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Debatte IrlandDie Umnachtung der Eliten

Kommentar von Stephan Schulmeister

Immer mehr EU-Länder gehen pleite. Wir brauchen einen europäischen Währungsfonds, der die Zinspolitik verändert und die Realwirtschaft stärkt.

S eit Monaten verlangen "die Märkte" von Ländern wie Griechenland, Portugal oder Irland Zinsen für Staatsanleihen von bis zu 10 Prozent. Das nominelle Wachstum der Wirtschaft dieser Länder und damit auch ihrer Steuereinnahmen ist aber viel niedriger. Auf Grund der Zinseszinsdynamik wird die Staatsschuld daher weiterhin rascher wachsen als das Bruttoinlandsprodukt.

Verordneter Sparwahnsinn

Dann muss man eben die Staatsausgaben senken, fordern die Eliten. Das haben diese Länder gemacht, mit dem Ergebnis, dass die Wachstumsrate weiter gesunken ist und der Zinssatz also noch stärker darüber liegt. Kurz: Im Wechselspiel von immer höheren Zinsforderungen der Märkte und einer belämmerten Symptomkur der Politik steuern die Staatsfinanzen dieser Länder dem Bankrott entgegen.

Stephan Schulmeister

ist Wirtschaftswissenschaftler und lebt in Wien. Derzeit hält er sich in Washington auf und forscht im Auftrag des Internationalen Währungsfonds - Abteilung Staatsfinanzen.

Dies in heller Stunde erahnend, schlug die Kanzlerin vor, die Inhaber der Staatstitel müssten sich an den Rettungskosten beteiligen. Das mochten "die Märkte" nicht und setzten die Zinsen nochmals hinauf. Nun geriet der Euro wieder ins Rutschen, also Kommando zurück: Nur bei der künftigen Neuverschuldung ab 2013 sollten die Gläubiger an den Kosten einer Staatspleite beteiligt werden - und auch nur vielleicht, man kennt sich ja nicht aus.

Noch kann das Spiel also weitergehen, und zwar so: Durch die "Doppelmühle" von Spekulation mit "Credit Default Swaps" und mit Staatsanleihen treiben Banken wie Goldman Sachs, J. P. Morgan, Deutsche Bank und viele Hedgefonds die Zinsen in die Höhe. Diese "Finanzalchemisten" borgen sich bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld zu 1 Prozent Zinsen und kaufen damit jene Staatsanleihen, deren Zinsen sie in die Höhe getrieben haben. Die hohen Zinsen bezeichnen sie als "Risikoprämien", wenn aber das Risiko angesprochen wird, dann bestehen sie auf 100-prozentiger Bezahlung, also auf Null-Risiko.

Fazit: Was durch enorme Entbehrungen der Arbeitnehmer und Unternehmer in den Schuldnerländern eingespart wird, fließt als Zinsertrag in die Taschen der "Finanzalchemisten". Und die Staatsschuldenquote steigt und steigt.

Eine systemische Lösung muss beim Zinsniveau ansetzen. Dieses sollte nach der "golden rule" der Wirtschaftstheorie der mittelfristigen (nominellen) Wachstumsrate entsprechen, wegen des hohen Schuldenstands aber etwas darunter liegen - also bei etwa 2 Prozent. Gleichzeitig müssten der europäische Zusammenhalt gestärkt und national-egoistische Strategien verhindert werden.

Beides kann erreicht werden, und zwar wie folgt: Der im Mai dieses Jahres geschaffene Rettungsfonds, der 750 Milliarden Euro mobilisieren kann, wird zum "Europäischen Währungsfonds" (EWF) ausgebaut - gespeist aus Mitteln der Euro-Zentralbanken. EZB und EWF geben eine Garantie für die Staatsschuld sämtlicher Euroländer. Damit entfällt der Grund für Risikoprämien. Außerdem legen sie das Zinsniveau für neue Euro-Staatspapiere fest.

