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Debatte PapstDer Gott der Vernunft

Kommentar von Rudolf Walther

Dafür, dass er an den Piusbrüdern fest hält, muss man Papst Benedikt XVI. kritisieren. Die rustikal-naive Bibelkritik des Theologen Gerd Lüdemann hilft da jedoch nicht weiter.

Nach zahlreichen Protesten hat Papst Benedikt XVI. es jetzt abgelehnt, den Reaktionär Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz zu ernennen. Er hat sich ja schon genug in die Nesseln gesetzt, als er die Exkommunikation von vier Bischöfen aufheben ließ. Die Debatte drehte sich vor allem um Bischof Richard Williamson, der die Vernichtung der Juden bezweifelt. Die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der "Priesterbruderschaft St.Pius X.", 1970 von Bischof Marcel Lefebvre gegründet, geriet dahinter etwas aus dem Blick.

Franz Schmidberger ist Statthalter der Bruderschaft in Deutschland und wurde schon 2005 vom Papst empfangen. Zusammen mit den ebenfalls 1988 exkommunizierten Bischöfen Bernard Fellay und Bernard Tissier de Mallerais gehört er zu den Einpeitschern der Bruderschaft. Alle drei orientieren sich am Erbe des 1991 verstorbenen Lefebvres, der "die Idole des modernen Menschen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Demokratie" und das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) schroff ablehnte. Die Aufklärung bezeichnete Tissier de Mallerais noch 2006 als "Krankheit", ein integraler Bestandteil der Lehren der Bruderschaft ist ihr kategorisches Nein zur Anerkennung des Judentums. Diese wurde 1965 in der Enzyklika "Nostra Aetate" festgeschrieben: "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch nicht die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen." Damit wurden die Juden von der Jahrhunderte währenden, pauschalen Stigmatisierung als "Christusmörder" befreit. Die Piusbrüder haben diese Befreiung nie akzeptiert. Franz Schmidberger meinte noch im Oktober 2008, "die Juden unserer Tage sind nicht nur nicht unsere älteren Brüder im Glauben", sondern "mitschuldig" am Kreuzestod Christi, solange sie sich nicht taufen lassen.

Wie die Fundamentalisten aller Religionen hängen auch die Piusbrüder am Wortlaut der Schrift. Im neuen Testament gibt es Stellen, in denen die Juden pauschal für die Kreuzigung verantwortlich gemacht werden, obwohl auch unter den frühen Christen viele jüdischer Herkunft waren - wie Jesus selbst. Papst Benedikt leistete der wörtlichen Lesart der Bibel im März letzten Jahres insofern Vorschub, als er die Karfreitagsliturgie revidierte. Von 1570 bis 1959 war darin von "treulosen Juden" die Rede. Die Revision von 2008 macht das nicht gerade rückgängig. Sie formuliert den Text aber so trickreich, dass heutige Juden sich nur als missionsbedürftige Gläubige - "Brüder" minderen Ranges - betrachten müssen.

Mit dem Festhalten am Wortlaut der Bibel bedienen die Piusbrüder alte antijudaische und antisemitische Ressentiments. Dies wird in ihren Publikationen deutlich, und dafür muß man sie kritisieren. Fragt sich nur, wie. Schließlich gibt es zweierlei Religionskritik - eine intellektuell anspruchsvolle und eine selbstgerecht-grobianische. Der anspruchsvollen Religionskritik in der Zeit der Aufklärung ging es weder um eine Verdammung noch um eine Beschimpfung der Religionen - sondern darum, eine Grenze zwischen Glauben und Wissen zu ziehen, also Wissen vor religiösen Übergriffen abzusichern und gleichzeitig dem "Glauben Platz" (Kant) zu lassen. Die Bedeutung und den Stellenwert der Religionen dagegen bestritt diese Religionskritik nicht. Sie hätte mit einem solchen Beweisgang ihre auf Erfahrung und verallgemeinerbare Moralgesetze gestützte Selbstbegrenzung überschritten.

