Debatte Rentenpläne: Auf dem Holzweg
Ursula von der Leyen hat sogar die SPD zum Jagen getragen. Aber ihre Mittel sind nicht geeignet, die Altersarmut entscheidend zu verringern.
A rbeitsministerin Ursula von der Leyen gebührt schon jetzt ein Orden. Sie hat die Debatte über die künftige Altersarmut regierungsamtlich in Gang gesetzt und endlich auch die SPD aufgescheucht.
Leider präsentiert sie mit der Zuschussrente aber die falsche Lösung, ebenso wie Sigmar Gabriel mit seiner Solidarrente. Beide sind in der Rentenfrage wie der Großteil der Gesellschaft einer perfiden Meinungsmache aufgesessen. In der Bevölkerung werden mehrere sogenannte Rentenwahrheiten fast wie Naturgesetze akzeptiert:
1. Die demografische Entwicklung („zu wenige Junge – zu viele Alte“) bringt die gesetzliche Rente in Schieflage. Eine Senkung des bisherigen Rentenniveaus ist unausweichlich.
2. Bleiben die Renten auf dem aktuellen Niveau, steigen die Beiträge künftig in unzumutbare Höhen. Die heute Jungen werden überfordert, die Generationengerechtigkeit verletzt.
3. Nur durch eine stärkere private Altersvorsorge kann künftig Altersarmut vermieden werden.
All das klingt plausibel, ist aber dennoch falsch. Schlimmer noch: Diese Thesen führten die prekäre Situation der deutschen Altersversorgung erst herbei. Wie konnte das passieren? Zunächst machte nur eine kleine Clique von Wissenschaftlern, allesamt mit der Finanzwirtschaft verbandelt, die angeblich ruinöse Bevölkerungsentwicklung zum Thema.
Raffelhüschens Lobbysieg
Ihr prominentester Vertreter: Bernd Raffelhüschen, seit vielen Jahren Mitglied im Aufsichtsrat der Ergo-Versicherung, daneben als Vortragsreisender für Versicherungen und Finanzdienstleister unterwegs. Mit Kampfbegriffen wie „demografische Katastrophe“ wurde der Boden bereitet.
Holger Balodis, 52, Diplomvolkswirt, beschäftigt sich seit knapp 30 Jahren als Fachjournalist mit dem deutschen Rentensystem. Im September erschien im Econ-Verlag sein neuestes Buch „Die Vorsorgelüge“ (Koautorin Dagmar Hühne).
Dankbar griffen Lobbygruppen wie das von der Deutschen Bank finanzierte Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA), die Initiative Neue Soziale Markwirtschaft und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) die Thesen auf und verwandelten sie durch Wiederholung zu unumstößlichen Wahrheiten.
Es war schließlich die rot-grüne Bundesregierung, die 2001 mit der Riester-Reform die Axt an die staatliche Rente legte und den privaten Versicherungskonzernen einen Milliardenmarkt eröffnete. Dank der Riester-Rente sollte es allen künftigen Rentnern sogar besser gehen als zuvor, versprachen Gerhard Schröder und Walter Riester. Das glaubt heute niemand mehr.
Die traurige Wahrheit sieht so aus: Bis 2030 wird das Rentenniveau durch die seit 2001 beschlossenen Maßnahmen um rund 30 Prozent sinken. Gleichzeitig zahlen die Riester-Sparer 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in private Verträge, von denen derzeit niemand sagen kann, ob sie jemals eine positive Rendite abwerfen werden. Damit tritt für die heutigen Beitragszahler die absurde Situation ein, dass sie trotz der beschlossenen Maßnahmen deutlich mehr zahlen als im alten System und dennoch erheblich weniger herausbekommen werden.
Mit dem Föhn gegen Feuer
Von der Leyen legt das Elend nun offen: Ein Normalverdiener mit monatlich 2.500 Euro brutto kann 2030 nach 35 Arbeitsjahren auf 688 Euro Rente hoffen. Man kann die Zahl auch anders interpretieren. Das halbe Volk müsste im Alter Grundsicherung beantragen – was wohl das Ende der gesetzlichen Rente bedeuten würde. Die Lösung der Arbeitsministerin: für langjährig Beschäftigte eine Aufstockung auf maximal 850 Euro, die Zuschussrente. Aber nur wenn die Versicherten private Vorsorge, etwa mit der Riester-Rente, betrieben haben. Das klingt so absurd wie der Versuch einer Feuerwehrfrau, einen Brand mit einem Föhn auszublasen. War es doch die Einführung der Riester-Rente, die die Kürzungen der gesetzlichen Rente mit sich brachte.
Auch Gabriels Ansatz führt in die Irre. Statt in die Riester-Rente will der SPD-Chef die Versicherten in die Betriebsrente zwingen. Dabei sorgt jede Einzahlung in die betriebliche Altersversorgung für eine fiktive Absenkung des Bruttolohns und damit für eine weitere Absenkung der gesetzlichen Rente – und zwar für alle Versicherten. Also Rettung durch Zerstörung? Diese Logik war einer der Geburtsfehler der Riester’schen Rentenreform.
Wenn also nun die fatalen Folgen dieser missglückten Reform offenkundig werden, hilft nur die Rentenrolle rückwärts. Wir müssen zum alten Rentenniveau zurückkehren. Mit einer Steigerung um rund 30 Prozent wäre der Vorteil für die meisten deutlich größer als bei der Zuschussrente. Zudem sollten die Ansprüche der Bezieher kleiner Einkommen aufgewertet werden, wie es bis 1992 mit der „Rente nach Mindesteinkommen“ üblich war.
Ausgeriestert
Die Beitragssätze würden zwar steigen, doch wegen der paritätischen Finanzierung müssten die Arbeitnehmer nur die Hälfte tragen. Für sie würde es nicht teurer als nach heutiger Gesetzeslage, die Arbeitgeber würden hingegen mehr belastet. Die Riester-Rente dürfte nicht mehr länger staatlich gefördert werden. Die Subventionen, die derzeit indirekt der Finanzwirtschaft zugute kommen, sollten direkt in die Rentenkasse fließen.
Weitere Maßnahmen sind sinnvoll: Die Beitragsbemessungsgrenzen von derzeit monatlich 5.600 Euro West und 4.800 Euro Ost könnten deutlich erhöht werden. Sehr hohe Einkommen sollten daraus nur degressiv fallende Rentenansprüche erwerben. Jeder, der mehr verdient, bekäme zwar mehr Rente, doch der Anstieg fiele geringer aus. Das bringt Spielräume zur Rentenerhöhung bei Kleinverdienern.
Ferner könnte der Kreis der Rentenversicherten ausgeweitet werden. Die 2,5 Millionen Soloselbstständigen sollten versicherungspflichtig werden, versicherungsfreie Minijobs zurückgedrängt und langfristig auch Beamte in das gesetzliche Rentensystem eingegliedert werden.
Gelänge es zudem, die Arbeitslosigkeit drastisch zu reduzieren und die Erwerbstätigkeit der über 55-Jährigen deutlich auszuweiten, ergäbe sich insgesamt ein Potenzial von über zwölf Millionen neuen Beitragszahlern. Könnte man nur die Hälfte davon aktivieren, wäre das zusammen mit den anderen Maßnahmen mehr als genug, damit auch im Jahr 2030 das Umlageverfahren in der gesetzlichen Rente noch funktioniert und für armutsfeste Renten sorgen wird.
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