Debatte Flüchtlingspolitik: Die Grenze selbst ist die Gefahr
Europa muss für alle offen stehen, nicht nur für eine kleine Elite. Der Versuch, Migration zu kontrollieren, ist unmenschlich, teuer und sinnlos.
E inen mutigen Beitrag hat Paul Collier, Professor für Economics and Public Policy, vor kurzem in der taz veröffentlicht. Angesichts eines unmenschlichen Umgangs mit Flüchtlingen und unhaltbarer Zustände in Unterkünften auf Lampedusa, aber auch überall sonst in der EU schreibt er, dass unsere Menschenrechtsrhethorik bei Flüchtlingen falsche Hoffnungen weckt. Statt offizieller Einreise gebe es kriminelle Gangs, die Fluchtreisen organisierten. Und bei ihrer Ankunft auf europäischem Festland würden die Geflüchteten dann mit Rechten überschüttet, so Collier. Das kann schon nicht mehr als nur naiv betrachtet werden.
Collier hat recht, wenn er schreibt, dass es nicht sein kann, dass Menschen ihr Leben bei einer hoch gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer riskieren. Die europäische Migrationspolitik muss sich ändern. Und Collier hat auch damit recht, dass die Flüchtlinge, die es trotz allem bis nach Europa schaffen, nicht zu den Ärmsten der Armen gehören. Zu kostspielig sind die durch Frontex und durch in Drittstaaten vorverlagerte Kontrollen aufgezwungenen Routen.
Collier zieht daraus den Schluss, dass Europa den Afrikanern einfach mehr Studienplätze zur Verfügung stellen muss, in beiderseitigem Interesse, und ansonsten die Grenzen dicht bleiben sollen. So würden die nach einer Ausbildung in Europa Hochqualifizierten einen Entwicklungsschub in ihren Heimatländern bewirken. Die Forderungen, die er aufstellt, sind weder sinnvoll, noch liefern sie einen neuen Beitrag zur Debatte über Migration.
geboren 1984, ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich mit dem Thema koloniale Kontinuitäten und Rassismus in der gegenwärtigen Entwicklungspolitik.
Der Autor der Forderung in der Vorwoche „Studienplätze statt Bootsplätze“, Paul Collier, ist Professor für Ökonomie an der Oxford University und Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomien. Davor leitete er die Forschungsabteilung der Weltbank.
Schon Wolfgang Schäuble und Nicolas Sarkozy, damals die Innenminister in Deutschland und Frankreich, hatten 2006 das Konzept der zirkulären Migration ersonnen, das heute integraler Bestandteil der europäischen Migrationspolitik ist. Das Konzept sieht vor, dass Menschen aus Drittstaaten für eine gewisse Zeit in der EU studieren oder arbeiten, schon während ihres Aufenthalts durch Geldsendungen ihre Herkunftsländer unterstützen und schließlich bei ihrer Rückkehr ihre in der EU erworbenen Fähigkeiten in ihrer Heimat nutzen und somit die Entwicklung dieser vorantreiben.
An diesem Konzept gibt es jedoch erhebliche Zweifel. Die EU behauptet, der Abwanderung von Fachkräften aus den kapitalistischen Peripherien entgegenwirken zu wollen und stattdessen eine für alle vorteilhafte Politik zu betreiben: Afrikaner erhalten eine Ausbildung und Europa kann zugleich die Einwanderung kontrollieren und wirtschaftliche Bande für die Zukunft knüpfen.
