Debatte Postdemokratie: Tod des Fachpolitikers

Die Kommunen werden entmachtet. Der Einfluss von Medien, Lobbys und Kampagnen wächst. Das gräbt der Demokratie insgesamt das Wasser ab.

Da wird so lange im Etat rumgeschoben, bis alles fein aussieht. Was für eine Verschwendung. Bild: sör alex / photocase.com

Was für eine Zeitverschwendung: In jedem Rathaus sitzen die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker verschiedenster Parteien zusammen und beugen sich über den Haushalt. Sie streichen ein paar Ausgaben hier und ein bisschen aus dem Etat dort. Dabei sind sie so emsig, als ginge es ums Ostereierfärben. Doch eines können die fleißigen Kommunalpolitiker nicht verhindern: Ihre Gemeinde, ihre Stadt, ihr Landkreis bleibt überschuldet und lässt sich nicht aus eigener Kraft sanieren. Die Schulden wachsen.

Was soll’s, könnte man einwenden. Alle haben exorbitante Schulden. Nicht nur die Kommunen wackeln – auch Länder, Bund und Banken. Die Gemeinden haben jedoch einen Nachteil: Anders als die Banken gelten sie nicht als systemrelevant und werden daher schleichend entmachtet. Doch wer denkt, die lokalen Probleme der Gemeinden wären von nur lokalem Interesse, der irrt. Mittlerweile ist die Entmachtung der Kommunen so weit vorangeschritten, dass sich die Parteiendemokratie der Bundesrepublik Deutschland grundlegend und nachhaltig verändert. Der wenig bekannte Fachpolitiker geht, Pop-Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg kommen.

Um von vorn zu beginnen: Die Entmachtung der Kommunen findet seit Langem statt, da die bundesdeutsche Finanzverfassung noch nie ein striktes „Konnexitätsprinzip“ gekannt hat. Das bedeutet: Bund und Länder beschließen Steuersenkungsorgien, die die Einnahmen der Kommunen mindern, und lasten ihnen gleichzeitig neue Aufgaben und Kosten auf. Der Aufschrei der Gemeinden kümmert die Länder wenig oder führt zu Plänen, die die endgültige Entmachtung der Kommunen vorbereiten.

„Pferdesteuer“ gegen Schulden

In sprachlicher Analogie zur Eurokrise will beispielsweise die hessische Landesregierung einen „Rettungsschirm für die kommunale Familie“ aufspannen, und zwar mit dem Ziel der „Hilfe zur Selbsthilfe.“ Das Angebot: Das Land Hessen würde völlig überschuldete Gemeinden von einem Teil ihrer Schulden befreien. Im Gegenzug müssten sich die Kommunen verpflichten, „nicht umgehend wieder in eine Schuldensituation zurückzufallen“. Also überlegen Kommunen zum Beispiel, eine „Pferdesteuer“ einzuführen, um neue Einnahmen zu erzielen. Als ob die wenigen Reiter die enormen Defizite in den Gemeindekassen finanzieren könnten. Oder es werden freiwillige Leistungen gestrichen wie der Zuschuss fürs Freibad oder die Kofinanzierung eines schulischen Sozialarbeiters. Letztlich werden die Kommunen zum reinen Verwaltungs- und Erfüllungsgehilfen der Landesregierungen. Als politische Akteure scheiden sie aus.

Es ließe sich natürlich einwenden, dass mit der EU inzwischen eine neue politische Ebene hinzugekommen sei, sodass man auf die unterste Stufe wohl verzichten könne, ohne die gegenseitige Kontrolle der Ebenen zu mindern. Doch diese Sicht blendet ein wesentliches Faktum aus: Mit der Entmachtung der Kommunen nimmt die Demokratie insgesamt Schaden.

Wahlbeteiligung sinkt

Vor Ort in den Gemeinden ist der Staat immer weniger sichtbar. Schlichte Verwaltungsleistungen haben beim Bürger nicht denselben Stellenwert wie Aufwendungen für das Gemeinwesen. Zusätzliche Schulangebote, die Unterstützung von kulturellen Initiativen und Sportvereinen gegen den Einwohnern erst das Gefühl, dass ihre Gemeinde und der Staat etwas für sie tun. Wenn diese Leistungen gestrichen werden, dann dürfte der Überdruss der Bürger dazu führen, dass die Wahlbeteiligung noch weiter sinkt, nicht nur bei Kommunalwahlen.

Viel gefährlicher ist indes die schleichende Demotivation der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker. Warum sollen sie sich weiterhin engagieren, wenn jeder politische Gestaltungsspielraum fehlt, sodass auch ein Sparkommissar ihre Arbeit erfüllen könnte? Die Ehre allein, ein Wahlamt zu bekleiden, wird nicht reichen.

Schon jetzt leiden die großen und auch einige der kleineren Parteien an Mitgliederschwund und Überalterung. Viele politisch Interessierte organisieren sich längst außerhalb der Parteien, um auf die großen Entscheidungen – wie etwa über die Atomenergie – Einfluss zu nehmen. Wer kümmert sich aber um die kleinen Fragen, wenn es nicht mehr die Kommunalpolitiker tun? Wer stellt die Verbindung zwischen der Bundes- und Landespolitik und den Bürgern her, wenn nicht die Parteibasis, die Kommunalpolitiker? Wer ist dann noch bereit, auf kommunaler Ebene den Wahlkampf zu machen und Menschen einzeln anzusprechen? Wahrscheinlich werden dies zu wenige sein, um als das bisherige parteiendominierte politische System aufrechtzuerhalten.

Charisma statt Arbeit

Politik wird damit aber noch stärker über die Medien und zentral geplante Kampagnen stattfinden. Der Typus des charismatischen Politikers, wie ihn Guttenberg repräsentiert, würde dann immer bedeutsamer. Dieser Typus gewinnt sein Charisma nicht mehr durch Lebenserfahrungen und Lebensleistungen, wie es für viele Politiker der Kriegsgeneration zutrifft. Stattdessen zählt nur noch die Fähigkeit zur medialen Inszenierung und zur Vernetzung mit den Medien selbst. Ihren politischen, aber auch wirtschaftlichen Interessen muss er genügen. Gefährlich wird ihm dann nicht mehr das Murren der Basis, sondern der Widerspruch zwischen den politischen und wirtschaftlichen Interessen der ihm verbundenen Medien. So lässt sich bereits der Fall Wulff deuten.

Auch der Einfluss der Lobbys und politischen Organisationen jenseits der Parteien wird wachsen. Sie sammeln Spenden, stützen Kampagnen, suchen sich die Politiker, mit denen sich ihr Anliegen verwirklichen lässt, und organisieren Demonstrationen oder Kongresse. Das geschieht bereits, doch noch gibt es das Gegengewicht der Basis in den Parteien. Fällt diese weg, dann wird es der Politik wie dem Tierschutz gehen. Für den medial vermarktbaren Seehund wird gespendet, für den unscheinbaren, aber für ein Ökosystem viel wichtigeren Hochmoorgelbling nicht. Der Spitzenpolitiker wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit finden, die mangelnde Förderung der Jugend vor Ort nicht.

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