Debatte Liberale Demokratie: Mehr Licht für Europa
Die liberale Demokratie wurde einst als das Modell der Zukunft erachtet, ein Selbstläufer, der die Welt erobern würde. Es lohnt sich dafür zu kämpfen.
N ichts wäre einfacher und verlogener, als derzeit durch die Ruinen der Akropolis in Athen zu spazieren und von der glorreichen Demokratie zu reden, die einst in Europa erdacht wurde. Eine europäische Idee zwar, doch sind es die Vereinigten Staaten von Amerika, die im 20. und 21. Jahrhundert die Demokratie als Teil ihrer Mission in der Welt verstehen.
Die Schatten, die dieses Sendungsbewusstsein in den letzten Jahrzehnten geworfen hat, sind bekannt. So wurde beim vierten Athens Democracy Forum der New York Times nicht gefeiert, sondern fünfhundert Denker aus der ganzen Welt inspizierten die Bedrohungen der Demokratie, diskutierten über die Rolle von Religion, Migration, Macht und Geld.
Die liberale Demokratie wurde einst als das Modell der Zukunft erachtet, ein Selbstläufer, der die Welt erobern würde. Doch die Attraktivität dieser Herrschaftsform scheint zu Beginn des 21. Jahrhunderts nachgelassen zu haben: immer mehr autoritäre Regime, immer weniger Pressefreiheit auf allen Kontinenten. Früher reichte das Verlangen der Jugend nach Rockkonzerten, um Regierungen zu stürzen, heute wählen viele freiwillig die harte Hand. Bis sie nichts mehr zu wählen haben.
Der Kapitalismus und die neoliberale Wirtschaftspolitik befinden sich weiterhin auf dem Siegeszug, doch mit ihnen eben nicht vor allem die Pressefreiheit, der Schutz der Menschenrechte, der allgemeine Wohlstand und die Macht des Rechtsstaats, sondern auch autoritäre Regime. Lässt sich noch etwas dagegen tun?
Man könnte so ein elitäres Arbeitslabor, ausgerichtet von einem der führenden Printmedien dieser Welt, als Teil des Problems sehen: Journalisten, Politiker und Vertreter der Wirtschaft unter sich. Doch dafür sind die geladenen Redner zu intelligent, der Anspruch zu hoch. Der Glaube an die Rolle der Medien in funktionierenden Demokratien scheint hier ungebrochen; und der Journalist damit zur Haltung verdammt.
Keine neutrale Berichterstattung mehr
In diesen vier Tagen war mitzuerleben, wie die Redaktion der New York Times jene Position fand, die nur wenige Tage später auf ihrer Titelseite zu finden war: Im Falle Trumps werde fortan keine neutrale Berichterstattung mehr geleistet.
ist Autorin und Kolumnistin. Bei S. Fischer erschien soeben ihr Buch SHEROES – Neue Held*innen braucht das Land. Sie twittert zum Zeitgeschehen unter @jagodamarinic.
In Athen wurde mehrfach Kritik geübt an einer Berichterstattung, die dem Unnormalen der Populisten zu neuer Normalität verhelfe. Business as usual gehe im postfaktischen Zeitalter nicht mehr. Dieser Schritt der Times-Redaktion sei das Ende des „Er sagt …, sie sagt …“-Journalismus, jubelte die Zeitschrift The Atlantic. Endlich ein Ansatz, nicht unfreiwillig Werbung für Trump zu machen.
Das Fazit: Der kritische Journalismus dieser Zeit muss sich neu erfinden, wenn er sich nicht von Populisten instrumentalisieren lassen will. Wo in Deutschland, wo in Europa treffen sich Medienschaffende im Austausch mit anderen Denkern und Gestaltern weltweit, um ihre Rolle in den derzeitigen Entwicklungen zu reflektieren – und zu korrigieren? Es waren vier Tage Debatten über den Zustand Europas und der Welt. Aber auch Tage der Kraft des Dialogs und des Glaubens daran, dass es sich – gerade jetzt – zu kämpfen lohnt.
Den Anfang damit machte der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman. Seine Unermüdlichkeit und Unversöhnlichkeit machen Hoffnung. Statt sich nur über Wirtschaft auszulassen, knüpfte er sich Trump vor und mit ihm die Berichterstattung seiner Medienkollegen. Obamas Wirtschaftsmaßnahmen zeigten messbare Erfolge, sagte er, und dennoch glaubten die Menschen Trumps Interpretationen der Lage der Nation.
Schuld dafür gebe er Medien, die über Trumps Thesen berichteten wie üblich. Man könne jedoch auf Unnormales nicht mit normaler Berichterstattung reagieren. Und dann sagte er etwas – für einen Mann seines Fachs – Erstaunliches: Man erkläre den Zuspruch für Trump gerne damit, dass die Menschen in wirtschaftlich unsicheren Zeiten anfällig für Populisten seien; doch die neusten Zahlen über die USA gäben diese wirtschaftlich schwachen Zeiten nicht her.