Europäischer Währungsfonds

Neu ausgegebene Staatspapiere, die zu diesen Konditionen keine privaten Abnehmer finden, werden vom EWF gekauft. Doch die Staatspapiere werden genügend Anleger finden. Denn ein enormes Volumen an Finanzkapital sucht ja dringend einen relativ sicheren Hafen. Der Teufelskreis von Wucherzinszahlungen, verstärkten Sparbemühungen, Dämpfung des Wirtschaftswachstums, steigender Verschuldung und noch höheren Zinsen ließe sich so durchbrechen. Gleichzeitig würde ein europäischer Währungsfonds den Zusammenhalt der Euroländer stärken und das effektive Zinsniveau senken.

Genau dies bezweckt die Politik der US-Notenbank Fed, wenn sie langfristige (Staats-)Anleihen kauft: Sie übernimmt die weniger liquiden Aktiva und gibt dem Finanzsektor dafür hochliquide Mittel. Ihr Ziel: Sie will die Kreditvergabe verbilligen und die Deflationsgefahr bannen.

In Europa wird diese Maßnahme vielfach als "Gelddrucken" zu bezeichnet, das letztlich einen Inflationsschub auslösen müsse - ein Indiz, wie sehr die Debatte auf das Niveau der 1920er Jahre zurückgefallen ist. Nur wenn das Kreditpotenzial genützt würde, entstünde zusätzliches Geld. Genau das ist aber bisher zu wenig der Fall! Überdies: Erst wenn die Kapazitätsgrenzen erreicht sind, droht ein stärkerer Preisauftrieb. Davon sind wir Jahre entfernt.

Der Markt beruhigt sich nicht

Doch lieber sehen die Eliten dem zinseszinsgetriebenem Anwachsen der Staatsschuld zu und hoffen, "die Märkte" würden sich beruhigen, wenn Irland oder Griechenland den Rettungsfonds in Anspruch nähmen. Dass damit das Problem nur weitergeschoben wird, weil die von "den Märkten" geforderten Zinsen untragbar sind, wird nicht begriffen.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Nach 30-jähriger Missionsarbeit sind die Eliten marktreligiös geworden. Sie glauben an eine "unsichtbare Hand", die ähnlich wie die göttliche Vorsehung alles zum Besten lenkt. Die manisch-depressiven Schwankungen von Zinssätzen, Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen wurden so als unveränderlich, letztlich aber nicht schlimm hingenommen.

Dabei gibt es eine Lösung: Man nehme die Fundamentalwerte der Wirtschaftstheorie als Richtgröße für eine Stabilisierung von Zinssätzen, Wechselkursen und Rohstoffpreisen durch das "System Politik". Der Zinssatz müsste der Wachstumsrate entsprechen, der Wechselkurs der Kaufkraftparität. In einer solchen Welt gäbe es - wie früher in den 1950er und 1960er Jahren - wieder mehr Sicherheit für Investitionen, Finanzierung und Außenhandel. Es käme zu einem Wirtschaftswunder in der Realwirtschaft.

Heute jedoch findet das "Wirtschaftswunder" in der Finanzwelt statt. Mit dem Segen der "unsichtbaren Hand" gelingt den Alchemisten das Doppelwunder: Durch immer schnellere Spekulation bringen sie die wichtigsten Preise wie Wechselkurse, Zinssätze, Aktienkurse und Rohstoffpreise in kleine und große Schwingungen, und zur Absicherung gegen diese Turbulenzen verkaufen sie Derivate aller Art. Beides mit hohem Gewinn. Hut ab zum Gebet. STEPHAN SCHULMEISTER

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8 Kommentare

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  • W
    Westberliner

    Die Terroristen aus den Chefetagen der Banken, des Finanzkaitals, der Parteizentralen von CDU/CSU und der FDP verüben seit Jahren Anschläge auf´s Volk.

    Sie ernennen sich selbst zu "Eliten", sind aber nichts anderes als Kriminelle. Sie verurteilen uns nach ihren Gesetzen. Es wird Zeit, dass denen das Handwerk gelegt wird.