Der evangelisch-lutherische Theologieprofessor Gerd Lüdemann ist zwar Kirchenmitglied, kämpft aber mit seinen Büchern ("Der Große Betrug" 1998, "Jesus nach 2000 Jahren" 1999, "Im Würgegriff der Kirche" 1998) gegen die Offenbarungsreligion und für "die Freiheit der theologischen Wissenschaft". Das ist sein gutes Recht in einer Gesellschaft, in der Meinungs- und Religionsfreiheit herrschen. Doch die Art, wie Lüdemann kritisiert, weist ihn als intellektuell grobschlächtigen Religionskritiker und Zwillingsbruder der katholischen Fundamentalisten aus. Denn wie diese, liest auch er die Bibel wörtlich - freilich nicht, um ihr beizustimmen, sondern um sie "wissenschaftlich" zu widerlegen. Vom Podest der historisch-kritischen Bibelkritik herab sieht er das Neue Testament "stark von Antijudaismus geprägt", weil er die Bibel wie eine historische Quelle liest - oder wie ein Koranschüler den Koran - und nicht wie eine durch und durch vom Glauben geprägte Sammlung von Geschichten, Legenden und Gleichnissen. Solche rustikal-naive Bibelkritik, die sich zu Unrecht "historisch-kritisch" nennt, übernimmt sich und fällt in einen Selbstwiderspruch, wenn sie dekretiert: "Die ganze frühchristliche Lehre steht auf tönernen Füßen. Sie wurzelt in Glauben an die Auferstehung. Diese hat aber nie stattgefunden." Da fragen sich weniger Eifernde und aufgeklärte Nicht-Gläubige nur, woher Lüdemann das so genau weiß. Glauben darf er seinen Satz allemal. Aber er war so wenig "Augenzeuge" wie die Evangelisten, denen er genau das vorwirft.

Geradezu grotesk ist Lüdemanns Verständnis von Geschichte überhaupt und Religionsgeschichte im Besonderen. Er wirft dem Gott des Alten wie jenem des Neuen Testaments und dem des Koran ernsthaft vor, sie würden nicht "die Werte unseres freiheitlich-demokratischen Staates" teilen. Mit solcher Boulevard-Rhetorik ließe sich auch Johann Sebastian Bachs bibeltreue "Matthäuspassion" im Handstreich als "antisemitisch" denunzieren. Die Artikulation von Religionen ist keine Verfassungs- und keine Gesinnungs-, sondern eine Glaubensfrage. Vom Recht tangiert sind Religionen nur insofern, dass sie niemandem etwas zumuten dürfen, was der Rechtsordnung widerspricht - zum Beispiel die Beschneidung von Mädchen.

Religiöser Fundamentalismus und Vernunftfundamentalismus sind zwei Seiten einer Medaille. Die eine Seite destilliert aus religiösen Schriften granitene Glaubenssätze für ewige Zeiten, während die andere die Potentiale von Aufklärung und Vernunft überdehnt.

Papst Benedikt XIV. kennt sich in beiden Fundamentalismen aus. In seiner Regensburger Rede von 2006 zitierte er einen byzantinischen Kaiser mit dem Satz, der Prophet Mohammed habe an Neuem "nur Schlechtes und Inhumanes" in die Welt gebracht. Der Skandal war jedoch nicht dieser Glaubenssatz, sondern die These des Papstes, nur das Christentum bürge für eine "Einheit" von Glauben und Vernunft. Nicht-Christen sind demnach genuin vernunftlose Fanatiker oder Gläubige zweiter Klasse.

Mit der Behauptung solcher "Einheit" desavouierte Ratzinger Glauben und Vernunft wie Lüdemann. Letzerer karikiert kritische, sich ihrer Grenzen bewusste Vernunft als "theologische Wissenschaft", wenn er das Ende "der christlichen Offenbarungsreligion" glaubt beweisen zu können. Derlei ginge als münchhausische Kapriole zur Selbstrettung durch, wenn sie nicht so abgestanden und selbstgerecht daherkäme.

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6 Kommentare

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  • UH
    Uwe Hammermeister

    hallo,ihrliebdogmenprägungsgläubigenanschauungweltbilddenker, was ist denn an glauben dran??

    es nicht zu wissen!!

    die beste überlebensform ist eine tiermenschliche

    kommunikation wo ein gemeinsames er/lebeninteresse

    besteht. einfach,selbstständig,freiheitlich ohne druck

    von allen eingebläuten prägungsseiten eine offene reflektion und denken zu erreichen.

    siehe kant "der kategorische imperativ" wolle mögliche normen"

    gruß hexe

  • FW
    Franz Wulf

    es ist eine anmaßende frechheit, was dieser artikel über gerd lüdemanns einwandfreie wissenschaftliche arbeit kolportiert... und ja, dieses niveau journalistischer kritik hätte mindestens das attribut einer grotesken naiv-grobschlechtigen farce verdient! ...darin und in weiteren beleidigungen möchte ich mich an dieser stelle nicht verlieren...

