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Debatte Internationaler WährungsfondsKlug und unbequem

Kommentar von Peter Wahl

Christine Lagarde tritt jetzt aus dem Schatten ihres Vorgängers Strauss-Kahn heraus. Und sie profiliert sich - im Widerspruch zum deutschen Sparkurs.

D er IWF gehört zu den Krisengewinnlern. War der Fonds vor dem Crash noch selbst in der Krise, weil die traditionelle Kundschaft - Schwellen- und Entwicklungsländer - ihre Kredite zurückgezahlt und sich damit den Auflagen aus Washington entzogen hatte, so war er plötzlich wieder groß im Geschäft, als Island, Ungarn, Lettland, die Ukraine und schließlich auch Griechenland vor dem Bankrott gerettet werden mussten.

Der damalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hatte die Gunst der Stunde sofort erkannt und sein Talent als Kommunikator und seine Kompetenz als Ökonom in die Waagschale geworfen, um den Fonds neu zu positionieren. So machte er den IWF zum informellen Exekutivarm der G 20 und nutzte die Gelegenheit, einige Kurskorrekturen an dessen bisher dogmatisch neoliberalen Ausrichtung einzuleiten.

Die Überraschung war groß, als unter den Strukturanpassungsauflagen für die Ukraine eine Erhöhung (!) der Sozialausgaben zu finden war. Bis dahin liefen die Konditionen immer gnadenlos auf Sozialabbau hinaus. Auch wurde ein neues Kreditfenster ohne direkte Auflagen geschaffen - wenn auch nur für Länder, die ohnehin schon auf Austeritätskurs lagen.

Bild: Attac
PETER WAHL

ist Globalisierungskritiker, Publizist und Mitarbeiter der NGO "Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung" (WEED). Er war als Gründungsmitglied von Attac Deutschland prägend für den Aufbau des Netzwerks.

IWF nahm Attac-Positionen auf

Zudem stimmte Strauss-Kahn kritische Töne an, wie man sie bis dahin eher bei Attac als beim IWF vermutet. In der letzten großen Rede vor seinem Sturz stellte er das Scheitern von Neoklassik und Monetarismus fest - drei Jahrzehnte lang das ökonomische Leitbild für den IWF - und bezeichnete die soziale Ungleichheit als "eine der 'stillen' Ursachen der Krise".

Die Praxis sah allerdings nicht immer so reformfreudig aus. So sind zum Beispiel die Konditionen für Griechenland genauso brutal wie jene in den 90er Jahren für Argentinien und andere hochverschuldete Länder. Aber schließlich kann man eine so große und komplexe Institution wie den IWF nicht über Nacht umkrempeln. Strauss-Kahn repräsentierte jenen Teil der Funktionseliten, der angefangen hat, wirklich Lehren aus der Krise zu ziehen. Er markierte damit auch im IWF die Spaltungslinien, die die Krise innerhalb des Führungspersonals des Westens erzeugt hat.

Von Christine Lagarde dürften allzu kritische Töne zur neoliberalen Vergangenheit des IWF dagegen nicht zu erwarten sein. Während ihr Vorgänger aus der sozialistischen Partei Frankreichs kommt (wobei er allerdings eher dem Typus "New Labour" von Tony Blair oder Gerhard Schröder zuzurechnen ist), war sie Mitglied der konservativen Regierung Sarkozys, die sich in den letzten zwei Jahren immer wieder für neoliberale Reformen starkgemacht hat. Nicht immer erfolglos, wie etwa im Fall der Erhöhung des Renteneintrittsalters. Verteilungsfragen und Soziales dürfte daher auch im IWF nicht zu ihren Prioritäten zählen.

Lagarde auf Konfrontationskurs

Auch ist die neue IWF-Chefin von Beruf Juristin und nicht Ökonomin. Selbst wenn sie sich in ihrer Zeit als Ministerin in Paris einige ökonomische Kenntnisse angeeignet haben dürfte, macht sie ihr beruflicher Hintergrund abhängiger von Beratung aus dem IWF, insbesondere dem Sekretariat. Dieses jedoch ist seit jeher von den USA dominiert. Allerdings wäre es verfrüht, daraus eine proamerikanische Parteinahme abzuleiten.

Bei der internationalen Konferenz der Notenbanker in dem amerikanischen Wintersportort Jackson Hole am 27. August hatte sie ihren ersten großen Auftritt, der durchaus spektakulär ausfiel. Sie warnte vor der neuen herannahenden Krisenwelle und kritisierte, dass die Regulierung der Finanzmärkte nur schleppend und unvollkommen vorankommt. Sie wies darauf hin, dass viele europäische Banken nicht ausreichend kapitalisiert sind, um einem erneuten Schock zu widerstehen.

Das brachte ihr massive Kritik aus Europa ein. Denn sie desavouierte damit die rosa-roten Ergebnisse des Stresstests für die Banken, den die EU-Kommission kurz zuvor veröffentlicht hatte. Zahlreiche Kommentatoren interpretierten ihre Rede als Versuch, das Image besonderer Europafreundlichkeit abzustreifen. Allerdings kann man das auch genau umgekehrt sehen. Da ihre Analyse in der Sache zutreffend ist, war es ein Freundschaftsdienst an den Europäern, sie aus ihren Illusionen zu reißen und Klartext zu reden. Außerdem hat sie die Probleme der USA ebenso unmissverständlich angesprochen wie die der EU.

Dass sie sich bei der Bundesregierung nicht gerade beliebt gemacht hat, ist nicht verwunderlich. Stört sie doch das Hochgefühl vom neuen deutschen Wirtschaftswunder, wenn sie dessen baldiges Ende ankündigt. Das ist das Los der Kassandra: Sie spricht die unbequemen Wahrheiten aus, deshalb hört man nicht auf sie.

IWF fordert Konjunkturhilfen

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Bundesregierung über Lagarde ärgert. Schon die Zusammenarbeit mit Wolfgang Schäuble im Management der Eurokrise war nicht reibungslos. So vertrat sie beharrlich die französische Linie einer europäischen Wirtschaftsregierung, bis Merkel ihren Widerstand dagegen aufgab. Im März 2010 kritisierte sie auch die deutschen Handelsbilanzüberschüsse, den ganzen Stolz des Vize-Exportweltmeisters.

Auch mit ihrem "Aktionsplan", den Lagarde bei der Jahrestagung von IWF und Weltbank am Wochenende vorstellte, widerspricht sie der deutschen Linie. Während Berlin, aber auch die Niederlande, Österreich und Finnland auf einen strikten Sparkurs setzen und bei Griechenland jetzt sogar noch strengere Sparmaßnahmen draufsatteln, hat die IWF-Chefin erkannt, dass man Länder auch totsparen kann. Ausdrücklich warnt sie davor, "den Gürtel drastisch enger zu schnallen". Stattdessen plädiert sie für einen Mix aus kurzfristiger Konjunkturstimulierung und mittelfristiger Konsolidierung. Inflation sieht sie gegenwärtig ausdrücklich nicht als Problem.

Für die gefährlichste Bedrohung hält sie dagegen einen erneuten Absturz der EU in die Rezession. Der Aktionsplan soll eine solche Katastrophe verhindern. Sie würde nicht nur die ganze Weltwirtschaft mit sich reißen, sondern das Chaos in der EU endgültig unbeherrschbar machen. Ob der Euro das überlebt, ist alles andere als sicher. So ist zu hoffen, dass die Bundesregierung in der gegenwärtigen Lage dem Rat der IWF-Chefin folgt.

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