Debatte Neue Koalitionen: Wir wollen Schwarz-Grün
Wer glaubt, CDU und Grüne kämpften für unvereinbare Positionen, hat die Zeichen der Zeit verpasst. Und auch die Atomkraft ist schon längst kein Spaltpilz mehr.
A uch die CDU stößt an die Glasdecke des Wachstums. Viele Milieus lassen sich nicht mehr mir nichts, dir nichts mobilisieren, jedenfalls nicht für politische Ziele. Zunehmend bleibt man "unter sich"; es fehlen die Themen, über die alle reden.
Das Verbindende innerhalb der CDU, die Sinnstiftung über christliche Werte, ist im Rückzug - und allzu kirchennah darf (und kann) es sowieso nicht mehr sein. Ist das Milieu der Kirchgänger zwar auch weiterhin wichtig für die Akzeptanz der Union - die Menschen dort werden weniger und modernisieren sich nur noch (dann ebenso kräftig wie kurzlebig) über Kirchen- und Katholikentage, was eine sonntägliche Gemeindearbeit jedoch kaum erreicht. Modernisierung aber ist unabdingbar für jedwede Erneuerung, auch die der Union. Genauso die Öffnung der CDU-nahen Milieus für neue und andere werteorientierte Fragestellungen.
Auf der "anderen Seite", beim lange so genannten alternativen Milieu, dominieren Selbstgewissheit und das "Gutmenschentum". Man gibt sich postmateriell, steht auf der Seite der Unterdrückten, macht sich auf die Suche nach der besseren Gesellschaft - und ist zugleich Boheme. Die Sinnfrage wird lautstark gestellt, man ist aber ungläubig, wenn sich ein christdemokratischer Politiker werteorientiert verhält. Höchste Zeit, sich des Vorurteils zu entledigen, dass eine schwarz-grüne Koalition angeblich aus "kulturellen Gründen" ausgeschlossen sei.
Unabhängig von ihren Milieus hat sich die Union in der Bundesregierung erfolgreich modernisiert und den Weg weiter beschritten, der einst in den 1980er-Jahren mit der Thematisierung der Frauenfrage begann. Nicht nur, dass die CDU die Kanzlerin stellt - das Modernisierungsprogramm für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfreut offenkundig Mütter, Väter und Kinder.
Die Bündnisgrünen dagegen sind wieder - so wirkt es - mehrheitlich in ihr angestammtes Milieu zurückmarschiert und haben den Weg von den Regierungs- auf die Oppositionsbänken dazu genutzt, verbal radikal zu bleiben, sich inhaltlich anzupassen und personell auf 1998er-Niveau zu verharren.
Für mich steht fest: Wir werden die sozial-moralischen Voraussetzungen unserer Gesellschaft benennen und erneuern müssen. Wenn es stimmt, was Karl-Erivan Haub, Gesellschafter der Mülheimer Tengelmann-Gruppe, beschreibt, dass wir "den höchsten Lebensstandard gemessen am Bruttosozialprodukt hinter uns haben", dann muss das in der Politik "ankommen".
Deshalb steht - im Sinne von Jürgen Habermas - die Debatte um die "Zivilgesellschaft" auf der Tagesordnung. Wie beteiligen wir sie an politischen Prozessen? Die inzwischen hoch professionalisierte Politikmaschine muss für die Brücken von Parteien und Politikern zur Zivilgesellschaft sorgen, sie muss dem Subsidiaritätsprinzip - und damit dem "Recht der kleinen Lebenskreise" - dringend eine neue Renaissance verschaffen.
Kommunalpolitiker können, ja, müssen, für diese Erneuerung Trendsetter sein. Sie werden an der Praxis gemessen. Ihre Parameter müssen sein: Ansprache, Akzeptanz und Augenhöhe. Oder: Solidarität und Subsidiarität. Denn, so formuliert es der Philosoph Peter Sloterdijk: Die Gesellschaft der Zukunft ist "zum Vertrauen verurteilt". Reichlich Arbeit für Schwarz-Grün. Die CDU mit der katholischen Soziallehre im Gepäck, ist gewappnet für den sozial-moralischen Diskurs und für den Umbau einer Gesellschaft, die zivilgesellschaftliches Engagement in großer Vielfalt ermöglichen will. Und die weiß, wovon sie spricht, wenn sie verstärkt die Familien stärken und fördern will, "auf die in guten und in schlechten Zeiten Verlass ist" (Ursula von der Leyen).
Die aktuelle Atom-Debatte ist von der CDU nicht gewollt. Sie hat eine klare Position für einen Energie-Mix, der die Atomkraft einbezieht. Die Union pflegt intensiven Kontakt zu allen Energieproduzenten und kommt in den Ländern ihrer Aufsichtspflicht gegenüber Atomkraftbetreibern nach - Ole von Beust aus dem schwarz-grünen Hamburg ist hier keinen Deut weniger eindeutig als Sigmar Gabriel. Kein CDU-Politiker wird sich von einem Energiekonzern die Glaubwürdigkeit nehmen lassen. Deshalb: Zeit-Chefredakteur Bernd Ulrich liegt richtig, wenn er schreibt: "An der Atomkraft würde Schwarz-Grün nicht scheitern, vielmehr wäre Schwarz-Grün das endgültige Aus für die Atomkraft in Deutschland."
Doch auch jenseits der Atomfrage wird die sozial-moralische Erneuerung nur dann gelingen, wenn sie die ökologische Perspektive beinhaltet. Forderungen des "Grünen Neuen Gesellschaftsvertrages", mit dem die Bündnisgrünen in den Bundestagswahlkampf ziehen, sind in einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft jederzeit umsetzbar. Dass durch Umweltprodukte Arbeitsplätze geschaffen werden können, ist eigentlich nicht mehr als neuer Wein in alten Schläuchen. Die Diskussion um Solarenergie bekommt dank Desertec eine neue Dynamik; Eon-Manager verkünden hoffnungsfroh: "Wir steigen schrittweise auf erneuerbare Energien um."
Das Vorhaben der sozial-moralischen Erneuerung unserer Gesellschaft benötigt - unter Führung der Union - zahlreiche Mitstreiter. Im Zeichen der Krise wird viel davon abhängen, wer sich wie lernfähig und engagiert erweist. Wer den Bankern in den Bars klarmacht, dass Umkehr angesagt ist und es Grenzen und Maßstäbe gibt. Wer die Neuordnung der Finanzmärkte nach vorne treibt. Wer aus der Krise gelernt hat und - nur als ein Beispiel! - die Kirchen als Partner ansieht, erst recht nachdem der Papst mit seiner neuen Sozialenzyklika deutliche Worte gefunden hat.
Wir brauchen eine Neujustierung des Verhältnisses von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Die Wirtschaft ist gefordert, ihren diskursiven Beitrag zur sozial-moralischen Erneuerung zu leisten, auch wenn die Aktienkurse wieder steigen. Der ehrenhafte Beruf des Politikers hat in der Krise bereits viel geleistet. Fast schon vorbildlich. Ein funktionierendes schwarz-grünes Bündnis in Berlin wird die Ehre des Berufsstandes weiter mehren.
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