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Debatte Griechenland"Betrüger, Unterwürfige, Arschkriecher"

Kommentar von G. Makridakis und E. Beis

Drei griechische Minister fordern ihre Landsleute zu besserer Arbeitsmoral auf. Der Publizist Giannis Makridakis findet das schamlos - und antwortet mit einem Brandbrief.

In die Tonne damit, sagt Giannis Makridakis zu einem Appell griechischer Minister. Indes streikt die Athener Müllabfuhr. Bild: ap

C HIOS taz Angesichts der andauernden Streiks, die das öffentliche Leben in Griechenland lahmlegen, rufen nun drei Minister der griechischen Regierungspartei PASOK das griechische Volk zu mehr Arbeitsamkeit und einer besseren Arbeitsmoral auf.

Giannis Ragousis (Innenminister), Anna Diamantopulou (Bildungsministerin) und Andreas Loverdos (Gesundheitsminister) haben vor einigen Tagen im Alleingang einen Aufruf veröffentlicht, indem sie die allgemeine "Gesetzlosigkeit" und Vetternwirtschaft im Alltag der griechischen Gesellschaft beklagen.

Sie rufen dazu auf, die Streiks zu beenden. Schulen, Krankenhäuser und das öffentlichen Verkehrsnetz lahmzulegen, um die Interessen der eigenen Vereinigung voranzutreiben, sei "zutiefst undemokratisch" und "asozial". Die Bürger sollen "moralischer" handeln und mit der Regierung zusammenarbeiten, denn Gesetze von oben reichten nicht aus, um das Land vor dem Abyss zu retten.

Der griechische Schriftsteller Giannis Makridakis hat mit einem entrüsteten Brief auf den Moralappell der drei Spitzenpolitiker reagiert:

Der Brief von Giannis Makridakis

"Das erleben wir also auch noch. Drei Staatsminister, allesamt hineingeboren und politisch aufgewachsen in dem Kartell, das in Griechenland den größten Schaden angerichtet hat, dem Interessenverband der PASOK-Partei, unterschreiben einen Aufruf gegen die Gewerkschaften und Interessenverbände des Volkes - die ihrer Wähler!

Drei Politiker sind jetzt also hervorgetreten – die Nachfolger und Getreuen einer Politik, die seit 30 Jahren die Ungebildetheit feiert, das Nichtige in den Vordergrund stellt, die Betrüger, Unterwürfige, Arschkriecher der Partei und Gescheiterte aus den Kleinkreisen der Politik fördert, die die falschen Väter ernährt, die vorgeben, sie würden sich für die Interessen der Arbeiter einsetzen, bis hin zu den Führungskräften einer korrupten, ignoranten und lächerlichen Lokalverwaltung und Zentralregierung.

Giannis Makridakis

geboren 1971 auf Chios, lebt dort als Landeshistoriker, Publizist und Autor. Seit 2008 schreibt er Romane und zählt mittlerweile zu den beliebtesten Schriftstellern Griechenlands ("Wintersonne", 2010).

Ausgerechnet sie sagen uns nun skandalöserweise, dass wir alle Schuld sind, dass wir eine Gesellschaft eigennütziger Gewinnler geworden sind, die mithilfe ihrer Politikerfreunde ihren Vorteil ergaunert. Und dass sich das grundlegend ändern muss, damit wir eine Aussicht auf Rettung haben. So eine Schamlosigkeit im politischen Kontext hat es in der Geschichte des griechischen Staates noch nicht gegeben.

Diejenigen, die den griechischen Bürgern die Mentalität aufgezwungen haben „um zu überleben, muss ich mich den Parteien anbiedern, unterwürfig, Diener und Kunde der Parlamentarier sein“, die selben Menschen, die bis zu den letzten Wahlen noch mit dem populistischen Wahlversprechen „es gibt Geld“ taktiert haben, um die Vereinigungen hinters Licht zu führen und sie zu ihrem eigenen Vorteil und dem der Partei für sich zu gewinnen, genau diese erbärmlichen Herrscher haben auf einmal das Licht der Tugend entdeckt.

