piwik no script img

Debatte Mexikos Banden-ProblemDrogenkartelle als Teil der Volkskultur

Toni Keppeler
Kommentar von Toni Keppeler

Mehr als 32.000 Menschen sind der Drogenkriminalität zum Opfer gefallen. Die Kartelle sind Teil der Volkskultur geworden. Der Krieg gegen die Kartelle kann nicht gewonnen werden.

Tristes Ende: Forensiker beerdigen 33 Opfer organisierter Kriminalität in Ciudad Juarez, um die sich keine Angehörigen kümmerten. Bild: dpa

V ier Jahre schon wütet der Drogenkrieg in Mexiko, und ein Ende ist nicht in Sicht. Über 32.000 Menschen sind schon eines gewaltsamen Todes gestorben - mehr als zehnmal so viele wie in Chile in den 17 Jahren der Pinochet-Diktatur. Und die Spirale der Gewalt dreht sich immer schneller. Ein Beispiel nur: Ciudad Juárez hatte schon vorher durch Hunderte von ungeklärten Morden an Frauen traurige Berühmtheit erlangt.

Doch im Vergleich zu dem, was jetzt dort passiert, verblasst der skandalöse Feminizid. In der Dekade vor dem Drogenkrieg zählte man in dieser Stadt 200 Morde pro Jahr. Im vergangenen Jahr waren es erstmals über 2.000, in diesem Jahr sind es mehr als 3.000.

Zwar verkündet Mexikos Präsident Felipe Calderón in steter Regelmäßigkeit Erfolge - ein gefangener oder erschossener Drogenboss, ein paar hundert Kilo beschlagnahmtes Kokain oder ein ausgehobenes Waffenarsenal. Doch das sind Kinkerlitzchen. 200 Feuerwaffen werden Monat für Monat von Sicherheitskräften beschlagnahmt, 2.000 werden aus den USA importiert. Nein, Calderón wird das Ende dieses Kriegs, wenn es denn jemals eines gibt, mit Sicherheit nicht mehr im Amt erleben.

Bild: Yvonne Berardi

TONI KEPPELER, 54, schreibt seit 16 Jahren für die taz über Mexiko und Zentralamerika. Er lebt in Tübingen und San Salvador und kennt aus eigener Erfahrung nur Haschisch und Marihuana.

Demonstration für die Mafia

Gleich im Dezember 2006, dem ersten Monat seiner sechs Jahre währenden Amtszeit, ließ er die ersten Soldaten in seinen Heimatstaat Michoacán gegen die dortige Mafia La Familia antreten. Vier Jahre später gab es in ebenjenem Michoacán die ersten Demonstrationen - gegen Regierung und Armee und zur Unterstützung des örtlichen Drogenkartells. Das zeigt, dass in Mexiko kein Konsens herrscht über diesen Krieg. Die Mexikaner verstehen ihn nicht als Angelegenheit der Nation, sagt der Schriftsteller und Essayist Juan Villoro. Sie sehen ihn als Privatsache des Präsidenten.

Im Grunde ist der Krieg auch das Ding von Felipe Calderón. Der rechte Politiker hatte die Präsidentschaftswahl mit so wenigen Stimmen Vorsprung gewonnen, dass bei den in Mexiko üblichen Unregelmäßigkeiten genauso gut sein Gegner, der sozialdemokratische Populist Andrés Manuel López Obrador, zum Sieger erklärt hätte werden können. Der akzeptierte seine Niederlage nicht, seine Anhänger legten die Hauptstadt monatelang lahm. Der Krieg gegen die Drogenmafias war ein Befreiungsschlag. Er sollte das Volk hinter dem umstrittenen Präsidenten einen. Dass er damit ein Jahre währendes Gemetzel auslösen würde, war Calderón damals nicht klar.

Es hätte ihm aber klar sein müssen. Drogen sind in Mexiko nicht das dunkle Geschäft von ein paar kriminellen Randgruppen, die man militärisch ausschalten kann, sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Nationalökonomie. Kokain, Heroin und Marihuana sind die wichtigsten Exportprodukte des Landes. Sie pumpen pro Jahr mindestens 40 Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf - in etwa so viel wie die gesamten Überweisungen der Millionen mexikanischer Arbeiter in den USA plus aller Auslandsinvestitionen. Zehntausende Mexikaner leben direkt vom Drogenhandel, Millionen profitieren indirekt davon.

Kindergarten des Drogenbarons

Man kann in Mexiko in einem von Drogenbaronen unterhaltenen Krankenhaus seine Kinder zur Welt bringen und sie dann in einen von Mafias finanzierten Kindergarten und danach in eine ebensolche Schule schicken. Man kann sein Geld in einem legalen Unternehmen verdienen, das dazu da ist, Drogengelder zu waschen. Man kann nach Feierabend zur Musik von Narcocorridos entspannen. Und man kann schließlich vom Beerdigungsunternehmen des örtlichen Kartells unter die Erde gebracht werden. Das Verbrechen ist längst Teil der mexikanischen Kultur.

Und es geht nicht nur um Drogen, es geht auch um Entführung und Erpressung, um Waffen- und um Menschenhandel. Selbst arme Schlucker werden ausgenommen: Jedes Jahr werden über 10.000 illegale lateinamerikanische Wanderarbeiter entführt, die Mexiko auf dem Weg in die USA passieren. Ihre Verwandten zu Hause schicken das Lösegeld per Western Union. Mehr als 400 oder 500 Dollar sind da nicht zu holen. Die Masse machts. Polizei und Armee sind in diesem Geschäft genauso engagiert wie Drogenkartelle.

Hohe Politik und Verbrechen

Trotzdem ist Mexiko im lateinamerikanischen Umfeld noch immer ein relativ sicheres Land. Zwar gehört Ciudad Juárez zusammen mit San Pedro Sula in Honduras und San Salvador in El Salvador zu den gefährlichsten Städten der Welt, im Landesschnitt aber werden in Mexiko 14 Menschen pro 100.000 Einwohner im Jahr ermordet; in Honduras und El Salvador sind es über 70. In Mexiko-Stadt gibt es weniger Morde als in Washington und die Kriminalitätsrate der Ferienhalbinsel Yucatán ist nur unwesentlich höher als die von Deutschland.

Es gibt sie noch, die Rückzugsgebiete der Seligen. Dort leben die Familien der Politiker und genauso die der Drogenbosse, und oft sind das ein und dieselben. Hohe Politik und Verbrechen sind in Mexiko schon lange miteinander verbandelt. Raúl Salinas, der Bruder des Präsidenten Carlos Salinas (1988 bis 1994) machte Hunderte von Millionen Dollar mit Drogengeschäften und ließ den Generalsekretär der damaligen Staats- und Regierungspartei PRI ermorden, weil der zu viel davon wusste. Bruder Carlos ging nach seiner Amtszeit vorsorglich ins selbst gewählte Exil.

Dies war das Erfolgsrezept der sieben Jahrzehnte der PRI-Herrschaft: Politik und Mafias arbeiteten zusammen und teilten sich den Gewinn. Es war verhältnismäßig friedlich, und eben deshalb wünschen sich viele Mexikaner die PRI zurück. Es gibt nur einen anderen Weg: Man muss den Drogenmafias das Geschäft verderben. Das aber geht nur, wenn Drogen legalisiert werden.

In Mexiko fordern das inzwischen nicht nur ein paar Haschischfreaks und linke Soziologen, auch Vicente Fox und Ernesto Zedillo, die beiden Amtsvorgänger von Calderón, schlagen vor, wenigstens mit der Legalisierung von Marihuana zu beginnen. Vom Umsatz her ist das Kraut für die Kartelle wichtiger als Kokain. Das wäre ein erster Schritt. Doch Calderón will nichts davon wissen. Er will einen Krieg gewinnen, den er nie gewinnen wird, solange so viel Geld im Spiel ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Toni Keppeler
Auslandskorrespondent Mittelamerika
1956 im Hohenlohischen geboren. Hat beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen Journalismus gelernt und dort als Redakteur fast zehn Jahre lang ausgeübt. Danach war er vier Jahre Journalismusprofessor an der Zentralamerikanischen Universität in San Salvador, acht Jahre Korrespondent für Mittelamerika und die Karibik für taz (Berlin) und Weltwoche (Zürich) und vier Jahre Auslandsredakteur beim Schweizer Nachrichtenmagazin Facts. Von 2006 bis 2009 bei der Reportage-Agentur Zeitenspiegel, zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung. Er ist Dozent an der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl in Reutlingen und der Burda Journalistenschule in Offenburg. 1987 wurde er mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. 2010 Mitgründer von latinomedia - Büro für Journalismus. Er betreut seither das latinomedia-Büro Tübingen und pendelt zwischen Deutschland und Lateinamerika.

