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Debatte Gaza-KriegLohn der Gewalt

Kommentar von Georg Baltissen

Der Krieg in Gaza hat die moderate Fatah geschwächt und die radikale Hamas gestärkt. Neue Friedensinitiativen für den Nahen Osten werden sich dieser Realität stellen müssen.

N ach dem Krieg in Gaza streiten die radikalislamische Hamas und der israelische Staat darüber, wer als Sieger aus dem dreiwöchigen Waffengang hervorgegangen ist. Der politische Verlierer dieses asymmetrischen Kriegs steht dagegen schon fest. Es ist die palästinensische Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas und die Organisation, der er vorsteht, die Fatah.

Der Gaza-Krieg war der erste militärische Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, an der die Fatah nicht beteiligt war. Tatsächlich vermittelte die über Jahrzehnte dominierende palästinensische Organisation den Eindruck, als ginge sie dieser Krieg überhaupt nichts an. Abbas gab in einer Erklärung zu Kriegsbeginn der Hamas sogar ein gerüttelt Maß an Mitschuld am Ausbruch der Kämpfe. Damit gesellte er sich ins Lager der "gemäßigten" säkularen arabischen Potentaten, die eine Schwächung des von Iran und Syrien geführten Hardlinerlagers von Hamas und Hisbollah nicht ungern gesehen hätten.

Die Spaltung der Palästinenser zwischen Hamas und Fatah ist insofern ein getreues Abbild der tiefen Divergenzen innerhalb der arabischen Welt und des Kampfes gegen die regionale Vormachtstellung des Iran. Während das Lager der Könige und Autokraten - auch um des eigenen Machterhalts willen - gegenüber der amerikanisch-israelischen Dominanz auf Verhandlungen und politischen Ausgleich setzt, streben die Hardliner und Islamisten nach militärischer Stärke und einem Gleichgewicht der Waffen.

Ein durchschlagender Erfolg ist beiden Strategien bisher nicht zuteil geworden, wie sich im Palästinakonflikt zeigt. Nach der Niederschlagung der zweiten Intifada und dem Tod Jassir Arafats im Jahre 2004 entschied sich die Fatah, auf militärischen Widerstand zu verzichten. Unterstützt von den USA und Europa, suchte sie eine diplomatische Lösung durch Verhandlungen - allerdings ohne auf israelischer Seite das erwünschte Echo zu finden. Jetzt richten sich die Hoffnungen des Fatah-Führung auf eine neue US-Nahostpolitik unter Barack Obama. Damit aber entfernt man sich weiter von der Hamas, die von den USA, Israel und der Europäischen Union weiterhin als "Terroristentruppe" gebrandmarkt und boykottiert wird. Die Aussichten auf eine innerpalästinensische Aussöhnung oder gar eine Einheitsregierung aus Hamas und Fatah sind deshalb vorerst ziemlich schlecht.

Die Hamas hat den Gazakrieg überlebt und ihr kleines "Hamastan", wenngleich arg ramponiert, über die Runden gerettet. Die Fatah und die Autonomiebehörde in Ramallah dagegen sahen den israelischen Bombardements und der Bodeninvasion zwar mit wachsendem Schrecken, aber relativ tatenlos zu; die Proteste oder Demonstrationen gegen den Krieg wurden im Westjordanland in bester arabisch-autokratischer Manier unterbunden. Damit hat die Fatah endgültig jenen Glorienschein eingebüßt, den sie, aller Misswirtschaft und Korruption zum Trotz, dank Arafat und ihrer mythisch überhöhten Vergangenheit noch für sich hatte beanspruchen können. Stattdessen verkörpern nun die Hamas-Kämpfer, nicht zuletzt dank der Bilder des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira, den Willen zum Widerstand gegen die israelische Besatzung und Expansion.

Die völlig überalterte Fatah-Führung hat ihre Verbindung zur "Straße" und der überwiegend jugendlichen Bevölkerung der Palästinensergebiete verloren. Seit zwei Jahrzehnten gab es keinen Fatah-Kongress mehr, bei dem neue Kader auf demokratischem Wege an die Macht hätten gelangen können. Die Riege der alten Abus hat durch Tod verursachte Lücken in ihren Reihen lediglich durch die Kooptation ähnlich alter Abus wieder aufgefüllt. Seit Jahren steht die von Lager- und Clankämpfen zerrüttete Organisation ratlos vor der Frage, wie sie eine Erneuerung in den eigenen Reihen bewerkstelligen soll.

