Debatte Ruanda: Ruanda in der Tradition des Grauens
Seit einem Jahr stehen in Stuttgart zwei ruandische Milizenführer der Hutu vor Gericht. Zwischenbilanz eines historischen Prozesses.
![](https://taz.de/picture/215486/14/opfer_reuters_neu.jpg)
I m Saal 6 des Oberlandesgerichtes Stuttgart wird Weltgeschichte geschrieben – zwei Mal die Woche, seit genau einem Jahr. Der Prozess gegen die beiden ruandischen Milizenführer Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, der am 4. Mai 2011 begonnen hat, ist von historischer Bedeutung.
Nicht nur kommt darin die Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag erstmals vor einem deutschen Gericht zur Anwendung. Das Verfahren leistet auch einen unschätzbaren Beitrag zum besseren Verständnis eines der blutigsten Konflikte der Gegenwart: des Völkermordes an über 800.000 Menschen in Ruanda 1994, dessen Nachwirkungen bis heute im benachbarten Kongo zu spüren sind.
Die internationale Öffentlichkeit verbindet mit Massakern im Kongo oder anderswo in Afrika gern wirre Haufen irregulärer Kämpfer, am liebsten Kindersoldaten, geleitet von gierigen Warlords, die sich mit Gewalt Zugriff auf Bodenschätze verschaffen wollen. Doch das ist eine kolonialistische Karikatur, angelehnt an das Bild vom wilden Stammeshäuptling, der sich mit Glasperlen blenden lässt und für diese das eigene Volk verkauft.
Gefördert wird das Zerrbild vom internationalen Desinteresse: Medien und Menschenrechtler müssen den afrikanischen Horror immer drastischer an die Wand malen, um überhaupt noch Aufmerksamkeit für das Thema zu erregen.
Kolonialistische Karikatur
Der Prozess in Stuttgart macht bisher kaum Schlagzeilen, dabei ermöglicht er ein anderes, ein genaueres Bild: Die Angeklagten Murwanashyaka und Musoni sind als Präsident und Erster Vizepräsident der Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) angeklagt, verantwortlich für grausame Verbrechen der ruandischen Hutu-Miliz im Ostkongo gewesen zu sein, als sich die FDLR im Jahr 2009 erstmals einer gemeinsamen Offensive der Armeen Kongos und Ruandas erwehren musste.
Welche Art von Führung die beiden von Deutschland aus ausüben, ist die zentrale Frage dieses Prozesses. Und sie führt zum politischen Kern des Konflikts: Warum hat eine kampferprobte Miliz im Kongo überhaupt zwei Exilpolitiker ohne eigene Kriegserfahrung als Chefs?
Die FDLR ist nicht einfach nur eine bewaffnete Gruppe, sie sieht sich in der Nachfolge der 1994 untergegangenen ruandischen Republik, die von Hutu regiert wurde. Dieses Regime organisierte damals die planmäßige Auslöschung der Tutsi, bis es samt seinen Streitkräften in den Kongo verjagt wurde.
Seit rund zehn Jahren operiert die FDLR als Exilstaat im Ostkongo mit der ruandischen Hutu-Flüchtlingsbevölkerung als Staatsvolk – und mit Murwanashyaka zumindest bis zu seiner Verhaftung 2009 als Präsident in Wartestellung. Dass er in Deutschland lebte, diente als Beweis für die internationale Anerkennung dieses Parallel-Ruanda auf kongolesischem Boden.
Parallel-Ruanda im Exil
Die Hutu als das wahre ruandische Volk, die Tutsi als auszumerzender Fremdkörper – mit diesem Gedankengut wurden 1994 die Hutu zu Massakern an den Tutsi mobilisiert. Und mit diesem Gedankengut beansprucht die FDLR noch heute, aus dem Exil heraus, Ruandas Hutu gegen die Tutsi-Staatsmacht zu vertreten. Sichtbar wird dies auch in Stuttgart durch die Aussagen ehemaliger FDLR-Milizionäre, die den kongolesischen Busch verlassen haben und heute demobilisiert in Ruanda leben.
Sie sind in der FDLR und ihren Vorgängerarmeen aufgewachsen, sie wurden teils als Kinder aus Ruanda verschleppt. In den letzten Monaten sind rund ein Dutzend von ihnen in Stuttgart aufgetreten. Um ihre eigene Geschichte zu rechtfertigen, verteidigen sie die Ehre ihrer Organisation.
Die Detailschilderungen der Exkämpfer fügen sich zu einem beeindruckenden Puzzle zusammen. Das Bild von Präsident Murwanashyaka hängt dort, wo anderswo in staatlichen Büros das Bild des Staatschefs prangt. Die Miliz hat eigene Regelwerke, Gerichte und Strafverfahren. Sie unterhält Schulen und Akademien.
Sie organisiert den Alltag ihrer Mitglieder bis hin zu Urlaubs-, Reise- und Ehegenehmigungen. Sie archiviert Botschaften der Führung und führt Buch über Vergabe sowie Verwendung von Waffen und Munition. Sie richtet permanent Botschaften an die Exil-Hutu unter ihrer Kontrolle. Sie organisiert wirtschaftliche Aktivitäten, erhebt Steuern und Abgaben.
Dass die beiden höchsten Führer dieses Quasistaates Zivilisten sind und nicht Warlords im Kongo, soll die FDLR nicht nur respektabel aussehen lassen. Es soll auch klarmachen, dass die Miliz eine politische Struktur ist, nicht bloß eine militärische. Die FDLR soll Ruandas Hutu im Exil zusammenhalten, bis sie stark genug ist, die Tutsi-Regierung in Kigali militärisch unter Druck zu setzen.
Deswegen – das geht aus den vielen abgehörten Telefongesprächen der FDLR-Führung hervor, die in den Stuttgarter Prozess eingebracht wurden – beschimpfen Murwanashyaka und Musoni Deserteure, die nach Ruanda zurückkehren, als moralisch verkommene Verräter und pflegen ein fixes Bild von Ruanda als Tutsi-Diktatur, in der die Hutu wie Hunde leben müssten.
Verbrecherische Denkmuster
Vor diesem Hintergrund erscheint es als undenkbar, dass die Serie von grausamen Übergriffen der FDLR gegen kongolesische Zivilisten, wie sie die Anklage schildert, ohne Wissen oder gar Billigung der Führung erfolgen konnte. Ähnliche Kontroversen gab es früher über Ruandas Völkermord: Schlachteten Ruandas Hutu die Tutsi spontan ab? Oder gab es nicht doch einen Vorlauf staatlicher Massenpropaganda, Milizenbildung und Aufrüstung?
Diese Debatte wird nun mit Blick auf die FDLR neu geführt. Das unterstreicht die Rolle des Stuttgarter Prozesses bei der Auseinandersetzung mit verbrecherischen Strukturen und Denkmustern im Afrika der Großen Seen. Letztendlich muss die Auseinandersetzung vor Ort geführt werden.
Aber wenn mit der FDLR schon die eine Seite des Konflikts zwischen Hutu und Tutsi die Bundesrepublik instrumentalisiert hat, ist es nur richtig, dass Deutschland jetzt auch bei der Aufklärung an vorderster Front mitwirkt. Bleibt zu hoffen, dass die in Stuttgart gewonnenen Erkenntnisse irgendwann auch in Ruanda und Kongo zur kritischen Selbstreflexion dienen.
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