piwik no script img

Debatte PopulismusGermanys Next Topminister

Kommentar von Markus Linden

Guttenbergs Abgang hat eine Lücke gerissen. Denn die Sehnsucht nach Charismatikern nimmt zu - eine fatalistische Auslieferung an die Qualität des politischen Personals.

Schnell wird noch an einem neuen Motivwagen für den Kölner Rosenmontagszug gebastelt: Der Baron als Kopierer für Fußnoten. Bild: dpa

S einen Rücktritt hat sich der Verteidigungsminister a. D. redlich erarbeitet. Nun ist die Messe gelesen. Doch bis zuletzt standen große Teile der Bevölkerung hinter Karl-Theodor zu Guttenberg. Das Zentralorgan des Boulevards bezog sogar eindeutiger Stellung als im Fall Thilo Sarrazins. Bild konstatierte eine Kluft zwischen "Volksmeinung" und politisch Gebotenem - und schlug sich auf die Seite "des Volkes". Folgerichtig kommentierte Chefredakteur Kai Diekmann den Amtsverzicht in apokalyptischer Rhetorik: Der Fall markiere eine "beängstigende Entfremdung zwischen Regierten und Regierenden", ja: Die Demokratie sei in Gefahr.

Angesichts dessen könnte man sicherlich in Zynismus und Fatalismus verfallen, beides Schutzhaltungen der intellektuellen Beobachtung. Hilfreicher ist die Frage, welche Vorstellung von Demokratie sich im Zuge dieses an Unterhaltsamkeit und Absurdität kaum zu überbietenden Schauspiels manifestierte. Denn die anhaltende Unterstützung für zu Guttenberg gründet ganz wesentlich auf der neuen Attraktivität eines personalisierten Demokratiemodells, das nicht wenigen Autoren aus unterschiedlichen Denkrichtungen geeignet erscheint, die vermeintlichen Defizite im viel beschworenen Zeitalter der "Postdemokratie" zu überwinden.

Um falsche historische Konnotationen zu vermeiden, hat sich dafür der Begriff der leader democracy des ungarischen Politikwissenschaftler Andras Körösenyi eingebürgert. Dieser scheint geeignet, gleich zwei Probleme in einem Aufwasch zu lösen: Einerseits steht "kraftvolles Regieren" für die Rückgewinnung politischer Steuerungsfähigkeit, auch im Verhältnis zum Markt. Gleichzeitig erhofft man sich einen Legitimitätsgewinn des Politischen, der durch die derzeit ebenfalls populäre Losung "Mehr Bürgerbeteiligung" allein vielleicht doch nicht erreicht werden kann.

privat

Markus Linden ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Zusammen mit Winfried Thaa gab er zuletzt den Band "Die politische Repräsentation von Fremden und Armen" heraus (Nomos, 2009).

Plebiszitäre Postdemokratie

Wäre die Identifikation mit Volkstribunen nicht besser geeignet, das plebiszitäre Element und die Attraktivität der Politik zu stärken? Nicht zufällig vereinen erfolgreiche populistische Bewegungen personalisiertes Führertum mit Forderungen nach direkter Demokratie. Max Weber postulierte einst die "plebiszitäre Führerdemokratie" durchaus in freiheitlicher Absicht: Die Auswahl zwischen Personen eröffne eine Sphäre der Handlungsautonomie in Zeiten des ökonomischen Rationalismus. Vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts schien dieser Gedanke eigentlich desavouiert. Umso verwunderlicher ist es, dass er gerade im Zuge der "Postdemokratie", wie unsere Ära von der politischen Linken genannt wird, eine Renaissance erfährt.

Obama als letzte linke Utopie

Die Politologen Claudia Ritzi und Gary S. Schaal etwa halten die leader democracy heute für fast schon unausweichlich: "Postdemokratisch agierenden Politikern muss es daher gelingen, sich Anerkennung als politische Führer - sei es durch charismatisches oder durch pragmatisches Handeln - zu verschaffen", lautet ihre Schlussfolgerung, der keine emanzipatorische Perspektive hinzugefügt wird. Und Colin Crouch, bekanntester Protagonist der Postdemokratiethese, bekannte einst in einem aufschlussreichen Interview, das Vorbild der Obama-Bewegung sei "die Hoffnung für die Zukunft".