  • TK
    Tony Katz

    Der Artikel von Herrn Schulmeister kreist das Problem ganz klar ein, der Titel geht aber in die falsche Richtung, es ist keine Umnachtung der Eliten, es ist ein (böser oder hinterhältiger) Plan der Eliten (noch mehr Kontrolle, noch mehr Zinseinnahmen, noch mehr Abhängigkeiten). Die Banken werden "gerettet" auf Kosten der Allgemeinheit (der Währungen, der Steuerzahler), sie (die Banken/Investoren) helfen damit mit, daß Ihre Gewinne noch größer werden. Die Politiker (und Geldgeber) reden immer von mehr Kontrolle und mehr Haushaltsdisziplin, aber dann bitte einmal RAN AN DEN SPECK: die (Spekulations-Globalisten) Banken müssen einfach ausgeschaltet werden. Es gibt einefach keine (Staats-)Kredite mehr über die Banken (Investoren). Wenn ich Herrn Schulmeister richtig verstehe soll die EZB DIRKET (ohne den "Markt") Kredite vergeben (am besten auch noch ohne Zinsen), Irland oder Griechenland hat dann Zeit seine Finanzen zu ordnen (OHNE NEUE Zinslasten), natürlich müssen die Haushalte konsolidiert werden (wenn man nicht an den Einnahmen richtig arbeitet) ABER NOCH VIEL WICHTIGER IST ES DAS ZINSESZINS und internationale FINANZ-BÜRGERAUSRAUB-PROGRAMM zu stoppen.

    Da haben wir wieder das Problem: wer bestimmt die Geschickte der Weltgeschichte: die Bürger? die Parteien oder die Lobbyisten und Strippenzieher hinten den Kulissen (gemeinsam mit Ex-Politikern und Millardären, siehe auch Bilderberger oder CFR).

    Wir brauchen lobbyfreie Parteien (siehe grundgesetz-aktivierer.de oder neue Modelle (siehe bandbreitenmodell.de).

  • IB
    Isaac Ben Laurence Weismann

    Da kann ich nur den Kopf schütteln. Das Ganze krankt doch daran, daß die Ursachen nun wirklich keiner beheben will. Wenn eine Ausleihung der Bundesbank für Banken zu 1% möglich, damit das Geld förmlich in den Wirtschaftskreislauf "gepumt" wird und dann zweistellige Raten berechnet werden, dann wird einem klar, daß dies legalisierte Geschäfte sind, die von den Geldgebern (sprich BB bzw. EZB) hofiert werden. Angenommen, klare Voraussetzungen nach Basel III und den Paketen I und II werden umgesetzt was die Bonität angeht auch für die Verdienstspanne mit einer Begrenzung nach oben legalisiert wäre, hätte man den uferlosen Spekulationen ein Ende gesetzt.

     

    Welcher Traumtänzer will das schon. Geht doch einfach, einfach so. Odr? Bis der Steuerzahler das merkt vergehen die Jahreszeiten ein ums andere Mal. Zwischendurch Prost.

  • SB
    Sandra Beltane

    Zitat: "Erst wenn die Kapazitätsgrenzen erreicht sind, droht ein stärkerer Preisauftrieb. Davon sind wir Jahre entfernt."

     

    Das ist die wichtigste Aussage, wenn manche auf die Idee kämen, daß eine Inflation entstehen könne.

     

    Fakt ist: Dank der neoliberalen/marktradikalen Wirtschaftsdoktrin haben wir eine ausgeprägt Angebotsorientierte Wirtschaft, die aufgrund mangelnder Kaufkraft der breiten Masse der Arbeitnehmer massive Probleme hat, ihre Güter und Leistungen abzusetzen.

     

    Das gegenwärtige System hat keine Chance, diese Probleme zu lösen, ist es doch selbst ein grosser Teil dieses Problems.....

     

    Die meiner Meinung nach effektivste Möglichkeit, diese riesigen Probleme zu lösen, wäre das sogenannte Bandbreitenmodell.de

     

    Das Bandbreitenmodell nutzt die Mechanismen der Marktwirtschaft, um Unternehmen dazu zu motivieren, neben dem Wettbewerb um Kunden, Produkte, Standorte, Technologien, Preise etc. in einen weiteren Wettbewerb einzutreten: In den Wettbewerb um möglichst viele Mitarbeiter (ungeachtet ihrer Qualifikation, ihres Alters oder anderer bisheriger Hemmnisse).