Ein schmerzhafter Seitenhieb
Sie geben sich hip, kritisch, unangepasst: Die Identitären sind die Popstars unter den neuen Rechten. Wie gefährlich die Bewegung ist, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. Oktober. Außerdem: Am Sonntag stimmt Kolumbien über das Friedensabkommen zwischen Regierung und Farc-Guerilla ab. Endet damit der Krieg? Und: Die libanesische Künstlerin Zeina Abirached über ihre neue Graphic Novel „Piano Oriental“. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In Wirklichkeit sei Trump ein Teil jener US-amerikanischen weißen Gesellschaft, die sich vor mehr Vielfalt fürchte: Furcht, es könne nicht mehr ihr Land sein. „Und in gewisser Weise“ hätten sie recht, schloss Krugman. Diese Wahl werde nicht durch Wirtschaftsfragen entschieden, sondern durch nationalistische Themen. Sie sei in diesem Sinne eher europäisch. Ein schmerzhafter Seitenhieb. Für beide Seiten des Atlantiks.
Es wäre kein demokratisches Forum, wenn Roger Cohen, einer der führenden Meinungsmacher der Times, nicht andere Erklärungen hätte. Er sehe den kleinen Mann im Zentrum von allem. Die Basis jeder Demokratie sei der kleine Mann, der sein Kreuzchen mache. Ein Einzelner von ihnen möge ja falsch liegen, aber Millionen nicht. Cohen erinnerte an Churchill und wie er – nach seinem Sieg über Hitler – im Juli 1945 aus dem Amt gewählt wurde.
Churchill habe den kleinen Mann samt seinem Wahlkreuz respektiert – weil das Gegenteil davon Tyrannei sei. Wähler senden mit ihrer Wahl eine Botschaft über das Leben, das sie führen, sagte Cohen. Und diese Botschaft sei in der letzten Zeit eine wütende gewesen. Die Eliten, nicht zuletzt jene, die von der New York Times in Athen zusammengebracht wurden, dächten vor allem an ihre eigenen Ziele und nicht an die des Volkes.
Es sei das Zeitalter des Misstrauens. Noch nie sei Politikern so viel Misstrauen entgegen gebracht worden wie Clinton und Trump. Er zählte das weltpolitische Elend der letzten Dekaden auf, Syrien, den Dschihad, die Wirtschaftskrise in Griechenland. Das Säkulare kämpfe nun wieder gegen das Religiöse, das es überwunden zu haben glaubte.
Und als wären diese fernen Krisen nicht genug, werde auf einmal Europa von einer neuen Rechten erobert, die sich gegen die Grundfesten der liberalen Demokratien stelle, die Europas Integration befördert hätten: den Freihandel, die Meinungsfreiheit, offene Grenzen, Rechtsstaatlichkeit, faktenbasierte Debatten. Doch demokratische Institutionen seien stabiler als das Ego eines Trump.
„Demokratie muss jetzt liefern“
Cohen äußerte einen der großartigsten Sätze dieser Tage: „Demokratie muss jetzt liefern – und zwar nicht nur an die Reichen, sondern vor allem an die Verletzlichsten.“ Die Unsicherheit der Verlierer habe zum Brexit geführt. Cohen sagte von sich, er glaube dennoch an die Widerstandsfähigkeit der liberalen Demokratie, denn keine autoritäre Herrschaft könne die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit kontrollieren.
Es ist dieser Glaube an die Neuerfindung, an das Wiederauferstehen, der europäischen Denkern derzeit zu fehlen scheint, allem voran einem Houllebecq, der jüngst den Schirrmacher-Preis erhalten hat. In Athen waren Denker zu erleben, die den Niedergang weder beschreiben noch herschreiben wollen, sondern die Geschichte der Menschheit auch nach Erfolgen durchsuchen. So erinnerte Cohen zuletzt daran, dass auch Churchill nicht auf ewig vom kleinen Mann verbannt, sondern 1951 demokratisch wiedergewählt wurde.
Dünnhäutig und mächtig
Es war das Gespräch von vier renommierten Frauen, unter ihnen Christiane Amanpour von CNN, das den Finger in eine alte demokratische Wunde legte: Woher kommt die neue Attraktivität der Big Men? Orbán, Erdoğan und auch die Faszination für Trump. Amanpour erzählte von einem Interview mit Erdoğan, als sie ihn fragte, weshalb er, der er so ein mächtiger Mann sei, denn so dünnhäutig auf Kritik reagiere. Woraufhin Erdoğan natürlich dünnhäutig reagierte. Sie sagte, es sei die Rolle der Medien, den dünnhäutigen, mächtigen Männern genau solche Fragen zu stellen. Sie zu entlarven. Alles andere sei eine Gefahr für die Demokratie.
Auch Dimitris Avrampoulos, EU-Kommissar für Migration, plädoyierte am späten Abend leidenschaftlich: Migration sei so alt wie die Menschheit selbst, es könne nicht sein, dass Europa auf weltweite Krisen nationalistische Antworten gebe. Gefährlicher als der Terrorismus seien der Nationalismus, der Populismus und die wachsende Xenophobie. Die europäische Familie ließe sich im Stich.
Auf eine Frage aus dem Publikum, weshalb diese europäische Familie die Sache nicht angehe, sondern sich auf Big Man Erdoğan verlasse, reagierte der EU-Politiker seinerseits eher dünnhäutig.
Es war Ken Roth von Human Rights Watch, der mit sanfter Stimme daran erinnerte, dass sich nur wenige vor die Verletzlichen stellten, etwa Angela Merkel. Nach dem letzten Flüchtlingsgipfels in Wien bleibt die Frage offen, wer jetzt noch vor den Verletzlichen steht. Und ob es auf dem europäischen Kontinent in diesen Tagen nach Wien noch etwas dunkler geworden ist.
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