Debatte Riester-Rente: Die Riester-Rente ist absurd
Die Finanzkrise zeigt: Die private Vorsorge ist ein Irrweg. Sie ist nur teuer und nicht sonderlich sicher. Eine Abrechnung mit dem Mythos, es gebe eine Alternative zum Staat.
D ie deutschen Aktien haben rund 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Da drängt sich die Frage auf: Wer verliert bei der Finanzkrise? Auf den ersten Blick scheint der Mittelstand kaum betroffen, denn nach dem Schock der Dotcom-Krise 2001 sind die meisten Kleinanleger nie wieder an die Börse zurückgekehrt.
In den letzten acht Jahren hat sich die Zahl der Aktionäre fast halbiert, wie das Deutsche Aktieninstitut (DAI) konstatiert. 2008 gab es noch ganze 2,78 Millionen "echte" Aktienbesitzer - die also nicht nur die Belegschaftsaktien ihres Arbeitgebers besaßen. Bei den Fonds ist ebenfalls ein Schwund zu verzeichnen; nur noch 7,1 Millionen Bundesbürger haben Fondsanteile.
Dennoch sollten die vielen Nichtaktionäre nicht glauben, dass sie sich entspannt zurücklehnen können. Die Finanzkrise widerlegt alle Gewissheiten, die über Anlagestrategien und Alterssicherung verbreitet wurden. So entpuppt sich etwa die Riester-Rente als teurer Irrweg.
Im September 2008 hatten fast 12 Millionen Bürger eine Riester-Rente abgeschlossen - "ein Zuwachs binnen Jahresfrist von über 23 Prozent", jubelte das Bundesarbeitsministerium. Und weiter im offiziellen Text: "Vor dem Hintergrund der Finanzkrise zeigt sich: Die Menschen vertrauen bei der Altersvorsorge zurecht der Riester-Rente. […] Am Ende muss immer mindestens das eingezahlte Kapital plus staatliche Zulagen als Zusatzrente zurückfließen. Das bewährt sich gerade in diesen Tagen."
Man soll sich also getröstet fühlen: Was von Bürgern und Staat eingezahlt wird, kommt auch wieder raus. Tatsächlich aber formuliert das Ministerium eine Bankrotterklärung. Wenn mehr als die eigenen Beiträge plus Staatszulagen nicht zu erwarten sind, kann man das Geld ja auch gleich unter die sprichwörtliche Matratze legen. Oder, genauer, auf einem Girokonto parken. Vom Ministerium eingestanden kann die Riester-Rente noch nicht einmal Inflationsschutz garantieren. Das ist nicht harmlos, sondern bedeutet: Was jetzt eingezahlt wird, wäre in 30 Jahren bei einer jährlichen Inflationsrate von 2 Prozent weitgehend wertlos. Wozu braucht man also noch Versicherungs- und Bankkonzerne, die die Riester-Rente aufwendig verwalten und gewaltige Gebühren kassieren? Um das eigene Geld zu vernichten, benötigt man keine teure Hilfe. Ein Gang ins Kasino tuts auch.
Die Regierung geht natürlich davon aus, dass sie ein Worst-Case-Szenario beschreibt. Es soll ja "mindestens" das eingezahlte Kapital plus staatliche Zulagen zurückfließen. Gehofft wird also auf eine deutliche Zusatzrendite für die Riester-Sparer.
Nur, wo soll dieser Gewinn herkommen? Aus Aktien ja wohl nicht. Schon vor der Finanzkrise hat die Bundesregierung vorgeschrieben, dass die Versicherungen maximal 30 Prozent der Riester-Prämien in Aktien investieren dürfen. Tatsächlich dürfte der Aktienanteil derzeit sogar nur bei rund 7 Prozent liegen. Das ist durchaus weise angesichts der Börsenverluste.
Doch bleibt das Problem ungelöst, wo die Versicherungen ihre Milliardenprämien lukrativ anlegen sollen. Kürzlich hat die Allianz offenbart, wie sie das Geld ihrer Kunden momentan verwaltet: 15 bis 20 Prozent stecken in Unternehmensanleihen, rund 50 Prozent sind in deutschen Pfandbriefen und deutschen Staatsanleihen untergebracht. Nur 5 Prozent wurden in Immobilien investiert. Zum Rest gab es keine Angaben.
