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Debatte FinanzkriseSimulierte Souveränität

Kommentar von Ralph Bollmann

Angesichts der Krise will nun alle Welt den starken Staat zurückhaben. Doch wichtiger als ein nationales Konjunkturprogramm ist es, an der Globalisierung festzuhalten

Bild: taz

Ralph Bollmann ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Nichts wiegt in komplexen Gesellschaften schwerer als das Gefühl des Kontrollverlusts. In unsicheren Zeiten muss die Politik Handlungsfähigkeit zumindest demonstrieren. Deshalb wird die Serie von Krisengipfeln, die noch im alten Jahr begann, im Januar in rascher Folge weitergehen. Am Sonntag beraten CDU und CSU, an den beiden kommenden Montagen alle Koalitionsparteien gemeinsam, bis Mitte des Monats soll das neue Konjunkturprogramm in Umrissen feststehen. Doch je näher es rückt, desto größer werden die Zweifel: Lässt sich die Regierung vom Imperativ der simulierten Souveränität dazu verleiten, das eklatant Falsche zu tun?

Noch im alten Jahr hatte sich die große Koalition durch die Rufe nach Intervention dazu verleiten lassen, für neue Autos eine sinnlose Befreiung von der Kfz-Steuer zu beschließen. Diesmal will sie es besser machen. Aber sind jene Bauinvestitionen, die als Kernstück eines neuen Konjunkturpakets schon feststehen, wirklich sinnvoll? Mit Autobahnprojekten hilft der Staat allenfalls ein paar großen Baukonzernen. Und werden ein paar Aufträge an Malermeister und Klempnerbetriebe, die gegen blätternde Farbe und tropfende Wasserhähne in Deutschland einschreiten, zu einer nachhaltigen Belebung der Wirtschaft führen oder die Probleme des deutschen Bildungswesens lösen?

In der Krise sind plötzlich alle zu Keynesianern geworden und finden, der Staat solle jetzt endlich Geld ausgeben. Begründet wird der Ruf nach Konjunkturprogrammen als Lehre aus der Weltwirtschaftskrise der frühen Dreißigerjahre. Der damalige Reichskanzler Heinrich Brüning habe, so heißt es, durch rigides Sparen die Krise noch verschärft. Brüning hatte für seine Politik allerdings ein rein politisches Motiv: Er wollte der Welt beweisen, dass die Reparationszahlungen Deutschland ruinierten. Zu diesem Zweck wollte er den Niedergang bewusst herbeiführen und das ist ihm auch gelungen.

Der Beweis, dass üppige Ausgabenprogramme gegen die Krise wirklich helfen, wurde damit nicht erbracht. Einig sind sich die Wirtschaftshistoriker nur in einem: Fatal war vor fast achtzig Jahren die Neigung fast aller führenden Politiker, die nationalen Märkte voneinander abzuschirmen. Schon damals galt die zunehmende Verflechtung der Finanz- und Warenmärkte als ein wesentlicher Auslöser der Krise. Doch brachte die Abschottung nicht den erhofften Aufschwung, vielmehr vertiefte sie die Depression.

Lernen lässt sich aus der Weltwirtschaftskrise daher vor allem eines: Das größte Risiko liegt in einer übersteigerten Globalisierungskritik. Vielversprechender als der Ruf nach einer Stärkung des Binnenmarkts wäre es daher, den internationalen Austausch wieder in Gang zu bringen. Ein wenig ist es mit einem wirtschaftlichen Absturz wie mit einem Terrorangriff: So tragisch das Ereignis selbst auch sein mag, so sehr liegt die wirkliche Gefahr erst in den übereilten Reaktionen, die darauf folgen können. In der aktuellen Wirtschaftskrise wünscht man sich bisweilen ein wenig von jener heroischen Gelassenheit, die Briten oder Spanier nach den Anschlägen von London und Madrid unter Beweis stellten.

Die Folgen übereilter Abschottung zeigen sich auch am Beispiel eines wirtschaftlichen Absturzes, von dem in diesen Wochen erstaunlich selten die Rede ist - dem Gründerkrach von 1873. Er folgte dem Wirtschaftsboom, den Reichsgründung und forcierter Eisenbahnbau ausgelöst hatten. Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck reagierte wie später die Politiker der 1930-er Jahre mit einer Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus. Er schottete den Binnenmarkt des Kaiserreichs zunehmend ab, schützte Landwirtschaft und Schwerindustrie durch hohe Zollschranken - mit der Folge, dass sich der wirtschaftliche Einbruch zur zwei Jahrzehnte währenden Großen Depression verstetigte.