Sie sind so erbärmlich, dass sie nichts begriffen haben

Sie sind zusammengekommen, nicht mit einer Erklärung der Reue, oder des Rücktrittes angesichts ihrer Verantwortung für das Schicksal Griechenlands, sondern mit einer Warnung an uns. Wir sollen uns alle ändern - sie aber ihre Positionen behalten, damit sie uns nach vorne bringen, auf einem anderen Weg nun, mit den früheren Kameraden als Feinden.

Sie sind aber so erbärmlich, dass sie nichts begriffen haben. Sie haben nicht begriffen, dass die Zunft, der sie gedient und die sie genährt haben, zusammenbrechen wird, und dabei ihre eigene Zunft an der Spitze, mitnehmen wird, gerechtfertigterweise, als eine Zunft übelster Sorte. Ein Gebäude kann nicht bis zu seinen Fundament einstürzen, das Dach bleibt aber hochmütig an seinem Platz stehen.

Das Griechenland, das die PASOK-Partei geschaffen hat, und das die Nea Dimokratia-Partei in den Intervallen, in denen sie regiert hat, weiter ausgebaut hat, wird zuerst vollständig zerfallen müssen, um danach aus den Trümmern neu wiederaufzuerstehen. Und bei seinem Niedergang wird es seine erbärmlichen Führer mitnehmen. Weil es aus Gründen der Gesetzmässigkeit gar nicht anders kommen kann."

Übersetzung: Elena Beis

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17 Kommentare

 / 
  • PR
    Philippe Ressing

    Die drei Minister der Pasok befinden sich in einer Reihe mit Bundeskanzlerin Merkel, Die warf den Griechen ja ebenso Faulheit vor. Da ist es dann egal, dass Beschäftigte dort weniger Urlaub haben, als in Deutschland. Unsere Politiker sind ja solche Vorbilder, lassen sich von Wirtschaftsmagnaten zu kostenlosen Urlaubsreisen einladen... Verstörend wrikt, dass mittlerweile mancher Grieche die Zeit der Diktatur unter den Obristen schönredet - damals sei es ordentlicher zugegangen als heute. Insgesamt kann man in Europa eine zunehmende Erosion der Demokratie als Herrschaftsform beobachten - auch bei uns .

  • F
    fanx

    Danke! Jetzt wissen wir endlich auf welcher Insel Gaddafi geparkt worden war. Da hatte dann wohl der griechische Geheimdienst mit dem Sturm des Parlaments gerechnet und war vorsorglich. Internationales PR-Ergebnis: "Gaddafi Gaddafi Gaddafi"

  • ZW
    Zorbas war kein Kreter!

    Tja, dieses Gesülze der drei Politclows wurde allgemein als Nachfolgegerangel nach Georgiaki P. verstanden, zumimdest auf dem Festland und was man von jemand halten soll, der gegenüber von "Izmir" anstatt Smyrna wohnt, ja, nee...

     

    Uns interessiert doch viel mehr, was denn jetzt die Obduktion des 53-jährigen toten Demonstranten erbracht hat.

  • BG
    B. Gilles-Weber

    Der sogen. Brandbrief zeigt zu recht auf, wie selbstgerecht, zynisch und borniert der Großteil der griechischen Politiker ist.

    Das hat Tradition und zieht sich, wen wundert's, wie ein roter Faden von 'oben' nach 'unten' durch die Bevölkerung. Man gilt im Lande als nicht sehr klug, wenn man den Staat nicht betügt. Da brauchts wohl noch etliche Generationen zum Umlernen.

    NS: Der Brief von Herrn Makridakis hätte eine sorgfältigere Korrektur der Übersetzung verdient, liebe Frau Beiss!

  • A
    Andrea

    Die Griechen sind vielleicht nur einen Schritt weiter als wir, im System. Am griechischen Volk liegt es den FinanzFaschismus zu bekämpfen. Wir Deutschen haben dazu keine Zeit. Wir müssen noch den Benz waschen und den Verpackungskunststoff zum Wertstoffhof fahren.