     

    Um die Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Ungleichgewichte zu beseitigen und Löhne zu steigern, muß man bei der Arbeit lediglich Angebot und Nachfrage ausgleichen. Die Politik muß also Rahmenbedingungen schaffen, die die Arbeitgeber dazu motivieren, möglichst so viele Arbeitsplätze zu besetzen, wie Arbeitskräfte vorhanden sind. Gleichzeitig muß jeder Arbeitsplatz mit einem hohen Mindestlohn bezahlt werden. Wie erreicht man das?

     

    1. Die zusätzlichen Mitarbeiter müssen für die Unternehmen existentiell wichtig sein.

    2. Was ist für Unternehmen existentiell wichtig? Ein möglichst hoher Umsatz/Marktanteil.

    3. Wie erzielen Unternehmen einen möglichst hohen Umsatz/Marktanteil? Vor allem durch möglichst niedrige Verkaufspreise.

    4. Wie kann der Gesetzgeber Einfluss auf die Verkaufspreise nehmen? Durch den Satz der Umsatzsteuer. Je niedriger der Satz, desto niedriger sind die Verkaufspreise der Produkte.

    5. Wie kann der Gesetzgeber also Einfluss auf die Zahl der Beschäftigten nehmen? Indem er Unternehmen mit hoher Beschäftigungsintensität mit niedrigen Umsatzsteuer-Sätzen belohnt. („Arbeitsplatzprämien“). Je mehr Inlands-Mitarbeiter im Verhältnis zum Inlands-Umsatz ein Unternehmen beschäftigt, desto niedriger wird der Inlands-Gesamtpreis (Bruttopreis inkl. Umsatzsteuer) seiner Produkte.

     

    Wie das geht, kann man unter

     

    www.bandbreitenmodell.de/faq.html .

     

    sehr gut nachlesen.

     

    Herzliche Grüsse

     

    Sandra Beltane

  • I
    IAdmitIAmCrazy

    Das traurige ist, dass inzwischen ja auch Autoren, die wie Paul Krugman überzeugte Marktwirtschaftler sind, sich inzwischen für Ihren Keynesianismus geradezu entschuldigen sollen. Wenn ein Nobelpreis nicht mehr vor (indirekten) Vorwürfen wie "so naiv und unbefleckt von jeder Sachkenntnis" schützt und sich die Kritiker durch die Volte, "dass sich jegliches detaillierte Eingehen auf die 'Vorschläge' von vornherein verbietet", jeder Diskussion entziehen, wird es nachgerade gefährlich.

     

    Ich bin vor vierzig Jahren am "Grundwiderspruch" gescheitert und vom Verständnis her nicht über Seite 55 im berühmten blauen Band hinausgekommen - wie auch, als "bekennender" Kritischer Rationalist? Aber auf meine alten Tage finde ich mich unter denen wieder, die meinen, dass die "Sprüche" von der Regierung als "geschäftsführendem Ausschuss des Kapitals" oder als "Reparaturwerkstatt des Kapitalismus" heute die Wirklichkeit ziemlich genau beschreiben.

  • A
    Auweia

    A. Grech: Danke für den sachlichen Beitrag! Sehr informativ und fundiert.

  • V
    vic

    Was ich nicht verstehe ist;

    wenn die Wirtschaftskriminellen (Goldman Sachs, J. P. Morgan, Deutsche Bank und viele Hedgefonds) doch namentlich bekannt sind.

    Weshalb lässt man sie weiter ihre schmutzigen Geschäfte auf dem Rücken Unschuldiger machen?

    Warum erhalten eben jene Geld zu 1% Zinsen, wo Hinz und Kunz mindestens ein 10-faches an Zinsen leisten muss wenn ein Kredit ansteht?

  • A
    A.Grech

    Ach, diese tollen Ideen hat der Autor doch schon mal im Mai während der Griechenlandkrise hier in der taz vorgestellt.

     

    Das Problem ist: das Ganze ist so naiv und unbefleckt von jeder Sachkenntnis, dass sich jegliches detaillierte Eingehen auf die "Vorschläge" von vornherein verbietet - man würde sich lächerlich machen.