Allerdings erscheint diese Depression aus der historischen Distanz weniger dramatisch, als sie den Zeitgenossen erschien. Es war eine Periode gedrosselten Wachstums, keineswegs des wirtschaftlichen Rückgangs. Überhaupt zeigt ein Blick auf die zyklischen Krisen, die den Aufstieg des Kapitalismus seit dem späten Mittelalter stets begleiteten, dass es sich auch in den Perioden des vermeintlichen Niedergangs oft erstaunlich kommod leben ließ. So erlebten etwa die italienischen Stadtstaaten in den Jahrhunderten ihres Niedergangs noch Zeiten großer kultureller Blüte. Allerdings sollte man nicht übersehen, dass unter jeder Wirtschaftskrise die wirtschaftlich Schwächsten am stärksten leiden - jedenfalls sofern sie nicht als Hartz-IV-Empfänger ihr karges, aber festes Auskommen haben. Auch das sollten jene bedenken, die in der aktuellen Krise einen heilsamen Schock für die Reichen sehen.

Das aktuelle Gerede über die Stärke des Staates wird sich rasch relativieren, sobald die Krise auf die öffentlichen Haushalte zurückschlägt. Denn schon lange war der Staat in Deutschland nicht mehr so stark wie in den ersten drei Jahren der großen Koalition. CDU und SPD erhöhten die Mehrwertsteuer so drastisch wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik und verweigerten sich beharrlich allen Forderungen nach einer niedrigeren Einkommensteuer. Die Finanzen der Rentenkasse sanierten sie durch eine beispiellose Kürzung der Altersbezüge in Form der Rente mit 67, der Etat der Bundesagentur für Arbeit schrumpfte durch den Wirtschaftsboom von selbst. Zuvor schon hatte Hartz IV die Kommunen vor den drückenden und stetig wachsenden Lasten für die Sozialhilfe befreit. Die ständigen Diskussion um Sozialkürzungen, um die Schließung von Theatern oder Schwimmbädern schienen auf wundersame Art beendet.

Das alles wird sich umkehren, sobald die Einnahmen aus Einkommensteuer und Sozialabgaben mangels Beschäftigung schrumpfen, die Ausgaben aber durch wachsende Arbeitslosigkeit steigen. Hinzu kommen dann noch die Etatlöcher, die durch verfrühte und teils sinnlose Konjunkturprogramme gerissen werden, erst recht durch etwaige Steuersenkungen auf Wunsch der CSU. Überdies entstehen zusätzliche Kosten für den Schuldendienst, wenn die Zinsen alsbald wieder steigen - was angesichts international wachsender Staatsverschuldung nicht unwahrscheinlich ist.

Offenkundig hoffen die Parteien, dass sich diese bittere Erkenntnis noch über die Bundestagswahl 2009 hinauszögern lässt. Nach dem Wahlkampf der Zumutungen 2005, der für die CDU mit einem desaströsen Ergebnis endete, steht diesmal eine Kampagne der beispiellosen Verlogenheit bevor. Eine Kampagne, in der allseits die Mär vom starken Staat beschworen wird - und die nach dem Wahltag mit einer bitteren Enttäuschung enden wird.

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4 Kommentare

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  • MS
    M. Stocker

    So ists aber brav! Mit den alten Rezepten gegen die Krise, die durch die alten Rezepte hervorgerufen wurde. Es ist schon unglaublich, mit welchem Tempo die Taz auf eine Handelsblatt- und Dreikönigstreffen-kompatible Apologie der bestehenden Verhältnisse umschwenkt. Dass ich mir diesen Stuss von der Alternativlosigkeit des Freihandels und der Null-Einmischung des Staates jeden Tag in der bürgerlichen Lokalpresse antun muss, reicht anscheinend nicht aus. Der Unfug breitet sich in atemberaubender Geschwindigkeit auch in der Taz aus.

    Verlogen wird sicherlich der Wahlkampf werden, aber nicht verlogener als jeder vorhergehende. Verlogen ists in der Tat, wenn diejenigen, die die Eingriffsmöglichkeiten des Staats systematisch demontiert haben, jetzt das Hohelied staatlicher Intervention singen. Aber das ist doch nicht deswegen grundsätzlich falsch, weil es aus dem Munde der Großkoalitionäre kommt. Es ist Ausdruck ihrer katastrophalen Hilflosigkeit, und Ausdruck dafür, dass sie den Schuss der Linkspartei-Präsenz im Parlament gehört haben.

