder gar lügen.
Wenn in diesem Kontext von "Meinungsfreiheit" die Rede ist, geht es um etwas anderes - nämlich darum, in einer Debatte einen Vorteil gegenüber Andersdenkenden zu erzielen. "Meinungsfreiheit" ist dann nicht die Grundlage, auf der debattiert wird. Sondern ein Totschlagargument, das besonders gute Dienste leistet, wenn man selbst nicht in der Lage ist, plausibel und vernünftig zu argumentieren. Motto: Wer meine Meinung nicht teilt, beschneidet meine Meinungsfreiheit. Hä? Wie krank ist das denn?
Es ist freilich nicht nur sachlich falsch, die Entwicklungen in der Causa Sarrazin mit dem hehren Begriff der "Meinungsfreiheit" zu verbinden: Es ist auch frivol und schamlos. Für das Recht, ihre Meinung zu äußern, sind Menschen ins KZ gekommen, auch heute gehen in vielen Ländern Menschen für ihr Recht auf freie Meinungsäußerung aufs Schafott. Herr Sarrazin dagegen darf seine Meinung nicht nur äußern - er darf das jetzt sogar ungehindert von allen beruflichen Ablenkungen tun; seine Freiheit wird ihm mit einer Pension von 10.000 Euro pro Monat versüßt. Demnächst hat er von seinem Buch eine Million Exemplare verkauft, wodurch ihm ein Honoraranspruch von schätzungsweise zwei Millionen Euro erwächst.
Einmal derart in meinem Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten zu werden, das würde ich mir wirklich wünschen, und wie ich mir das wünschen würde.
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