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Debatte Konflikt in OstkongoZehn Jahre für nichts

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Erneut muss die Staatsmacht im Kongo vor Rebellen zurückweichen, die internationale Aufbaupolitik von zehn Jahren ist gescheitert. Es ist Zeit, neue Wege zu gehen.

Im Kongo ist die größte UN-Blauhelmmission der Welt stationiert. Bild: reuters

G eht es jetzt tatsächlich zu Ende mit dem Kongo? Innerhalb weniger Tage hat es die junge Rebellenarmee M23 (Bewegung des 23. März) geschafft, alle Welt vorzuführen. Kampflos konnte eine Gruppe ostkongolesischer Militärs, die sich im April von der Regierung losgesagt hatten, eine Stadt nach der anderen einnehmen und Militärstützpunkte besetzen, als seien es Kindergärten, während sich die Regierungstruppen scharenweise absetzten, plünderten oder gleich in Uganda entwaffnen ließen.

Jetzt droht eine möglicherweise entscheidende Schlacht um die Millionenstadt Goma, wo selbst die massive Präsenz von UN-Elitekampftruppen kein Gefühl von Sicherheit mehr zu erzeugen vermag.

Bemerkenswert ist dabei weniger, dass es in einem so schlecht regierten Land wie dem Kongo bewaffnete Aufständische gibt. Das Außergewöhnliche an der jetzigen Situation ist vielmehr, wie wenig außergewöhnlich sie ist. Der Blitzkrieg der M23 ist der vierte seiner Art in den vergangenen sechzehn Jahren.

Bild: taz
Dominic Johnson

ist Leiter des Auslandsressorts und Afrikaredakteur der taz. Den Kongo besucht er regelmäßig, zuletzt im Juni. Im Verlag Brandes & Apsel erschien 2008 sein Buch „Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens“.

Wieder einmal ziehen es die besten Offiziere des Landes vor, in den Busch zu gehen statt in den Staat. Wieder einmal entpuppt sich die Regierungsarmee als ein Haufen verelendeter und verängstigter Banditen. Wieder einmal beweist sich, dass kampferprobte Militärs in ihrer eigenen Heimatregion nicht zu schlagen sind. Wieder einmal herrscht unter der betroffenen Bevölkerung in den Kriegsgebieten ohnmächtige Wut. Wieder einmal macht die ferne Hauptstadt Kinshasa alle Welt für das Desaster verantwortlich außer sich selbst.

Internationale Aufbauarbeit für nichts

Und all dies nach zehn Jahren milliardenschwerer internationaler Aufbauarbeit für einen funktionierenden Sicherheitsapparat, nach zehn Jahren Präsenz der schon seit einiger Zeit größten UN-Blauhelmmission der Welt, nach zehn Jahren Amtszeit des international hofierten Präsidenten Joseph Kabila, nach zehn Jahren Friedens- und Demokratisierungsprozessen mit den teuersten und logistisch kompliziertesten Wahlen, die es in einem Bürgerkriegsland je gab.

Zehn Jahre, in denen die große Hoffnung der Kongolesen auf eine bessere Zukunft erst geweckt wurde – die jetzt umso wuchtiger zerschellt. Woran soll ein Kongolese denn noch glauben?

Freie Wahlen? Gab es, zweimal, und sie endeten beim zweiten Mal 2011 in einem Wahlbetrug, den alle Welt hinter vorgehaltener Hand eingesteht, aber dessen Ergebnis – Kabilas Wiederwahl – alle Welt anerkennt. Friedensabkommen? Gab es unzählige, letztlich wurden sie nicht umgesetzt. Irgendwer griff immer wieder zu den Waffen, so wie jetzt die M23. Wiederaufbau? Gibt es, mit Milliardeninvestitionen und Geberprogrammen, an denen sich vor allem die Elite bereichert.

Kinshasa, Bühne für Ausbeuter

Der international geduldete Wahlbetrug von 2011 und die Niederschlagung aller Proteste dagegen waren wohl der Punkt, an dem viele Kongolesen endgültig Abschied nahmen vom Glauben an Demokratie und Rechtsstaat mit westlicher Unterstützung. Und sie nahmen auch Abschied von ihrem Staat, so wie er in den letzten zehn Jahren als Kunstgebilde über ein zerrissenes Land gestülpt worden war.

Seit sich der Rest der Welt im Kongo für Frieden und Demokratie einsetzt, dreht sich das Land in einem mörderischen Kreislauf aus auswärtig gefördertem Staatsaufbau und lokal genährter Instabilität. Wo Geld erwirtschaftet wird, sei es in den Minen Katangas oder an den Grenzposten Ostkongos oder im Atlantikhafen Matadi im Westen, wird damit der parasitäre und korrupte Zentralstaatsapparat in Kinshasa am Leben gehalten, in dem sich die Ausbeuter der jeweiligen Landesteile wiederum zur Schau stellen und um internationale Gelder und staatliche Gunst werben dürfen. Mit diesem Geld und dieser Gunst können sie dann im Namen von Demokratie und Frieden ihre lokalen Widersacher kleinhalten.