Hier äußert sich eine letzte Zuversicht, die schon Heiner Geißler zum kurzzeitigen Heilsbringer der Schlichtungsdemokratie werden ließ. Sie trat auch im Fall zu Guttenbergs, ungeachtet der lobenswert eindeutigen Positionierung der meisten Qualitätsmedien, selbst in liberalen Kreisen hervor. Aufschlussreich war da Giovanni di Lorenzos Leitartikel zu der Affäre in der Zeit (24. 2.). Dass er den Medien dort "etwas Jakobinisches" unterstellte, ist nur eine betrübliche "Fußnote". Viel schwerer wog die Art und Weise der Überhöhung des Personalen, mit der di Lorenzo Guttenberg als Ausnahmeerscheinung mit "Ausstrahlung, Beliebtheit, Wirkung" beschrieb: Er repräsentiere "eine Hoffnung für die politische Klasse", den sinkenden Wahlbeteiligungen und der stetig größer werdenden Kluft zwischen Bürgern und Politik mit Charisma entgegenzuwirken, weswegen er im Amt bleiben sollte. Di Lorenzo argumentierte da nicht anders als Diekmann.

Nun gehörte Personalisierung schon immer zu den Grundelementen der Politik. Empirisch ist es strittig, inwiefern ihr heute eine größere Bedeutung zukommt. Neu ist jedoch, dass Hoffnungen auf eine Verbesserung der Demokratiequalität und -legitimität derart stark auf einzelne Personen abstellen, sei es Obama oder jetzt zu Guttenberg. Das kommt einer fatalistischen Auslieferung an die Qualität des Personals gleich, wobei die Archetypen vom "Macher" über den "Pragmatiker" bis hin zum Milli-Vanilli-Politiker reichen.

Allianzen mit dem Boulevard

Neben der populären Forderung nach direkter Bürgerbeteiligung liegt hier ein zweiter, wenngleich oft nur implizit vermittelter Schwerpunkt demokratischen Zukunftsdenkens. Eine seltsame und tendenziell gefährliche Allianz zwischen Boulevard, Teilen der Medien, des Feuilletons und der Wissenschaft wird hier sichtbar.

Geht man den Gründen für die Anziehungskraft der leader democracy nach, so lassen sich aber durchaus alternative Reformoptionen ableiten, die zu einer Wiederbelebung der Demokratie beitragen könnten. Folgt man Max Webers Analyse, so besteht ein Vorteil der Führerauswahl in der prinzipiellen Transparenz der Optionen. Ebenjene Transparenz der Verantwortlichkeit kommt dem Politischen zusehends abhanden.

Die Sehnsucht nach Führerschaft erklärt sich auch aus dem Wunsch, Verständlichkeit zurückzugewinnen. Insofern wäre die umfassende Durchführung des Öffentlichkeitsprinzips eine Reformmöglichkeit. Wer Schlichtungsverhandlungen zu einem Bahnhofsprojekt verfolgt, wird dies erst recht bei Sitzungen des Vermittlungsausschusses tun. Hier würden sich zwangsläufig Beziehungen zwischen Bürgern und Politikern herstellen, die weniger an das Charisma als an die Sache gekoppelt sind. Belege für die Überlegenheit dieses Programms finden sich in Geschichte und Literatur zuhauf. Auf gesonderte Nachweise wird deshalb verzichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • W
    WaltaKa

    Bitte wieder Adelige als Regierungsführer. Denn: zu Guttenberg "... ist und bleibt, selbst wenn er ... stolpert, der Baron, oder Reichsfreiherr zu Guttenberg, der zurück in den Schoß einer Familientradition sinken kann.

     

    Das verleiht ihm die viel beschriebene Lässigkeit, diese via Geburt verliehene elitäre Eloquenz und Unabhängigkeit,...

     

    Die Sehnsucht nach der genetischen Überlegenheit des Adels macht sich an der Hoffnung bemerkbar, dass dieser sich nunmehr unterscheiden möge von der ehrgeizigen, dekadenten und unmoralischen Wirtschaftselite, von Polit- oder sonstiger Prominenz, die mehr oder weniger nur durch Zufall nichts tun muss, außer sie selbst zu sein -und das nicht mal besonders gut".