7 Kommentare

 / 
  • N
    NaBoHi

    Eine Legalisierung in Mexico würde bedeuten, dass der Staat den Krieg gegen die Drogen einstellt.

    Der Transport durch das Land würde, wie du richtig schreibst, weiter fortbestehen. Allerdings dürfte die Gewalt, insbesondere gegen Zivilisten, eklatant zurückgehen.

  • M
    mota

    Legal, Illegal, Scheissegal! trifft, in diesem Fall wohl leider, auf das mexikanische Gesellschaftsverständniss zu, so dass weniger der legale Rahmen als vielmehr die finanziellen und sich durch soziale Verbindungen ergebenden Möglichkeiten der "palanca", des Hebels, ausschlaggebend sind. Mexiko hat viele wunderbar progressive Gesetzte, doch das Papier auf dem sie geschrieben stehen verschleiert nur eine gegenteilige Alltagsrealität.

  • F
    frage

    verstehe nicht ganz wozu Legalisierung gut sein soll. Die Konsumenten in Mexiko sind nach Statistik verschwindend gering bei 80 Millionen Einwohnern. Ist mehr Mythos als sein. Der Hauptjob ist der Transport ausser Landes. Was soll da eine Legalisierung.

  • C
    cannabispetition

    Für alle die die Problematik schon durchschaut haben, gibt es unter

     

    Cannabispetition.de

     

    eine Petition zur Entkriminalisierung von Cannabis

     

    Bitte unterschreiben und weitersagen!

  • AU
    A und O

    Die Drogen an sich sind nicht gefährlich und müssen auch nicht abhängig machen.

    Der Mensch muss lediglich richtig geschult sein, wenn er mit Rauschmitteln gut leben soll.

    Dies ist aber nicht nicht der Fall wenn, wenn sich die Drogenaufklärung darauf erstreckt, dass in der Schulzeit mal ein Polizist zu Besuch in die Klasse kommt und erzählt, wie böse doch Drogen sind.

  • N
    NaBoHi

    Ich denke die Menschheit ist heute weiter als damals sowohl China als auch die USA.

     

    Wer sich informiert, kann die Gefahren für Andere vermeiden und für sich Selbst einschätzen.

    Viele der Gefahren fallen bei einer Legalisierung weg.

    Ich denke da an Streckmittel, Strafverfolgung, Ausgrenzung, Beschaffungskriminalität, Unklarheit über Herkunft, Qualität und Zusammensetzung der Drogen.

     

    All diesen Gefahren kann man auf einem legalen Markt begegnen und so die Risiken letztendlich minimieren.

     

    Die Verknüpfung von Angebot, Beratung und Hilfe ergibt die oben eingebrachte Situation, dass der Konsument einen klaren Überblick über Gefahren und Risiken erhält und eine mündige Entscheidung treffen kann.

     

    Natürlich kann man nicht alles für jeden zugänglich machen. Aber man muss immer sehen, dass jede Restriktion den Schwarzmarkt stärkt und ein Totalverbot dem Schwarzmarkt gut zahlende Kundschaft (aus-)liefert.

     

    Sollte meine Stimme nicht genügen, möchte ich auf den "Schildower Kreis" verweisen, der ebenfalls für eine Legalisierung aller Drogen eintritt.

     

    http://www.schildower-kreis.de/manifest/

  • N
    Ndege

    "Es gibt nur einen anderen Weg: Man muss den Drogenmafias das Geschäft verderben. Das aber geht nur, wenn Drogen legalisiert werden."

     

    Die Legalisierung von Marihuana mag noch angehen - Was aber passiert, wenn man das mit allen Drogen macht, zeigt die Geschichte der USA in denen bis Anfang des 20 Jhds. keinerlei Verbot oder Regulierung herrschte. Die Auswirkungen waren katastrophal. Wer sich ein Bild des Elends machen will, kann ja gerne mal bei youtube nach den entsprechenden Beiträgen des History Channels suchen.

     

    By the way: In China war kurz vor der Machtergreifung der Kommunisten ein Drittel der Gesamtbevölkerung opiumabhängig. Kurz nachdem sie an die Macht kamen, war so gut wie niemand mehr opiumabhängig. Wie Mao das wohl gemacht hat? Sicher nicht durch Legalisierung.