Es gibt darüber so viele Geschichten im Kongo wie lokale Welten. Zum Beispiel der Wahlkreis Kalehe, ein idyllischer Landstrich aus zerklüfteten, bewaldeten Bergen am Westufer des ostkongolesischen Kivu-Sees. Vor den Wahlen vom November 2011 steckte der Regionalleiter der Wahlkommission das Wahlbudget in die Tasche und verschwand. Sein Stellvertreter löste das Problem, indem er die lokalen Honoratioren zur Kasse bat und die Wahlergebnisse später gemäß den eingegangen finanziellen Beiträgen sortierte.

Wie durch ein Wunder ging aus der Parlamentswahl in Kalehe ein früherer Milizensprecher als Sieger hervor, der später als Umweltminister in Kinshasa Karriere gemacht hatte, jetzt wieder nach Hause zurückgekehrt war und sich rühmte, erneut lokale Milizen zu finanzieren. Ohne das ihm jemand Wahlbetrug nachweisen kann, erleben diese Milizen seit seinem Wahlsieg einen beispiellosen Aufschwung, es gibt in Kalehe ständig Massaker und Ströme verzweifelter Flüchtlinge.

Staat ohne Legitimation

Eine ähnliche Konfliktdynamik gibt es in vielen anderen Regionen des Kongo. Das ist der Boden, auf dem die M23 gedeiht und in dem der Staat jede Legimitation einbüßt, sich wieder als Ordnungsmacht ins Spiel zu bringen. Die M23-Rebellion ist selbst nur ein Symptom dieser Probleme, keine Lösung. Ihr Verdienst ist es, den kongolesischen Kaiser nackt dastehen zu lassen.

Wie weiter? In Kongos reichster Provinz Katanga mit ihren fantastischen Kupfer- und Kobaltvorkommen wird längst über Sezession nachgedacht. Unterschriften werden gesammelt für eine Föderalisierung des Kongo ab 2016. Dahinter steckt, das geben Katanger freimütig zu, die Möglichkeit der Abspaltung. „Option Südsudan“ heißt das. Und wenn Katanger darüber mit anderen Kongolesen sprechen, ernten sie zunehmend Beifall, statt wie früher auf Ablehnung zu stoßen.

Im Grunde ging der kongolesische Staat schon vor knapp zwanzig Jahren unter, als die brutale und kleptokratische Mobutu-Diktatur unter ihren eigenen Widersprüchen zusammenbrach. Der sicherste Weg zur Macht im Kongo ist seitdem, Menschenleben auf dem Gewissen zu haben.

Der heutige Kongo ist zur Schaubühne für Verbrecher und skrupellose Machtpolitiker verkommen. Es ist Zeit, sich davon zu verabschieden, damit die Menschen einen Neuanfang wagen können.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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8 Kommentare

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  • R
    rita

    Out of africa:

     

    "Option Südsudan" bedeutet doch in diesem Falle vermutlich, dass die Menschen entscheiden können, ob sie weiterhin zur D.R. Kongo gehören, oder einen eigenen Staat gründen wollen, so wie es eben im Südsudan passiert ist.

     

    Wie machbar oder sinnvoll eine solche Aktion ist, bleibt dahingestellt.

  • OO
    Out of Africa

    Ist im Artikel ein Fehler unterlaufen?

    Es heißt, Katanga überlege eine Abspaltung mit „Option Südsudan“ - Katanga ist aber die südlichste Provinz Kongos und zwischen ihr und dem Südsudan liegen noch vier (!) andere kongolesische Provinzen und liegt eine Distanz von ca. 1.000 km....

  • R
    rita

    Wieso ein düsterer Kommentar? Die Situation ist düster, lieber Afrikanist, wo soll da der "erfrischende Optimismus" herkommen?

  • R
    rita

    Lieber Herr Konga,

     

    warum nicht mal selber nachdenken? In der DR Kongo herrscht eine korrupte, kleptokratische Mafia, die es geschickt versteht, jede Opposition im Keim zu ersticken, Wahlen massiv zu fälschen und trotzdem von der Internationalen Politik anerkannt wird. Was kann in einem solchen Fall getan werden?

     

    Ich denke doch, der erste Schritt ist massive Aufklärung, denn allzu viele Menschen haben schlicht eine falsches Bild von der Situation. Die wahren Schuldigen sind zu benennen, statt, wie es immer wieder passiert, Sündenböcke zu produzieren. (Die bösen Rebellen, der böse Nachbar z.B.)...

     

    Was sicherlich ganz kontraproduktiv ist: Die Beschwörung des Klischees, dass Armut und Korruption ebenso wie Behördenwillkür eben zur afrikanischen Gesellschaft gehören.