Die religiös-nationalistische Hamas dagegen hat sich als Träger des "palästinensischen Widerstandes" etabliert. Noch könnte die Hamas für das Ausmaß der Zerstörungen im Gazastreifen, das offiziell der Ruchlosigkeit der israelischen Armee und Regierung angelastet wird, noch zur Rechenschaft gezogen werden. Auch deshalb hat Hamas schon damit begonnen, nach Hisbollah-Vorbild Gelder an Palästinenser zu verteilen, deren Häuser zerstört wurden. Wenn es ihr zudem gelingt, eine Lockerung der israelischen Blockade oder gar eine Öffnung der Grenzen und einen freien Waren- und Personenverkehr zu erreichen, könnte sie das als Kriegsgewinn verbuchen.

Für die Versorgung der Bevölkerung und den Wiederaufbau im Gazastreifen dürfte dies fast unausweichlich sein. Die Position von Mahmud Abbas, dessen reguläre Amtszeit am 9. Januar offiziell abgelaufen ist, wird das weiter schwächen. Nach all den Jahren der Verhandlungen und Gespräche steht er mit leeren Händen da: Israel hat seine Siedlungen und Checkpoints im Westjordanland noch ausgebaut und behält sich vor, jederzeit in das "Autonomiegebiet" einzumarschieren. Und das, obwohl Abbas die Islamisten im Westjordanland - durchaus in Israels Sinne - mit aller Härte gejagt und verfolgt hat, seit sie im Sommer 2007 im Gazastreifen die Macht an sich gerissen haben. Will der Präsident Palästinas jedoch Ramallah verlassen, muss er bei der israelischen Regierung erst um eine Genehmigung bitten. Auf solche Demütigungen hat sich die Hamas nie eingelassen.

Die Hamas wird nun reklamieren, dem israelischen Allmachtsanspruch Paroli geboten zu haben. Dass sie als Regierungspartei bislang wenig erreicht hat, um das armselige Leben der Palästinenser zu verbessern, und an einer dauerhaften Lösung des Konflikts wenig Interesse zu zeigen schein, rückt dabei in den Hintergrund. Die Hamas rühmt sich, Israel so lange nicht anerkennen zu wollen, wie es nicht zu einer gesicherten Gegenleistung bereit ist - eine Haltung, wie sie die Fatah bis 1988 an den Tag legte. Wie weit Hamas bereit ist, von ihren Maximalpositionen abzurücken, wird sich erst zeigen, wenn man nicht länger und dauerhaft auf einen politischen Dialog mit der Organisation verzichtet. Sie allein mit militärischen Mitteln bekämpfen zu wollen, wird nur zu neuen Zyklen der Gewalt führen.

Neue Nahostinitiativen, wie sie US-Präsident Barack Obama und auch die Außenminister der Europäischen Union jetzt ankündigen, werden so lange ohne Aussicht auf Erfolg bleiben, wie sie die Hamas zu ignorieren oder zu umgehen versuchen. Die Forderung der Europäer nach einer palästinensischen "Versöhnung" unter Führung von Präsident Abbas verkennt schlicht, wie es inzwischen tatsächlich um das Kräfteverhältnis zwischen Hamas und Fatah bestellt ist.

Die Hamas hat eine 18-monatige Waffenruhe angeboten, die zu Verhandlungen genutzt werden sollte. Und solange nicht einmal im Ansatz eine Lösung in Sicht ist, die das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser in den Grenzen von 1967 berücksichtigt, wird die Hamas der Fatah weiter den Rang ablaufen.

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Auslandsredakteur
61, ist Redakteur im Ausland und gelegentlich Chef vom Dienst. Er arbeitet seit 1995 bei der taz, für die er schon in den 80iger Jahren geschrieben hat. Derzeit ist er zuständig für die Europäische Union und Westeuropa. Vor seiner langjährigen Tätigkeit als Blattmacher und Titelredakteur war Georg Baltissen Korrespondent in Jerusalem. Noch heute arbeitet er deshalb als Reisebegleiter für die taz-Reisen in die Palästinensische Zivilgesellschaft. In den 90iger Jahren berichtete er zudem von den Demonstrationen der Zajedno-Opposition in Belgrad. Er gehörte zur ersten Gruppe von Journalisten, die nach dem Massaker von 1995 Srebrenica besuchte.

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