Dieses Portfolio soll breitgefächert wirken, doch faktisch investiert die Allianz vor allem bei einer Adresse: beim Staat. Bei den Staatsanleihen ist das offensichtlich. Aber auch hinter dem Stichwort "Pfandbrief" verbergen sich vor allem Papiere, die von der öffentlichen Hand bedient werden. Sie machten 2007 rund 70 Prozent des Pfandbrief-Marktes aus. Selbst Unternehmensanleihen sind längst nicht so staatsfern, wie sie klingen. Denn die Allianz kauft besonders gern die Anleihen von "Versorgern" - also etwa großen Stromkonzernen, die vom Staat ein Quasimonopol geschenkt bekommen haben und durch diese Regierungshilfe jetzt Milliardenprofite scheffeln. Beliebt sind bei der Allianz neuerdings auch wieder Bankanleihen, weil "weltweit keine große Bank mehr in die Pleite gehen wird". Das stimmt genau und ist doch nur dem Staat zu verdanken - diesmal seinen Rettungspaketen, für die er weitere Staatsanleihen aufnehmen muss, die die Allianz dann kaufen kann.
Die Riester-Rente ist absurd: Sie wurde eingeführt, weil die staatliche Rente angeblich nicht sicher ist - doch tatsächlich werden auch jetzt die Erträge vor allem vom Staat erzeugt. Der Staat sind jedoch die Steuerzahler, die nun von der einen Tasche in die andere wirtschaften - und das nennt sich dann "Riester-Rente".
Spätestens diese Finanzkrise widerlegt drei zentrale Mythen rund um die Riester-Rente:
1) Die Riester-Rente sei sicher, weil sie nicht an Deutschland gebunden ist. Die Versicherungskonzerne könnten weltweit in Firmen investieren, während die staatliche Rente spießig national sei. Als Krisenszenario war also vorgesehen, dass chinesische Arbeiter für die deutschen Riester-Rentner aufkommen, falls die Bundesrepublik ökonomisch schwächelt. Doch jetzt zeigt sich, dass es isolierte Boomregionen nicht gibt. Selbst China, so lange als Wunderland gepriesen, befindet sich offenbar in einer schweren Rezession. Nichts ist so global wie eine Finanzkrise. Die deutschen Riester-Milliarden sind daher nirgends sicherer als in Deutschland, wie ja auch die Allianz klar erkannt hat.
2) Die Riester-Rente sei besonders lukrativ, weil man in Aktien investieren könne. Das hat sich in der Finanzkrise sowieso als Illusion erwiesen - aber auch langfristig sind Aktien nicht besonders ertragreich. Die Financial Times Deutschland hat errechnet, dass die realen Kursgewinne seit 1970 nur 1,4 Prozent jährlich betragen.
3) Die Riester-Rente sei zwingend, weil die Gesellschaft vergreise. Die "demografische Katastrophe" war das zentrale Schlagwort, mit dem sich die Riester-Lobby durchgesetzt hat. Gezielt wurde die Hysterie geschürt, dass gesamtgesellschaftliche Solidarität nicht mehr finanzierbar sei. Doch jetzt zeigt sich erneut, dass der Demografie nicht zu entkommen ist. Letztlich muss immer der Steuer- und Beitragszahler ran. Bei der staatlichen Rente ist dies offensichtlich - und bei der Riester-Rente nur kunstvoll verbrämt, indem private Versicherungen dazwischengeschaltet werden. Aber auch die Riester-Konzerne können fast nur in staatlich garantierte Anlagen investieren, wenn sie kein allzu großes Risiko eingehen wollen.
Die Riester-Rente ist eine Meisterleistung des Lobbyismus, denn sie ist sinnlos: Ihre angeblichen Renditen hat sie direkt von den Steuerzahlern - die dafür auch noch Milliarden an Gebühren zahlen müssen. Die staatliche Rente wäre da deutlich billiger und mindestens so sicher.
Die Finanzkrise wird für die Steuerzahler sowieso sehr teuer. Als kleine Kompensation sollten die Versicherungskonzerne gezwungen werden, ihre Riester-Beute an den Staat zurückzugeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften