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Debatte LibyenGegen alle Prinzipien

Kommentar von Bernhard Stahl

Libyen ist das Paradebeispiel für einen "gerechten Krieg". Deutschland aber pflegt unverbindlichen Pazifismus und Großmachtallüren.

M it dem Ende des Kalten Krieges wurde der Westen zusehends mit dem Problem zerfallender Staaten konfrontiert, oft begleitet von Verbrechen grauenvollen Ausmaßes. Manches Mal reagierte die Staatengemeinschaft gar nicht und ließ einen Völkermord geschehen (Ruanda, Kongo), andere Male langsam und zögerlich (Bosnien, Darfur) und nur vereinzelt konsequent (Kosovo, Sierra Leone, Salomonen-Inseln). Für das entschlossene Eingreifen wurde der Begriff der humanitären Intervention geprägt.

Die Theorie dafür hatte der liberale kanadische Philosoph Michael Walzer in seinem Buch "Just and Unjust Wars" schon 1977 geliefert: Diktatoren und Warlords sollten sich nicht länger auf staatliche Souveränität berufen dürfen, wenn sie in großem Maßstab elementare Menschenrechte verletzen. Die Demokratien hätten, so verlangt es auch eine - von Deutschland 2009 unterzeichnete - Resolution der UNO-Generalversammlung, eine "responsibility to protect": eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte.

Walzer stellte eine Art Checkliste auf, wann eine humanitäre Intervention geboten erscheine. Neben dem "gerechten Grund" der Verletzung von Menschen sollten keine selbstsüchtigen Motive der Interventionsmächte eine Rolle spielen. Eine formale Legitimation wäre wünschenswert, die Verhältnismäßigkeit der Mittel sollte gewahrt und alle üblichen diplomatischen Instrumente erschöpft sein. Schließlich sollte eine Intervention Aussicht auf Erfolg haben.

Michael Walzers fünf Kriterien

Wendet man diese Kriterien auf Libyen an, erscheint dieser geradezu als Paradebeispiel für einen "gerechten Krieg": Das libysche Volk erhebt sich gegen einen Diktator, der das Land seit gut 40 Jahren regiert, dieser rekrutiert Söldner aus dem Ausland und bombardiert die eigene Bevölkerung mit seiner Luftwaffe. Jenseits dieses "gerechten Grundes" und der "right intentions" der Interventionsmächte, an denen man durchaus zweifeln mag, ist ein Eingreifen auch legitim: Die Resolution Nr. 1973 des UN-Sicherheitsrats erlaubt die Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung. Nicht zuletzt erscheint der Konflikt mit relativ begrenzten militärischen Mitteln gewinnbar. Luftangriffe versprechen in einem weiten, weithin unbewaldeten Land mit relativ kleiner Bevölkerung und spärlicher Infrastruktur große Wirkung.

Doch ausgerechnet in diesem klaren Fall verweigert sich die deutsche Außenpolitik, die so sehr auf ihren moralischen Anspruch hält. Warum?

Es lohnt sich, die Haltung der rot-grünen Koalition von 1999 - damals im Einklang mit der Vorgängerregierung Kohls - zu einer Nato-Intervention im Kosovo in Erinnerung zu rufen: keine Toleranz für andauernde und schwerwiegende Menschenrechtsverbrechen, trotz fehlendes UN-Mandats. Die Position der Bundesregierung jetzt bedeutet Wende um 180 Grad: Toleranz für schwerwiegendste Menschenrechtsverletzungen, trotz UN-Mandats zum Schutz von Zivilisten.

Der Kosovo-Interventionskonsens der deutschen politischen Elite ermöglichte 2001 das Engagement in Afghanistan. Zwar wollten vor allem die Grünen auch für das Afghanistan-Engagement vorwiegend humanitäre und idealistische Gründe gelten lassen, doch das Hauptargument lautete im Zuge des Antiterrorkampfs: Die Sicherheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt. Bis heute beruft sich Kanzlerin Merkel auf dieses Diktum und rechtfertigt so die bislang zehnjährige Mission der Bundeswehr.

Doch der Irakkrieg 2003 ist als Argumentationsressource entscheidender, um die deutsche Haltung zu Libyen zu verstehen. Nach Maßgabe Walzers war der Irakkrieg zweifellos ein "ungerechter Krieg" par excellence. Der damaligen Bundesregierung ging es aber nicht so sehr um Legitimität und unausgeschöpfte diplomatische Mittel. Vielmehr beschwor Kanzler Schröder im Wahlkampf 2002 ein Deutschland, das in der Frage von Krieg und Frieden auch unilateral Nein sagen kann.

Mit ihrem doppelten "Nein" - keine deutsche Beteiligung, egal was UNO, Nato oder EU entscheiden würden - brach die Regierung zugleich mit dem multilateralen und proinstitutionellen Grundprinzip deutscher Außenpolitik. Das Vabanquespiel ging auf: Die Bundestagswahl 2002 wurde knapp gewonnen, der außenpolitische Alleingang durch Frankreichs Schwenk und die desaströse Irakpolitik der Bush-Regierung ex post geadelt.

Bernhard Stahl

ist Professor für Internationale Politik an der Universität Passau. Mit Sebastian Harnisch veröffentlichte er den Band: "Vergleichende Außenpolitikforschung und nationale Identitäten: Die Europäische Union im Kosovo 1996-2008" (Nomos).

Merkels deutscher Sonderweg

Damals hatten Merkel und Westerwelle Schröder noch scharf kritisiert: "Unhistorisch" sei sein Kurs, so Westerwelle, weil er an den unheilvollen deutschen Sonderweg erinnere, und Merkel geißelte den deutschen Alleingang als Preisgabe der Bündnissolidarität. In völliger Ignoranz der einstigen Argumente sind Merkel und Westerwelle jetzt auf Schröders Kurs eingeschwenkt: Sie vertreten ein pazifistisches Deutschland, das Nein sagen kann. Die von vielen Kommentatoren damals als "einmaliger Sündenfall" apostrophierte Irakpolitik droht nun zu einem Grundmuster der deutschen Außenpolitik zu werden.

Die Bundeskanzlerin hat mit Blick auf Libyen erklärt, dass Deutschland keinerlei militärische Mittel einzusetzen gedenke, obwohl es die Ziele der Sicherheitsratsresolution "uneingeschränkt" teile. Damit fällt die Kanzlerin in alte Zeiten zurück: Deutschland formuliert Prinzipien, für die andere einzustehen haben. Bezeichnenderweise sagte der Außenminister, Deutschland würde sich an diesem "Krieg" nicht beteiligen. Erinnert sei an dieser Stelle daran, dass weder der Nato-Bombenangriff auf Serbien 1999 noch die ersten zehn Jahre der Bundeswehr in Afghanistan aus deutscher Sicht als "Krieg" galten. Krieg führen offensichtlich nur die anderen.

Die schwarz-gelbe Koalition hat sich in einer unseligen Kombination von Großmachtallüren (ein Deutschland, das Nein sagen kann) und Pazifismus (keine deutschen Soldaten ins Ausland) von der Idee des "gerechten Kriegs" verabschiedet. Ein unilateraler Rückzug Deutschlands aus Afghanistan wird auf diese Weise bereits argumentativ vorbereitet. Und die Bundesregierung sitzt plötzlich in einem Boot mit Putin, Chinas Autokraten, Le Pen und Gaddafi - selten gab es einen beschämenderen Moment der deutschen Außenpolitik.

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12 Kommentare

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  • H
    hans

    kein wunder, dass die franzosen die ersten waren! das sollte man doch ausnutzen.

     

    'Firstly Sarkozy must repay Libya the money he took for his election campaign. We financed his election campaign and we have all the details and we are ready to publish them. The first thing we ask of this clown Sarkozy is that he repay this money to the Libyan people. We helped him become president so that he would help the Libyan people but he has disappointed us. And very soon we will publish all the details and the documents and banking pay slips.'

     

    http://www.euronews.net/2011/03/16/exclusive-saif-al-gaddafi-wants-money-back-from-sarkozy/

     

    zudem werden unsere enkelkinder es uns danken, denn in retrospektive wird alles anderes aussehen:

     

    http://www.infowars.com/wwiii-one-nation-at-a-time/

     

    solange unsere interessen gewahrt werden:

     

    Bella gerant alii, tu felix Germania bailout.

  • H
    hrdlec

    wer kann wirklich noch glauben dass grade wir deutschen mit unserer nationalsozialistischen vergangenheit,als eines der reichsten und einflussreichsten länder der erde uns aus allem heraushalten können und uns auf unserem zusammen"erwirtschafteten" wohlstand selbstgerecht zurücklehnen + "frieden" hauchen können....?

     

    irgendwie sogar beschähmend, "links solidarisch im weltweiten befreihungskampf", aber wehe wenns wirklich ernst wird. da kommt dann alle polemik aufs tableu von wegen kriegsgeilheit/gewalt=böse sowieso/imperialistischer ölkrieg/ innere angelegenheiten ect....

    oh deutschenland,land der schwätzer, land der maulheldenhaften befreihungstheoretiker....

     

    vergleiche müssen her,irak-krieg,obwohl die rahmenbedingungen als auch die augenblickliche situation eine völlig andere war.gewiss, diktatoren+ unterdrückung gibt es weltweit+ man könnte, wenn man wollte überall im"namen der freiheit"intervenieren aber in libyen gehts nun mal ganz aktuell um überhaupt nicht wenige menschenleben....wenn auch nur "libysche"...

  • S
    Stefan

    Ein Kommentar mit der der Politikwissenschaft eigenen analytischen Durchdringungsfähigkeit... humanitären Interventionismus als komplexes historisches Phänomen begreifen, Gegenargumentationen mit intellektueller Lauterkeit prüfen, kulturelle Kontexte und internationale Dynamiken in die eigenen Darlegungen einbeziehen? Alles Fehlanzeige! Simple Gemüter, wie die ganze Branche - man fragt sich echt, wie die zu ihren Professuren gekommen sind! Als Journalisten wären sie besser aufgehoben: sprunghaft Anekdotisches und Widersprüchliches aneinander reihen kann dieser Fachvertreter auf jeden Fall schon ganz gut.

  • JK
    Jürgen Kluzik

    Die deutsche Profitgier und die Abwehr der Flüchtlinge haben dazu geführt Feudalherren wie Ben Ali, Mubarak und Gaddafi zu unterstützen. Heute erzwingen Demonstranten und Revolutionäre eine Festung Europa ohne arabische Schachfiguren. Morgen wird sich das kleine deutsche Ego nur noch um das kleine deutsche Ego drehen.

     

    Freiheit für Libyen! Vive la France!

  • G
    gopabi

    Die Kriterien für einen gerechten Krieg machen die Bombardierung Libyens nur scheinbar zu einem "Paradebeispiel" für einen gerechten Krieg. Die Anwendung der Kriterien kann auch anders ausfallen. Michael Walzer, auf den sich Bernhard Stahl beruft, lehnte am Sonntag in "The New Republic" den internationalen Libyen-Einsatz ab: http://www.tnr.com/article/world/85509/the-case-against-our-attack-libya

  • FS
    Friedrich Schröder

    Super Kommentar, Herr Stahl!

    Umso enttäuschender für mich die ersten 5 Antworten darauf. Pazifismus ist ja ganz schön - besonders wenn man ihn in guten Zeiten als ideolische Monstranz gefahrlos vor sich hertragen kann. Weise ich mich doch dergestalt als den "besseren" Menschen aus! Und sollte ich mal von Rockern überfallen werden, schreie ich "Polizei" - und sollte es mal den Russen belieben, mit Waffengewalt bei uns einzumarschieren: wir schlagen die Panzer mit Palmwedeln in die Flucht!

    Welch heuchlerische Wichtigtuerei! Und welche Kaltschnäuzigkeit gegenüber einem zusammengebombten Volk...

  • W
    WaltaKa

    Allgemeine Meinung in den Deutschen Medien, auch hier: 'geil ey, Mann, da isn Krieg. Und dieses lahmar...Gesockse in der Regierung läßt 'uns', besser die 'Jungs' der Bundeswehr, nicht mittöten' (und sterben, sei angemerkt).

    Mich erschreckt diese Kriegsgeilheit im Lande.

    Wenn ich das richtig sehe, würden bei einer Regierung aus GRÜNEN, taz und SPD die deutschen Truppen längst mit wehenden Grünen- und taz-Fahnen in den nächsten Krieg ziehen. Kriegsbegeistert, jubelnd. Ich komm mir bei diesem Kriegsgejuble vor wie bei den Freiwilligenregimentern zu anno Langemarck. Ergebnis bekannt. Ist das dass was ich unter "Linken" verstehen soll? Da lob ich mir diesmal aber CDU/CSU/FDP. Verkehrte Welt.

  • BK
    Bernd Kudanek

    DIE GRÜNEN dürfen endlich wieder Kriegspartei sein.

     

    Und die taz darf sich u. a. in "unabhängigen" aber tendenziösen embedded comments ganz political correctness geben.

     

    Joseph Martin Fischer und Daniel Cohn-Bendit können sich ganz auf ihre GRÜNE Partei und die taz verlassen.

     

     

    Frei nach Max Liebermann: Ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.

     

    http://freies-politikforum.carookee.com

  • K
    könig

    wenn wir akzeptieren, dass krieg zur durchsetzung (eigen)kultureller werte akzeptabel ist, dann könnten wir eines tages mit der tatsache konfrontiert werden, dass china der meinung ist amerikas sozialsysteme entsprächen nicht den kulturellen grundwerten chinas und dürfte daher amerika angreifen oder frankreich oder deutschland. einfach ein x-beliebiges land. denn es gibt ja auch bliebig andere völker die unterdrückt werden und deren regierungsgegner westliche unterstüzung gebrauchen könnten. denn: wertung ist wertung. faktisch töten alle truppen auch die westlichen. das leben welcher menschen ist nun mehr wert. oder sollten wir eben genau diese frage nicht stellen. und das töten lassen. ich bin stolz in einem land zu leben in dem die vernunft und die geschichte des krieges in diesem punkt gesiegt hat.

  • M
    max

    also unabhängig vom fall libyen, ist der artikel ein ziemlicher - wenn auch professoraler - schmonz. ist der irakkrieg jetzt der "ungerechte krieg per exellence", oder doch der "sündenfall"? ist es jetzt eigentlich doch immer falsch aus der "bündnissolidarität" auszubrechen, oder ist das nur im fall des "gerechten krieges" der fall? eine position des autors habe ich nicht erkennen können, erwarte ich aber bei einem kommentar.

  • H
    hto

    Wenn GRUNDSÄTZLICH alles allen gehören würde, könnte PRINZIPIELL alles wirklich-wahrhaftig ORGANISIERT werden, besonders ein nachahmenswertes Vorbild, welches, in einem "Belagerungszustand" der REINEN Vernunft, jedes intrigante Problem des "freiheitlichen" Wettbewerbs ohne Waffengewalt lösen würde.

  • S
    Süd-Badener

    Bern_hard wie Stahl und zäh wie ......

     

    .... sollte rinks und lechts nicht velwechsern. Aber das fällt wohl zunehmend schwerer, hmmm?

     

    Kompass?

    http://www.thedailyshow.com/watch/mon-march-21-2011/america-s-freedom-packages