Debatte Intervention in Syrien: Die Menschen schützen

Ein internationales Eingreifen gegen Assads Mordregime in Syrien ist nur noch eine Frage der Zeit. Es geht jetzt darum, das aktiv zu gestalten.

In Al Qusayr, nicht weit von Homs, warten die Menschen vor einer Bäckerei, um Brot zu kaufen. Bild: reuters

Marie Colvins Leiche liegt immer noch in Homs, wo die britisch-amerikanische Reporterin zusammen mit dem französischen Fotografen Remi Ochlin am Morgen des 22. Februar starb. Wie viele andere Journalisten auch war die Reporterin der Sunday Times aus Libanon über die grüne Grenze nach Homs eingereist.

Sie arbeitete mit einheimischen und ausländischen Kollegen zusammen. Am 22. Februar begann der Artilleriebeschuss der syrischen Armee in Homs früher als sonst und richtete sich gezielt auf das Haus, wo die Journalisten übernachteten.

Jeden Tag sterben bei der Belagerung der von Oppositionellen kontrollierten Stadtteile von Homs Dutzende von Menschen – keine „Terroristen“, wie Syriens Regime behauptet, sondern in Colvins Worten „frierende, hungrige Zivilisten“. In der taz hat der Konfliktforscher Berthold Meyer die Interventionskriterien der UN-Doktrin der „Schutzverantwortlichkeit“ (responsibility to protect) aufgeführt und kam im Fall Syriens zu dem Schluss, ein Eingreifen sei zwar geboten, sei aber wegen des Risikos einer hohen Zahl ziviler Opfer nicht wünschenswert.

taz-Korrespondent Andreas Zumach hat im Gegenzug darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, sich hinter dem Dissens in der UNO zu verstecken, aber seine Vorschläge setzen dann doch voraus, dass entweder die Neinsager Russland und China oder Baschar al-Assad selbst einlenken.

Es ist müßig, darauf zu spekulieren, dass Assad demnächst freiwillig auf sein Amt verzichtet oder dass Russland unter dem Tschetschenien-Krieger Putin jemals ein Eingreifen gegen diese Art des Krieges gutheißen wird. Nur während Russlands Tschetschenienkrieg in den 1990er Jahren habe sie eine mit Syrien vergleichbare Situation nackter Bedrohung durch die Staatsmacht erlebt, berichtet Colvin. In beiden Situationen erklärt eine skrupellose Regierung ihre Gegner zu Terroristen und ganze Bevölkerungsgruppen zu militärischen Objekten, die zu vernichten sind.

Offensichtlich führt im Falle Syrien das Herabsteigen von den lichten Höhen des Völkerrechts in die schmutzigen Niederungen des Krieges nicht besonders weit, jedenfalls nicht bis zu dem Punkt, wo den Menschen tatsächlich geholfen werden könnte. Dieser Punkt müsste aber im Mittelpunkt der Debatte stehen. Wer den Schutz seiner Völkerrechtsauslegung über den Schutz von Menschenleben stellt, setzt die falschen Prioritäten.

Versorgungsrouten schützen

Das Schicksal Marie Colvins, eine der erfahrensten Kriegsreporterinnen der Welt, bietet einen Ausgangspunkt für praktische Intervention. Wenn es möglich ist, klandestin nach Homs zu reisen und von dort aus die Kriegsgreuel öffentlich zu machen, ist das ein Hinweis auf die Existenz halbwegs gesicherter Versorgungsrouten und ansatzweise befreiter Zonen.

Sie zu schützen und auszubauen wäre der unverzichtbare erste Schritt zu einem effektiveren Schutz der Zivilbevölkerung. Die Diskussion um „humanitäre Korridore“ ist heute weiter als während der 1990er Jahre, wo „humanitäre Schutzzonen“ wie Srebrenica zu Schauplätzen des Völkermordes wurden, weil niemand sie schützte.

Nachdem Syriens Armee jahrzehntelang im Libanon stand, ist ein arabisches Eingreifen in umgekehrter Richtung nicht undenkbar. Und je mehr Menschen aus Syrien in die Nachbarländer fliehen – Türkei, Irak, Jordanien, Libanon – desto mehr sind diese Nachbarländer direkt betroffen. Zu den Fliehenden gehören auch syrische Soldaten, die als Befreier zurück in ihr Land gehen wollen. Für die führende Rolle von Regionalorganisationen oder Nachbarländern beim Eingreifen in einem Bürgerkriegsland mit oder ohne UN-Konsens gibt es unzählige Präzedenzfalle, vor allem in Afrika.

Die Dynamik eines verstärkten internationalen Eingreifens in Syrien ist also längst im Gange. Bleibt die Frage, ob sie aktiv gestaltet wird. Wenn nicht, kommt das Eingreifen sowieso, aber auf unkontrollierbare Weise: Die Stärkung der Aufständischen bliebe obskuren Waffenschmugglern überlassen, die Nachbarn Syriens würden jeweils ihre eigenen Ziele verfolgen, und die syrische Bevölkerung wäre letztendlich fremden Machtspielen ausgeliefert. Der Rest der Welt sollte da nicht unter Verweis auf völkerrechtlichen Dissens tatenlos bleiben. Der Preis des Nichteingreifens kann höher ausfallen als der des Eingreifens. Das weiß die Welt spätestens seit den Völkermorden in Ruanda und Bosnien.

Blairs Interventionskriterien

Tony Blair machte sich über diesen Handlungszwang Gedanken, in den Zeiten der britischen Interventionen in Kosovo und Sierra Leone, lange bevor er sich durch den Irakkrieg diskreditierte. Er kam zu dem Schluss, dass eine humanitäre Intervention sich aus sich selbst legitimieren muss, nicht aus einem diplomatischen Verfahren heraus, das anderen Zwängen folgt.

Blairs Kriterien für eine humanitäre Intervention, formuliert im April 1999: Sind wir unserer Sache sicher? Sind alle diplomatischen Optionen erschöpft? Bietet die militärische Lage sinnvolle und erreichbare Ziele? Sind wir zum langfristigen Engagement bereit, über die Intervention hinaus? Sind unsere nationalen Interessen betroffen? Letzteres in einem breiten Sinne, der nicht an den eigenen Grenzen endet, sondern Sicherheit grenzüberschreitend begreift. Diese Interventionsdoktrin ist aus der Mode geraten, aber nicht weniger aktuell.

Notmaßnahmen der humanitären Intervention sind darüber hinaus zunächst ein Selbstzweck, keine flankierende Maßnahme einer wie auch immer gearteten diplomatischen Initiative. Sie sollen den Betroffenen den Raum geben, den Konflikt auf ihre Weise zu beenden, und sei es mit der Waffe. Die beste, weil unblutigste Lösung für einen Bürgerkrieg zwischen Terrorregime und Aufständischen ist nicht das Einfrieren, mit endlosen Verhandlungen und Versprechungen als Kulisse für Gewalt, sondern der schnellstmögliche Sieg jener, die einen Massenmörder stürzen wollen.

Der Fehler liegt nicht darin, einer Befreiungsarmee zum Sieg verhelfen zu wollen, sondern hinterher das Interesse zu verlieren. Ein Ende des Syrienkrieges bedeutet Regimewechsel. Die Welt sollte keine Scheu haben, es auszusprechen.

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