     

    hier wird lüdemanns geschichtsbild, religionsgeschichtsbild kritisiert. schön und gut, über geschichtsbilder gibt es immer das ein oder andere wörtchen zu reden... nie, so darf man nach beinahe 2500 jahren geschichtsschreibung etwas zähneknirschend reflektieren, nie waren sich alle historiker darüber einig, wie eine ethisch und sachlich angemessene repräsentation der vergangenheit voruznehmen sei.

     

    was allerdings die auslegungsgeschichte der bibel angeht, muss man nicht sehr klug sein, um zu begreifen, dass sich das anti-nichtjüdisch-christliche evangelium - das evangelium des "kleinen" volkes bis weit über das mittelalter hinaus - , das matthäusevangelium, grausam bewahrheitet hat. in der tat wurden liebe menschen zu tode gebracht und ins feuer geworfen - sie waren keine schlangenbrut, wie luther einst übersetzt hatte.

     

    antisemitismus - und dazu stehe auch ich nach 5 jahren bibelstudiums - er ist leider gottes in der bibel angelegt.

     

    und nun da wir bereits klargestellt haben, dass es keine verbindliche definition dafür gibt, wie geschichte aufzuschreien ist, dürften wir uns auch darüber einigen können, dass ebensfalls niemandem vrogeschrieben werden kann, wie er seine "heilige" schrift liest.

     

    damit votieren wir weiterhin für die möglichkeit eines bibel-basierten antisemitismus!

     

    ...und dies einmal deutlich von seiten der theologischen wissenschaft gesagt zu bekommen, hier durch herrn lüdemann, goutiere ich als ehrliche und verantwortliche tat eines freien und gebildeten menschen.

     

    probleme wegzudisskutieren, wie es der artikel tut - und ich habe jetzt nur in aller gegebenen kürze zum thema des bibelinternen antijudaismus gesprochen - ist gefährlich, ja beinahe intellektuell blind.

     

    wenn dynamit meschen töten kann, wird es das auch für uns in unseren händen zu gegebener zeit tun. wenn es keine wächter hat.

  • P
    P.Schmidt

    Warum Glauben?

    Da erwähne ich gerne Max Planck, dessen persönliche und intellektuelle Statur in der Tat äusserst beeindruckend ist. Als beeindruckend empfinde ich insbesondere seine Aussage "dass ich als eine Gnade des Himmels betrachte, dass mir von Kindheit an der feste, durch nichts beirrbare Glaube an den Allmächtigen und Allgütigen tief im Inneren wurzelt". Das ist nicht nur beeindruckend, das weckt in mir eine Sehnsucht. Denn ich würde mir auch für mich wünschen, dass mein Glaube so trägt.

    Bleibt die Frage: Warum sind Menschen heute Atheisten?

    Ich versuche mal eine einfache Antwort (aus eigener Erfahrung): Sie sind als spirituelle "Analphabeten" aufgewachsen, oder, sie sind spirituelle "Taubstumme". Glauben heißt Vertrauen, deshalb müsste man Erfahrungen mit Gott machen, sich vertrauensvoll auf Gott einlassen, auf ihn den "den Allmächtigen und Allgütigen" (Max Planck). Wer traut sich das denn noch?

  • JP
    Joachim Petrick

    Lüdemann hin, Lüdemann her, warum ist es denn so schwer, vom Vatikansstaat wie den USA, Israel, der Atonomiebehörde in Palästina, de4m Iran,Syrien, Afghanistan die Anerkennung der Menschenrechts- Charta der Vereinten Nationen, des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, gepaart mit der Ächtung des Holocaust ex cathedra zu forderrn?, damit diese Anererkennung in der säkulkaren wie klerikalen Kommunikation des Glaubens wie Unglaubens, kommunal, gemeindenah wie universal Eingang findet?

    Niemand will eine Mauer bauen!, nicht einmal in Israel!? Niemand wirft dem Glauben Glaube vor, außer, welcher Farbe des Glaubens auch immer, seinen missionarisch fundamentalistischen Allein- Gültigkeitsansprüch?

    JP

  • B
    birdboy

    Vielen Dank für diesen großartigen Kommentar!

  • DP
    Detlef Piepke

    "Die Artikulation von Religionen ist keine Verfassungs- und keine Gesinnungs-, sondern eine Glaubensfrage."

    Die Artikulation von Religion ist KEINE Gesinnungsfrage???

    Wenn Religion etwas ist, was Keine Gesinnung zur Folge hat, was ist sie denn dann??? Halt völlig sinnlos!

    Seid ihr jetzt zu den Religionshütern übergelaufen? Früher dachte ich mal, ihr stündet auf der Seite der Aufklärung.

     

    Detlef Piepke