Debatte Peer Steinbrück: Seekrank unter Deck
Der SPD-Kanzlerkandidat inszeniert sich jetzt als Bankenschreck. Dabei hat er in der Krise den Instituten Milliarden hinterhergeworfen.
![](https://taz.de/picture/191476/14/02102012_Willy_Brandt_Peer_Steinbrueck_SPD_dpa.jpg)
W ahrheit ist nichts, Image ist alles. Wie sonst könnte es sein, dass Peer Steinbrück zu den beliebtesten Politikern des Landes zählt. Die Legende vom kompetenten Finanzpolitiker, der Deutschland sicher durch die Krise gelotst hat, spukt anscheinend immer noch in den Köpfen vieler Mitbürger. Aber wer sollte es ihnen denn auch verdenken?
Schließlich übertreffen sich die großen Meinungsbildner der Republik gegenseitig darin, den ehemaligen Finanzminister über den grünen Klee zu loben. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Lobhudeleien jedoch als modernes Märchen, das wenig mit der Realität zu tun hat.
Bereits vor seiner Zeit als Bundesfinanzminister hatte Peer Steinbrück beruflich mit der Kontrolle von Banken zu tun. Von 1998 bis 2005 war er beispielsweise maßgeblich für die Kontrolle der nordrhein-westfälischen WestLB verantwortlich.
ist freier Journalist und Mitarbeiter der Webseite Nachdenkseiten des früheren SPD-Kanzlerberaters Albrecht Müller. In seinem eigenen Blog Spiegelfechter schreibt er über die Auswirkungen neoliberaler Politik.
Unter den Augen des Kontrolleurs Steinbrück verwandelte sich die ehemals provinzielle Landesbank in eine international tätige Zockerbude, die im Finanzkasino mitspielte und schon lange vor der Subprime-Krise Milliarden verbrannte. Die „Conduit-Geschäfte“, die der WestLB wenige Jahre später das Genick brechen sollten, nahmen unter der Ägide Steinbrücks erst richtig an Fahrt auf.
Nicht besser gewusst?
Hatte Steinbrück damals vielleicht aus ideologischen Gründen die Risiken falsch eingeschätzt? Alles spricht dafür, schließlich trat er zu dieser Zeit auch sonst als überzeugter Deregulierer auf. Mit sogenannten Produktinnovationen, etwa neuen Formen der Verbriefung und Derivaten, wollte er den Finanzstandort Deutschland auf Augenhöhe mit London und New York bringen. Diese Papiere sollten wenige Jahre später als ABS, CDO und CDS zu weltweiter Berühmtheit gelangen.
Konnte Peer Steinbrück es damals vielleicht nicht besser wissen? Zumindest Finanzexperten wussten es besser. Die Investmentlegende Warren Buffet bezeichnete diese „Produktinnovationen“ zu jener Zeit als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“.
Doch Peer Steinbrück hörte lieber der Finanzlobby zu und setzte deren Wünsche als designierter Bundesfinanzminister 2005 bereits im Koalitionsvertrag bestmöglich um. Neben der vertraglich festgehaltenen „nachdrücklichen Unterstützung“ dieser Papiere stutzte die große Koalition auch gleich noch die Finanzmarktaufsicht zusammen. Diese sollte „mit Augenmaß“ vorgehen, also im Zweifel lieber wegschauen.
Es kam, wie es kommen musste. Bereits ein Jahr vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers geriet die deutsche Mittelstandsbank IKB in Schieflage, wurde von Peer Steinbrück aber kurzerhand für „systemrelevant“ erklärt. Die Gläubiger wurden mit rund 10 Milliarden Euro Steuergeldern ausbezahlt. Das Mantra der Systemrelevanz war geboren, doch nie war es unzutreffender als bei der unbedeutenden IKB.
Warum „rettete“ Steinbrück die Bank zulasten des Steuerzahlers? Die Gläubigerliste der IKB entsprach zu jener Zeit dem Who’s who der deutschen Finanzwirtschaft. Offenbar wollte der Mann, der heute den Banken den Kampf angesagt hat und viel von Gläubigerhaftung erzählt, damals, als es darauf ankam, die Banken noch nicht einmal für diese überschaubare Summe in Haftung nehmen.
Ein Geschenk für Jo
Noch teurer kam den Steuerzahler ein Jahr später Steinbrücks Blankoscheck für die Gläubiger der Hypo Real Estate (HRE) zu stehen. Zusammen mit seinem Staatssekretär Jörg Asmussen ließ sich Steinbrück von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über den Tisch ziehen. Er sicherte den Banken eine Übernahme der Verbindlichkeiten der HRE zu, die den Steuerzahler insgesamt wahrscheinlich mehr als 100 Milliarden Euro kosten wird.
Wer sich die Mühe macht, die Akten des HRW-Untersuchungsausschusses zu studieren, mag nicht mehr so recht an die Legende des vermeintlich kompetenten Finanzministers glauben. Noch wenige Tage vor dem HRE-Krisengipfel hatte Steinbrück erklärt, ein Bankenrettungspaket sei „in Deutschland weder notwendig noch sinnvoll“.
Sprüche ohne Folgen
Anstatt Lehren aus der Krise zu ziehen und die von ihm selbst zuvor propagierte Deregulierung des Finanzsystems rückgängig zu machen, gefiel sich Steinbrück im Laufe der Krise lieber als Sprücheklopfer. Er polemisierte mit harschen Worten gegen das Finanzsystem, ließ diesen Worten jedoch keine Taten folgen. Nennenswerte Gesetzesinitiativen zur Regulierung der Finanzmärkte blieben während seiner Amtszeit aus.
Dabei gab es im Kielwasser des Beinahezusammenbruchs des weltweiten Finanzsystems tatsächlich ein kurzes Zeitfenster, in dem selbst den Lobbyisten der Finanzindustrie die Spucke wegblieb und eine Zähmung der Finanzmärkte durchaus möglich gewesen wäre. Steinbrück nutzte dieses Zeitfenster nicht, sondern handelte stattdessen als Interessenwahrer der Banken.
Auch auf der realwirtschaftlichen Ebene versagte der Diplomvolkswirt Steinbrück während seiner Amtszeit. Während des Krisenjahres 2008 lehnte er jegliche konjunkturpolitische Antwort auf die Finanzkrise so lange ab, bis er von der Realität überholt wurde und zähneknirschend den Mini-Konjunkturprogrammen zustimmte, die im November 2008 beschlossen wurden. Im Folgejahr erlebte Deutschland die stärkste Rezession der Nachkriegszeit. Wieder einmal erwies sich Steinbrücks Tatenlosigkeit im Nachhinein als sehr kostspielig.
Doch von den eigenen Fehlern will Steinbrück bis heute nichts wissen. Der Mann, der während der Krise orientierungslos und seekrank unter Deck hockte und den Bankern das Steuerrad überließ, lässt sich stattdessen heute als Lotse feiern, der das Land angeblich mit ruhiger Hand durch den schlimmsten Orkan der jüngeren Geschichte gesteuert hat. Die SPD konnte er damit täuschen. Doch auch bei den Genossen wird irgendwann die Erkenntnis reifen, dass der Mann, der auch die Agenda 2010 noch heute als „größte politische Leistung der Nachkriegsgeschichte“ sieht, vielleicht doch nicht der richtige Kandidat ist.
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