Debatte Muslime: Der Islam ist kein Opfer
Viele Muslime sehen sich als Opfer abendländischer Arroganz. Das hält sie davon ab, Verantwortung für das eigene Schicksal zu übernehmen.
Hat eine unbegründete Feindschaft gegen den Islam im Selbstverständnis des Westens jenen Platz eingenommen, den bis zum Fall des Eisernen Vorhangs der Antikommunismus innehatte? Diese Auffassung teilen so unterschiedliche Autoren wie Eugen Drewermann und Jürgen Todenhöfer. In einer Antikriegsrede in Paderborn fragte Drewermann 2006: "Wie kommt es, dass es dem Westen gelingt, den Islam als paranoide Ersatzgröße für den Bolschewismus in der Nachfolge von 1989 zum Weltgegner der westlichen Zivilisation zu deklarieren?" Und Jürgen Todenhöfer warnt in seinem Bestseller "Warum tötest du, Zaid?": "Wie soll die muslimische Welt an unsere Werte Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat glauben, wenn sie von uns nur Unterdrückung, Erniedrigung und Ausbeutung erlebt?" Er schreibt tatsächlich: nur.
Die Rede vom Feindbild Islam, das allerorten geschürt werde, ist verbreitet. Wenn es gilt, eine allgemeine Feindseligkeit gegenüber Muslimen zu beweisen, wird gern die Wissenschaft herangezogen. "ARD und ZDF schüren Islam-Angst", beklagt etwa Kai Hafez, Medienwissenschaftler an der Uni Erfurt, in einer Studie zum Islambild in deutschen Medien. Hafez hatte im Jahr 2007 die Berichterstattung über Muslime in Magazin- und Talksendungen untersucht und daraus gefolgert: "Nicht die Darstellung des Negativen ist das Problem, sondern die Ausblendung des Normalen, des Alltäglichen und des Positiven."
Klemens Ludwig ist Publizist, Tibetkundler und Minderheitenexperte, er hat sich auch viel mit dem Baltikum und mit Osttimor beschäftigt. Zum Thema seines Beitrags schreibt er zurzeit ein Buch, das im Herbst im Herbig Verlag erscheinen soll. Arbeitstitel: "Ja, aber die Kreuzzüge".
Nun ist der Anspruch der meisten Journalisten nicht, das Normale und Alltägliche aufzugreifen, sondern, über das Besondere und Außergewöhnliche zu berichten. Kann man ihnen das vorwerfen? Geht es in Magazin- und Talksendungen etwa um das Thema "Jugend", stehen meist Gewalt und Drogen im Zentrum. Wer würde deshalb behaupten, ARD und ZDF seien jugendfeindlich?
Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung an der Universität Erlangen ging nach dem Mord an der Ägypterin Marwa El Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal noch einen Schritt weiter und verstieg sich zu dem geschichts- und niveaulosen Vergleich: "Früher waren es die Juden, heute sind es die Muslime." Sind das nur randständige Stimmen? Keinesfalls. Sabine Schiffer ist Mitglied der Islamkonferenz; Kai Hafez berät Ministerien und politische Stiftungen.
Kann es da überraschen, dass auch viele Muslime ihr Bild als ewiges Opfer christlich-abendländischer Arroganz pflegen? Als Faruk Sen, der ehemalige Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen, in einer türkischen Zeitung schrieb, die Muslime seien "die neuen Juden Europas", war hierzulande die Empörung groß. Als der britische Staatssekretär Shahid Malik das Gleiche sagte, war die Empörung schon weitaus geringer.
Doch wem nützt es, den Islam als ewiges Opfer zu zeichnen? Einem aufgeklärten, emanzipierten Islam, der gleichberechtigter Teil der europäischen Gesellschaften ist, sicher nicht. Wer sich als Opfer fühlt und von anderen in dieser Rolle bestätigt wird, hat wenig Anlass, sich über die eigene Verantwortung für sein Schicksal Gedanken zu machen. Opfer zu sein ist bequem und erhöht den Betreffenden moralisch - jedenfalls solange sich das Leiden in Grenzen hält.
Nicht dass es in Teilen der Bevölkerung keine Ressentiments gegen Muslime gäbe. Sie gehören jedoch - zumindest in Deutschland - nicht zum gesellschaftlichen Konsens. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, wie berechtigt der muslimische Opferdiskurs ist. Die Politik - in Gestalt des Innenminister Thomas de Maizière - heißt den Islam in Deutschland willkommen. Rechte Splitterparteien, die mit islamfeindlichen Parolen Stimmung machen wollen, sind bislang meist kläglich an der Fünfprozenthürde gescheitert. Und zahlreiche Gerichtsurteile, ob es nun ums Schächten oder Gebetsräume an Schulen geht, machen deutlich, dass der Rechtsstaat auch Muslimen die Ausübung ihres Glaubens garantiert.
Auch in historischer Perspektive betrachtet, ist der Islam nicht immer bloß Opfer des christlichen Westens gewesen. Natürlich gab es die Kreuzzüge und auch den Kolonialismus. Aber was wechselseitige Gewalt angeht, die es zu überwinden gilt, standen und stehen sich die beiden Seiten in nichts nach. Das gilt nicht erst für die Eroberung des Balkans durch das Osmanische Reich, die von der dortigen Bevölkerung überwiegend als Unterjochung empfunden wurde. Auch dass der Islam in Zentralasien, wo einst buddhistische Reiche herrschten, oder in Nordafrika ausschließlich auf friedlichem Wege verbreitet worden wäre, ist eine fromme Legende, deren Verbreitung auf Unkenntnis und dürftiger Forschung gründet. Wenig bekannt ist etwa das Schicksal des "Zweiten Karthago", der wichtigsten byzantinischen Metropole Nordafrikas, die im Jahr 698 von arabischen Verbänden vernichtet wurde.
Um nicht missverstanden zu werden: Diese Beispiele sind nicht dazu gedacht, aufzurechnen. Sondern dazu, aufzuklären. Denn es führt nicht weit, im Dialog der Kulturen nur auf die Schattenseiten der einen Seite zu verweisen. Statt zwischen Opferklischees und Diskriminierungsvorwürfen zu schwanken, sollte man sich auf Augenhöhe begegnen. Dazu gehört, dass sich Muslime den dunklen Facetten ihrer eigenen Geschichte stellen - und die Ursachen für manche Entwicklungsdefizite auch bei sich selbst suchen. Impulse dazu gibt zum Beispiel der Arab Human Development Report der UNDP, der als wesentliche Gründe für die Unterentwicklung vieler arabischer Länder die Defizite im Bereich der Bildung, der persönlichen Freiheiten und der Stellung der Frau nennt.
Der frühere Präsident von Malaysia, Mahathir Mohamad, ein selbstbewusster Muslim, hat dies einmal so formuliert: "Die Krisen und Probleme entstanden auch, als muslimische Geistliche anfingen, Fachgebiete zu vernachlässigen, die als weltlich wahrgenommen wurden, wie zum Beispiel Naturwissenschaften, Mathematik, Medizin und Technik, und sich nur auf religiöse Studien konzentrierten. Das war ein großer Fehler." Diese Erkenntnis lässt wenig Raum für einen simplen Opferdiskurs, aber viel für Entwicklung.
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