  • PA
    Peter Adam

    Recht hat der Mann !!

     

    Als Grieche sage Ich das diese Politverbrecher die Griechenland an die faschistische Junta in Brüssel ausgeliefert haben, an den nächsten Laternen baumeln sollten.

     

    Die Parteien sollten aufgelöst und mit einem Verbot der Neuorganisation belegt werden, denn sonst werden immer wieder die gleichen korrupten Verbrecher an die Macht kommen. Ich befürworte, um es mal ganz klar zu sagen, einen Austritt aus der EU, die Wiedereinführung der eigenen nationalen Währung sowie die Überwachung der politischen Vorgänge in Griechenland durch das Militär. Ich habe einfach die Schnauze voll von unfähigen, selbstgefälligen Politikern die Entscheidungen treffen ohne den einfachen Mann auf der Strasse nach seiner Meinung zu fragen.

  • W
    Westberliner

    Ich wünsche mir, dass sich auch mal ein deutscher Schriftsteller mit ähnlichem Inhalt an die deutsche Bundesregierung wendet.

  • H
    Hasso

    Der Fisch beginnt vom Kopf her an zu stinken! Hätte man von vornherein vernünftige Politik gemacht, brauchte man das griechische Volk jetzt nicht zu demütigen. "Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt"-, die käuflichen Politiker steuern hier die Welt. Die Käuflichkeit der Verantwortlichen ist das Problem auf diesem Planeten. Anstatt mit gutem Beispiel voran zu gehen kopiert man die Schlechtigkeit.Das zeigt, das man glaubt im Neo-Liberalismus ohne Betrug nicht voran zukommen. Jetzt zeigt sich, das der Schuss nach hinten losgegangen ist.

  • M
    Micha

    Dies ist eine schönes Beispiel, dass viele Griechen immer noch auf der Suche nach einem Schuldigen statt einer Lösung sind.

     

    Es ist ziemlich billig, den eigenen Untergang herbeizusehenen, wenn man keine Lösung weiß. Ein Vordenker ist Makridakis damit gewiss nicht. Eigendlich ist er aber zu jung um nur zornig zu sein.

  • W
    Warmduscher

    Es ist durchaus notwendig, dass einer sagt, dass lange am falschen Ende gestrichen wurde und damit bestraft. Komisch nur, warum werden diese Regierungen immer wieder gewählt, über Jahrzehnte?

    Bei uns dasselbe. Statt die Einnahmen zu erhöhen - durch die die was haben, werden auch bei uns die Ausgaben gestrichen für die die diese am Nötigsten brauchen. Nennt sich Schäuble Konsolidierung.

    Jetzt werden Milliarden bereitgestellt für die wir Acht Euro Sechzig Arbeitnehmer gerade stehen werden.

  • EN
    Edward Nigma

    So sehr der gute Mann auch Recht haben mag was seine Vorwürfe betrifft.

    Letztenendes ist der Aufruf der drei Politiker nicht falsch. Vielleicht Taktlos, provokant oder wirklich aus dem falschen Mund gekommen, aber trotzdem ein Aufruf zu vernünftigerem Handeln.

     

    Dieses Dilemma trifft man oft an. "Machs erstmal selbst besser bevor ich was verändere!"

    Ich kenne den Mann nicht, doch würde ich vermuten das auch er vielleicht nicht zur untersten Bevölkerungsschicht gehört und daher selbst garnicht 'aus erster Hand' berichten kann. Trotzdem bleibt seine Kritik gerechtfertigt.

     

    Fazit: Politiker sollten darauf achten was sie zu wem sagen und Kritik ernst nehmen. Sie sollten ggf. sogar anfangen sich für Fehler zu entschuldigen und das am besten auch noch glaubhaft.