    Dem Adel werden "... mittels der althergebrachten Erziehung Mut, Tapferkeit und Zurückhaltung zugesprochen, alte Werte, die eine Führungsfigur, wie man sie sich wünscht, ausmachen".

     

    "...Wir blicken dankbar zu diesem begüterten Edelmann Guttenberg auf, der sich seinem Land und seinem Volk zuliebe, aus einem angeborenen Pflichtgefühl heraus an die Arbeit macht, die er gar nicht nötig hat - ohne Angst, sich Hände schmutzig zu machen. Und ohne Kompromisse. Diese beherzt zupackende Haltung dieses Adligen...."

    Deshalb: Adel for Leitfigur.

    (Zitate entnommen aus einem Artikel der Zeitung namens ... na, erraten?)

  • V
    vic

    Anlässlich der Ereignisse lese ich nach Jahren mal wieder den "Gossenreport" von Gerhard Henschel.

    Ich habe deshalb im Moment besondes klar vor Augen, was in Deutschland möglich ist wenn man sich mit der Gosse (den Springer-Medien) gemein macht.

    Alles ist dann möglich.

  • FG
    Friedrich Grimm

    Es scheint mir tatsächlich vor allem ein Problem der Medien zu sein. Bei jedem Menschen müssten die Alarmglocken schrillen, wenn die "Bildzeitung" sich erdreistet über Recht und Unrecht zu entscheiden, um letztlich gar unsere Moral zu definieren. Ein herber Schlag für die Leser der Zeit, dass ein Di Lorenzo sich so äußerte, wie er sich leider geäußert hat.

    Den Medien ist dringend zu raten über die Sache, und nur über die Sache und zwar ohne jede Wertung zu berichten. Die Meinungsbildung muss allein beim Leser bleiben.

  • EG
    Emmanuel Goldstein

    Anmerkung zu „Germany´s Next Topminister“

     

    Sicherlich bietet die aufkommende „leader democracy“ – deren aktuellstes Symptom wohl der von-und-zu-Ex-Dr. Münchhausen ist – verlockende Möglichkeit für einige staatliche Akteure; allerdings sollten die möglicherweise auftretenden Nebenwirkungen der Charismatischen Herrschaft nicht leichtfertig ignoriert werden. Franz NEUMANN [(1984): Behemoth. Frankfurt am Main.] rät daher zur Vorsicht: „Charismatische Herrschaft ist lange Zeit vernachlässigt und lächerlich gemacht worden, hat aber offenbar weit zurückreichende Wurzeln und wird, wenn die geeigneten psychologischen und sozialen Bedingungen erst einmal vorhanden sind, zu einer machtvollen Antriebskraft. Die charismatische Macht des Führers ist kein bloßes Trugbild – niemand kann bezweifeln, daß Millionen an sie glauben.“ (S. 117) Da ein fester Glaube bekanntlich Berge versetzen oder eben die eine oder andere soziale Frage einer endgültigen Lösung zuführen kann, ist eine kritische Würdigung des z. Z. erneut aufkommenden Führer-Wunderglaubens überfällig, denn: „Dieser vollkommen irrationale Glaube tritt in Situationen auf, die der Durchschnittsmensch nicht verstehen und rational erfassen kann. Nicht die Angst alleine treibt die Menschen in die Arme des Aberglaubens, sondern das Unvermögen, die Ursachen ihrer Hilflosigkeit, ihres Elends und ihrer Erniedrigung zu erkennen. Wie die Primitiven halten sie nach einem Erretter, der ihre Not abwenden und sie aus ihrem Elend befreien soll, Ausschau.“ (S. 129)

     

    Emmanuel Goldstein (s. SSOAR)

  • CM
    claudia m.

