Debatte Italiens Regierungskurs: Links blinken, rechts abbiegen
Italiens Regierungschef Matteo Renzi gibt gerne den Modernisierer. Nur ist sein Kurs nicht recht erkennbar.
L inks sei das gerade vorgelegte Haushaltsgesetz, befand letzte Woche Italiens Regierungschef Matteo Renzi – allerdings „mit einem Augenzwinkern nach rechts“. In der Tat bietet der Etat 2016 zum Beispiel neue Mittel für Familien ohne Einkommen, ein wenig auch ist dafür vorgesehen, die Gehälter der Staatsbediensteten zu erhöhen, dazu ein bescheidener Aufschlag für Kleinrentner und größere finanzielle Spielräume für die Kommunen; das wäre wohl die linke Seite.
Zugleich aber schafft Renzi die Grundsteuer auf die Erstwohnung komplett ab, nicht nur fürs bescheidene Reihenhäuschen, sondern auch für Luxusvillen oder veritable Schlösser. „Er kopiert mich“, kommentierte daraufhin Silvio Berlusconi die Maßnahme, die den Staat runde vier Milliarden Euro jährlich kostet; allein eine Milliarde davon fällt im Luxussegment an, deutlich mehr als die 600 Millionen, die den armen Familien zukommen sollen. Und Renzis Koalitionspartner Nuovo Centro-Destra (“Neues Mitte-rechts-Lager“) reklamierte, der Haushaltsentwurf sei eindeutig „mit der rechten Hand geschrieben“ worden.
„Lechts und rinks kann man nicht velwechsern“, befand der Dichter Ernst Jandl schon vor Jahren, ganz so, als habe er an das Verwirrspiel gedacht, dem Renzi die italienischen Wähler aussetzt. Denn der jungdynamische Florentiner, der seit nunmehr gut anderthalb Jahren Premier ist, könnte sein gesamtes Regierungshandeln unter das Motto „Links stehen und dabei nach rechts zwinkern“ stellen.
Verwechslungsgefahr kommt so immer wieder auf, angefangen bei der Wahlrechts- und Verfassungsreform, recht einseitig darauf zugeschnitten, mit der Abschaffung des Senats und mit einem kräftigen Mehrheitsbonus für den Wahlsieger im Abgeordnetenhaus die Stellung des Ministerpräsidenten deutlich zu stärken, was ausgerechnet Berlusconi Renzi als „autoritäre Anwandlungen“ bezeichnet.
Auch im Verhältnis zu den Sozialparteien herrscht verkehrte Welt. Nicht nur, dass der Haushaltsentwurf Jubel beim Unternehmerverband und kräftiges Murren bei den Gewerkschaften auslöste. Das Verhältnis zwischen der Regierung und den Arbeitnehmerorganisationen ist ungefähr so unterkühlt wie seinerzeit die Beziehungen zwischen SPD und DGB in den Agendazeiten unter Kanzler Gerhard Schröder. Und Italiens Regierungschef findet daran erkennbar Gefallen, ganz so, als begreife er wütende Gewerkschaftsproteste als Auszeichnung für seine Arbeit.
Für die Schwulenehe
So stutzte er gleich nach seinem Amtsantritt den Kündigungsschutz zurück, und so ergriff er in den Auseinandersetzungen bei Fiat offen Partei für Firmenchef Sergio Marchionne, als dieser in Krisenzeiten einen Firmentarifvertrag durchdrückte, der ganz nach dem Geschmack der Unternehmensleitung war – und der unter anderem vorsah, dass Gewerkschaften, die ihre Unterschrift verweigerten, keinen Zutritt mehr zu den Fiat-Betrieben haben. Und so macht sich Renzi jetzt daran, auch den nationalen Tarifvertrag zu schleifen. Wenn es nach ihm geht, sollen die Löhne in Zukunft weitgehend auf Firmenebene ausgehandelt und eng an die Produktivität gekoppelt werden.
Aber da ist dann auch noch der andere Renzi: der Politiker, der sich an Reformprojekte heranmacht, vor denen sich eine überängstliche Linke in den letzten Jahren immer gedrückt hatte. Da wäre zum Beispiel die Schwulenehe, die immer dazu gut war, heftige Widerstände des Vatikans, der italienischen Rechten, aber auch der katholischen Vertreter in Renzis Partito Democratico (PD) zu provozieren – mit dem Resultat, dass Italien mittlerweile zumindest in Westeuropa das letzte Land ist, das nicht einmal minimale Rechte für schwule und lesbische Paare vorsieht. Doch jetzt hat, nicht zuletzt auf Druck des Regierungschefs, der zugleich PD-Vorsitzender ist, der Senat mit der Beratung eines Gesetzes über eingetragene Lebenspartnerschaften begonnen.
Ähnlich entschieden gibt sich Renzi beim Staatsbürgerschaftsrecht für Kinder von Immigranten. Sie sollen in Zukunft ohne größere Probleme den italienischen Pass bekommen; dies jedenfalls sieht das Gesetz vor, das jetzt in erster Lesung im Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde.
Renzi selbst hätte keinerlei Problem, die beiden Seiten seines Wirkens auf einen Nenner zu bringen: Italien modernisieren, es genauso in Schwung bringen, wie er selbst immer schwungvoll bei den Pressekonferenzen auftritt, in denen er die immer gleiche Heilsbotschaft von dem Land predigt, das endlich aus seiner Schockstarre erwacht und heiter-optimistisch der Zukunft entgegenstrebt.
Genau dies ist jedoch die Achillesverse Renzis: Es ist gar nicht recht erkennbar, wohin er Italien steuern will, kurz: welchen Entwurf er von der Zukunft des Landes hat. Die Gegenwart jedenfalls ist alles andere als heiter. In den letzten sieben Jahren der großen Krise büßte Italien, immerhin nach Deutschland das zweitgrößte Industrieland der EU, mehr als 25 Prozent seiner Industrieproduktion ein – und das bisschen Wachstum, das sich jetzt wieder eingestellt hat, ist kaum geeignet, diese Verluste wieder auszugleichen. Und mehr noch: Die chronisch zurückgebliebenen Regionen des Südens, Kalabrien, Sizilien oder Kampanien, sind während der Krise weiter zurückgefallen.
Das Erbe Berlusconis
Diese Entwicklungen ließen sich nur konterkarieren, wenn Italien, wenn vorneweg die Regierung entschlossen entscheidende Defizite ausgleichen würde: Defizite in der Berufs- ebenso wie in der universitären Ausbildung, Defizite von Forschung und Entwicklung, Defizite in den digitalen Infrastrukturen – was etwa das Breitbandinternet angeht, ist das Land weit abgeschlagen.
Und das ist die vermutlich größte Hypothek der 20 Jahre, in denen Silvio Berlusconi dem Land seinen Stempel aufdrückte: dass die Antwort auf die Frage, wie ein Italien 2.0 aussehen könnte, systematisch verschlafen wurde. Hier wäre der selbst ernannte Modernisierer Renzi gefordert, und hier könnte er beweisen, dass er mehr ist als bloß ein Wiedergänger Berlusconis von links: dass ihm mehr einfällt als die Abschaffung der Grundsteuer, die die Wähler froh macht, ohne dem Land einen neuen Schub zu verleihen.
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