     

    Aber das Volk (nicht nur die Griechen) sollten lernen Botschaften zu verstehen und sie für sich anzunehmen wenn sie gut sind, egal ob derjenige der sie ausspricht sie selbst umsetzen konnte.

  • V
    vic

    "Der Brief von Giannis Makridakis"

    Oh, der Mann spricht mir aus dem Herzen. Und ich meine nicht Griechenland.

  • V
    vic

    Asoziale, korrupte, und gesetzlose Politiker rufen die Bvölkerung auf, Schluss zu machen mit ihrem korrupten, asozialen, und gestzlosen Verhalten.

    Das kommt mir bekannt vor.

  • B
    Bitbändiger

    Die Wut des griechischen Volkes (bzw. eines großen Teils) ist nachvollziehbar, wenngleich nach meinem sehr vorsichtigen persönlichen Eindruck, der sich lediglich auf insgesamt 14 Urlaubswochen in Griechenland stützen kann, Profiteure (natürlich in extrem unterschiedlichem Ausmaß) des korrupten und ineffizienten Systems in allen Schichten zu finden sind.

     

    Auf der anderen Seite sind die Realitäten nun mal so, wie sie sind. Und die Philippika von Herrn Giannis Makridakis wäre weitaus glaubwürdiger und wirkungsvoller, wenn er wenigstens andeutungsweise gerechte und realistische Lösungsansätze aufzeigen könnte, die NICHT voraussetzen, dass Euros milliardenfach vom Himmel fallen.

  • E
    Eva

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    Letztendlich ist jede Rettung, eine Rettung der Banken…keine Frage für mich….Frage mich auch, weshalb sie alle GR retten wollen….doch nicht etwa aus moralisch Ethischen Gründen oder?

    Kann es etwa sein, dass schon länger klar war, dass all die Banken seit dem Crash eh Pleite waren und jetzt durch die Anleihe Defizite ….ganz logisch…ohne dass wir dummen hier aufmucken…..noch mal dieses Banken Milliarden in den…..gesteckt bekommen weil sie ja diese korrupten Griechen ganz selbstlos geholfen haben?

    Das ist ja interessant Herr Makridakis.

    Frage:

    Was würdest du denn machen? oder gar deine Partei mit der du sympathisierst?

    Man schaue sich mal diese Meinungsäußerung an. Nur Angriff, Polemik ...keinerlei fundierte Vorschläge.....somit reine Schrott Propaganda für was und wen?

    Wem nützt das alles.....sicher nicht die tatsächlich leiden, aber ein großer Teil unserer Landsleute sollten tatsächlich umdenken...jemand der zwei Häuser drei Eigentumswohnungen, zwei Ferienwhg am Meer und einige Felder als Besitz hat, und über die Sparmaßnahmen jammert, und dass er kein Geld hätte......der sollte doch bitte nicht nur seine Tassen in seinem Schrank zählen.

    Ja auch dieses alle gibt es......die nichts abgeben mögen ...solche Kommentare.....warum lese ich sie eigentlich..........

    Nur Taten zählen, und kein dummes Geschwätz!!!!!!

  • K
    kneyouth

    "(...) um danach aus den Trümmern neu wiederauferstehen. Und bei seinem Niedergang wird es seine erbärmlichen Führer mitnehmen. Weil es aus Gründen der Gesetzmässigkeit gar nicht anders kommen kann."

     

    Sowas Feines hat man in der taz lange nichtmehr gelesen. Vorwärts mit der Kommunistischen Partei Griechenlands!

  • H
    Hans

    Also ich kenne mich in der griechischen Literatur ziemlich gut aus und habe von diesem Autor, "einem der beliebtesten Schriftsteller Griechenlands", noch nie gehört - aber dafür, dass ich jetzt ein dümmliches Bashing der Fleißigen und eine Hohelied auf faule Schmarotzer erwartet hatte, ist das ja wirklich ein erstaunlich differenzierter und - aufgepasst, so was gibt es bei der eher dümmlichen, oberflächlichen taz sonst nicht - tiefsinniger Artikel geworden.