    In diesem Sinne betreibt Herr Johnson doch einiges an Aufklärungsarbeit will mir scheinen. Was sich aus solchen Erkenntnissen als Konsequenz ergibt ist doch wohl offensichtlich: es muss sich vieles ändern, das geht aber nicht mit dieser Regierung. Kann ein solches Land überhaupt zentral regiert werden? Und auch die Internationale Politik muss Konsequenzen ziehen. Das alles liegt auf der Hand, wenn Sie den obigen Artikel und andere Berichterstattung aufmerksam verfolgt haben.

  • A
    Afrikanist

    Welch ungewohnter und düsterer Kommentar von D. Johnson. Wo bleibt der sonst so erfrischende Optimismus? Ist es wirklich so weit gekommen, das Herz der Finsternis aus der Welt zu reißen?

  • WK
    Wolfgang Konga

    Gut, jetzt haben wir die Analyse. Wo bleiben die Lösungsansätze Herr Johnson?

  • M
    magy

    Richtig was D. Johnson schreibt.

    Schon lange denke ich, das es längst den Plan im und um Congo gibt, die an Erdschätzen reichen Regionen vom Kongo abzuspalten, darum auch die permanenten Kriege. Darum die Unterstützung gewisser Länder grenznah dem Kongo und aus dem Ausland, auch die Unterstützung mit Soldaten und Waffen dazu.

    Wie Hr. Johnson in etwa schreibt ist der Kongo unter der Regie des jetzigen Präsidenten zur Schaubühne für Verbrecher und skrupelloser Machtpolitiker verkommen. Ich meine nicht nur Politiker verfolgt man die Berichte auf welche Art und Weise der Kongo geplündert wird.

    Nicht nur das, der Kongo ist auch zu einem Gewaltstaat verkommen ausgebildet im oder vom Ausland od. Nachbarländern.Es ist so traurig zusehen zu müssen was da passiert. Leider gibt es EINIGE Länder die nur ihren Vorteil im Kopf haben und darum Mobutu und nun Kabila am Thron festgehalten haben und so die Korruption und die Selbstbereicherung der Elite in Kongo gefördert. Den Industrieländern ist es doch egal wie es dem Volk dabei geht.

    Dem Kongo soll keinerlei Hilfe mehr gegeben werden bis man verstanden hat was Demokratie, Menschenrechte, Menschenwürde und Achtung von Menschenleben, Kinder und Frauenrechte bedeuten. Sämtliche Länder dieser Welt sollen dazu Verträge abschließen, keine Kredite mehr, keine Entwicklungshilfegelder, nichts mehr für den Kongo, wenn weiterhin die Korruption stabil gehalten aber das Land permanent destabilisiert wird in jeder Hinsicht. Alle die sich im Land über die Jahre bereichert haben, ohne Vorwarnung alles Geld und Besitztümer beschlagnahmen. Beratung und Ausbildung im Kongo ja, mehr nicht mehr. Die Bevölkerung hat so eine Chance selbst tätig zu werden. Wenn Hilfe dann diese direkt vor Ort erledigen, aber der Regierung kein Geld mehr.

    Die Kreditgelder, die Zinsen für bisherige Kredite sieht ohnedies keiner mehr, wie auch, wenn der Kongo so billig verramscht wird und nur gewisse Leute sehr reich werden können wie persönliche Freunde oder Verwandtschaft der Regierungsriege. Man spielt mit der Gier der Geberländer auf Erdschätze und man spielt mit den guten Herzen der Organisationen die sich das ganze Leid der Bevölkerung nicht mehr mitansehen können, besonders das Leid der Frauen und Kinder und alles von Herzen geben zu helfen wo sie nur können.

    Keinesfalls mehr Erdschätze aus Kongo, keinerlei Waffen nach Afrika. Es ist eine Schande, das man aus Profitgier solche Länder mit Waffen aller Art versorgt um so billigst an Erdschätze zu kommen. Alle Investoren sollen gehen.

    Ja es scheint alles sinnlos zu sein, was man für den Congo getan hat um auf die Beine zu kommen. Die Frage bleibt, selbst wenn der jetzige Präsident abgelöst wird, wer wäre dann ein fähiger Mann, nicht eine weitere Marionette der Industrieländer, der dann auch eine Regierung bilden kann wo es keinerlei Korruption mehr gibt, der das Land im Interesse der Bevölkerung, zum Wohle des Landes und nicht zum Wohle der Industrieländer aus dem Rest der Welt regiert, wie es Lumumba wollte.

  • G
    Gerda

    Ein sehr guter Kommentar! Ich verstehe nur nicht ganz deine Konsequenzen am Schluss. Was meinst du genau damit sich davon zu Verabschieden? Von dem Staatsgebilde RDC?