    "Berlusconismus: Der Freiherr als Staubsaugervertreter"

    http://www.freitag.de/wochenthema/1109-der-freiherr-als-staubsaugervertreter

  • MH
    Matt Houston

    Nun hat die Einbürgerung eines Begriffs noch nie ein Problem lösen können, geschweige denn gleich zwei. Aber so bewegt sich Herr Linden eben durch die Welt. Ihm geht es nicht anders als Bild und Co. Die Gedanken um eine "Wiederbelebung der Demokratie" erschöpfen sich in Programmen zur Wiederherstellung der Folgebereitschaft von Regierten. Es ist die Kluft zwischen Regierenden und Regierten wohl nicht ausschließlich auf mangelnde Attraktivität der Politik zurückführbar; ein Problem, welches tatsächlich durch ein einfaches Facelifting, oder die Einführung eines Begriffs "gelöst" werden könnte. Das Unattraktive liegt eben auch, und nicht einmal unwesentlich, in den Konsequenzen der politischen Entscheidungen. Die lebendige Wirklichkeit der um Rückgewinnung (wenigstens) ihrer verlorenen "Handlungsautonomie" ringenden "Bewegungen" zeigt, dass die Bewegten "an die Sache gekoppelt sind" noch vor aller Schlichtung. Eben bewegt werden, mit oder ohne Begriffe. "Analysen", die sich um die Besonderheiten der "Bewegungen" nicht kümmern, entgehen somit sämtliche "Motive". Und sie bleiben von daher auch auf die "Geschichte und Literatur" verwiesen.

  • HI
    Hans-Dieter Illing

    Die Demokratie ist nicht in der Krise. Sie funktioniert sogar so wie sie ist sehr gut. Aber ihre Wahrnehmung ist es. Sprich die Medien. Denn ohne diese kann Politik vom Bürger gar nicht wahrgenommen werden.

     

    Diese ist seit langem nur noch ökonomischen Interessen verpflichtet, und vermittelt keine politischen Zusammenhänge mehr. Statt dessen stürzt sie sich auf das, was den größten Effekt verspricht.

     

    Was hat ein Herr Guttenberg denn schon Tolles geleistet? Ich meine jetzt (ehrliche) Ergebnisse? Er lies eine Bundeswehrreform ausarbeiten, die von seinem Nachfolger postwendend in die Tonne getreten wird. Und dennoch muss ich überall lesen, dass er ein Ausnahmeminister und -politiker ist, nur weil er statt eines Politikberaters einen Stylingberater hatte. Solche Medien mag ich nicht mehr verfolgen.

  • E
    EuroTanic

    Guttenberg? War das nicht ein Minister unter Merkel? Der war doch iin die Kundus Affaire verwickelt, und in die Gorch Fock Affaire , und der hat doch eine Unterhaltungsshow in Afghanistan auf Steuerkosten veranstaltet, während dort Menschen starben. Und da waren da noch so ein paar Ungereimtheiten mit seinem Lebenslauf, seiner beruflichen Laufbahn. Dann hat der Dussel auch noch seine Doktorarbeit gefälscht. Und sich auch noch erwischen lassen, Hahahaa. Das war ein Blender. Was macht der jetzt?

  • RS
    ralf schwartz

    Ich wage mal die These, daß sich eigentlich gar nichts geändert hat. Die Anforderungen an Politik und Politiker sind brutal gleichgeblieben - vor und nach dem Superhero:

     

    "The only way to avoid a superhero is to deliver. To anticipate what people's new individuality, independence, and impatience longs for. To listen and understand. To be a partner, a friend, a role model, an example! To have a vision - and ways and means to make it come true!"

     

    http://ralfschwartz.typepad.com/rsc/2011/03/the-guttenberg-divide-part-two-before-vs-after-the-superhero.html

  • T
    T.V.

    Das ist die letzte Konsequenz aus dem Bejubeln der Superreichen: Daß es letztendlich egal ist welcher von denen was tut. Im Fußball würd es noch negativ auffallen, wenn ein Helmut Kohl plötzlich auf dem Platz stände. Aber ein Jürgen Klinsmann in der Politik, das ist die Zukunft.

    Wer am besten schauspielt gewinnt das Casting um die besten Plätze im goldenen Steuersegenregen. Bejubelt die, die euch das Geld aus der Tasche ziehen, dann reicht's wenigstens einäugig zu sein um revolutionäre Gedanken zu hegen.

  • V
    vic

    "Obama als letzte linke Utopie"

    Ist es schon so ernst?