Platz nur für wirtschaftlichen Eliten
Dieser Debattenbeitrag erscheint in der taz.am wochenende vom 26./27. Oktober 2013 . Darin auch: Wie Greenpeace gegen Russland kämpft. Eine Reportage aus dem Innern des Umweltriesen Außerdem: Apple hatte versprochen, die Arbeitsbedingungen in China zu verbessern. Fabrikarbeiter und Arbeitsrechtler berichten, ob sich wirklich etwas getan hat. Und: Der Herbst eines Superstars - ein Portrait von Dirk Nowitzki. Am eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Realität ist aber, dass die EU lediglich ein Nadelöhr für genau die Fachkräfte und wissenschaftlichen und politischen Eliten offen hält, die den Ökonomien der EU-Mitgliedstaaten nützen. Welche Art der Migration den Volkswirtschaften der afrikanischen Staaten nützen würde, bleibt bei gegenwärtiger Machtasymmetrie unberücksichtigt. Von dieser Elite wiederum zu verlangen, in die Heimat zurückzukehren, scheitert nicht nur an der Wirklichkeit. Denn nach Studium, ersten Arbeitserfahrungen, geschlossenen Freundschaften, Familiengründung besteht meist gar kein Interesse zurückzukehren.
Diese Forderung enthüllt auch die nationalistische Vorstellung der Vertreter der zirkulären Migration, dass Menschen dahin gehören, wo sie geboren wurden. Dass auch Europa zur Heimat werden kann, will man einmal bei diesem Wort bleiben, ist nicht vorgesehen, es offenbart ein Denken in rassistischen Kategorien. Eine Vorstellung, die auch Collier zu teilen scheint, wenn er von Afrikanern schreibt, die in ihre Heimat zurücksollen. Natürlich nicht, ohne vorher „von uns Fertigkeiten zu erlernen und Einstellungen zu absorbieren“. Der Weg zum wohlmeinenden Kolonialherren ist dann nicht mehr weit.
Europa ist mit seinen desaströsen Agrarsubventionen, einseitigem Interesse dienenden Freihandelsabkommen und Kriegseinsätzen – um nur einige Punkte zu nennen – für das Elend im Mittelmeer mitverantwortlich. Es reicht nicht, ein paar mehr Studienplätze zur Verfügung zu stellen und ansonsten weiterhin an der Militarisierung der Außengrenzen festzuhalten. Nicht eine lediglich an Nützlichkeitserwägungen ausgerichtete Politik, die Menschen je nach Bedarf ein- oder ausschließt, ist angezeigt.
Migration nicht kontrollierbar
Ganz im Gegenteil bedarf es einer solidarischen internationalen Politik, deren elementarer Bestandteil eine für alle Menschen offene europäische Grenze ist. Dies wird der Tatsache gerecht, dass es Migration immer gab und geben wird und sie nicht beliebig zu steuern ist.
Der vom Rat der Europäischen Union 2005 beschlossene „Gesamtansatz zur Migrationsfrage“, der nach wie vor handlungsleitend ist, plädiert für eine Politik, welche das Zusammenwirken von Migration und Entwicklung fördert. Im Gegenteil sind die konkreten Schritte vor allem von sicherheitspolitischen Erwägungen, Illegalisierung von Flucht und Migration sowie Maßnahmen der Migrationskontrolle geprägt.
Dass es zu einer Kehrtwende in der europäischen Migrationspolitik kommt, ist leider nicht allzu wahrscheinlich, wie gerade wieder unter Beweis gestellt wurde. Die Chance auf eine Entwicklungspolitik auf Augenhöhe und eine menschliche Migrationspolitik haben die Staats- und Regierungschefs auf der gestern endenden Tagung des Europäischen Rats vertan. Zu groß ist die Angst vor einsetzenden „Flüchtlingsströmen“, die nicht nur von der extremen Rechten geschürt wird, sondern auch von der sogenannten Mitte der Gesellschaft.
Außer Acht gelassen wird dabei nicht nur, dass es sich schlicht nicht alle Menschen leisten können, in ein anderes Land zu emigrieren. Auch muss klar sein, dass Europa nicht die einzige Region der Welt ist, in deren Richtung Wanderungsbewegungen stattfinden.
Der Versuch, Migration zu kontrollieren, ist unmenschlich, sinnlos, teuer und letztlich für die wirtschaftliche Entwicklung sowohl Europas als auch Afrikas nicht nützlich. Die Menschen an der Grenze stellen keine Gefahr dar – die Grenze selbst ist die Gefahr.
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