    Dass Souveränität nicht nur ein Ausdruck nationalistischer Borniertheit sein muss, sondern auch ein Akt der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse ist etwas, was Bollmann und ein großer Teil der Inlandsredaktion partout nicht begreifen will. Ich möchte doch sehr darum bitten, zu akzeptieren, dass der Souverän, so wie vom Grundgesetz vorgesehen, das Wahlvolk ist, und es leicht vermessen wäre, politische Vorgaben für etwas anderes als das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu machen. Wenn jeder Versuch, vor der eigenen Türe zu kehren schon als Beweis für den Rückfall in Protektionismus und nationalstaatliche Eigenbrötelei dient, bleibt nur noch die Untätigkeit, die Politik der toten Hand übrig. Den Gefallen werden wir der Bundesregierung (hoffentlich), den Finanzkonzernen und Banken nicht mehr allzulange tun.

    Die Alternative wäre schnell benannt: Statt ein paar Brötchen oder lausiger Krümel (wie der lächerliche Kfz-Steuer-Erlass), die wir als Staatsschulden der Zukunft sowieso um ein vielfaches vermehrt bezahlen müssen, sichern wir uns doch gleich die ganze Bäckerei: Verstaatlichung nennt man soetwas. Aber das ist außerhalb des Horizonts unserer Handelsblatt-Korrespondenten in der Taz.

  • J
    Jörg

    Klassischer rhetorischer Fallrückzieher aufs eigene Tor: "Zu diesem Zweck wollte er [brüning] den Niedergang bewusst herbeiführen und das ist ihm auch gelungen." Bollmann dagegen möchte anscheinend den Niedergang unbewusst herbeiführen, weil er ihn dann ja nicht so schmerzhaft spürt. Wenn Brünings Supersparpolitik - unabhängig von der Frage nach den Motiven - tatsächlich "erfolgreich" den Niedergang herbeigeführt hat, stellt sich doch wohl die Frage, warum aktuell der Versuch des Festhaltens an einer Haushaltskonsolidierungspolitik zu besseren Ergebnissen führen sollte. Ralph Bollmann gibt uns die Antwort, dass uns heute nichts Böses passieren kann, weil die Konsolidierer nur das Gemeinwohl im Auge haben.

    Und da beisst sich die Katze in den Schwanz: Nicht nur Brüning, sondern auch Keynes war der Meinung, dass die Reparationsforderungen ökonomisch unrealistisch waren - und schrieb zu diesem Thema ein Buch unter dem Titel "The economic consequences of the Peace". Diesen Titel griff kürzlich Nobelpreisträger Paul Krugman in einem Posting mit der Überschrift "The economic consequences of Herr Steinbrueck" auf, in dem er die Verwirrungen des Poltergeists Peer auf den Begriff brachte. Warum das

    handelspolitische "Gegenargument" Bollmanns falsch ist, legte Krugman in diesem Posting und dem folgenden NYT-Editorial "European Crass Warfare" auch gleich dar. Wer genau liest, merkt sogar, dass "Simulierte Souveränität" - Bollmanns Titel für seine anti-keynesianische Stellungnahme - eine geeignetere Überschrift für Krugmans Leitartikel als das von ihm selbst gewählte "crass/class"-Wortspiel gewesen wäre. Im Kontext von Bollmanns Artikel hingegen ist die Formulierung völlig sinnfrei.

     

    Aber vielleicht ist Bollmann ja tatsächlich ein kreativerer ökonomischer Denker als Krugman und schlägt demnächst effizentere Methoden der Handelsförderung vor, als Krugman (die gegenwärtige Galionsfigur der Keynesianer, aber auch Empfänger eines Ökonomie-Nobelpreises für Handelstheorie) sie sich je träumen lassen würde. Eingedenk Oskar Lafontaines einst durch unelegantes Gleiten - vulgo: "Rutschen" - auf den Schalen von des Ostdeutschen liebstem Konsumartikel, der Banane, errungener Wahlniederlage könnte Bollmann bspw. eine gesetzliche Zwangsquote importierter Lebensmittel vorschlagen, die es u. a. auch taz-Autoren ermöglichen würde, ohne Angst vor kurzfristigen Versorgungsengpässen oder gar dem Gespenst von peak banana imports unbegrenzte Experimente in Sachen intellektueller Rutschbahn-Optimierung durchzuführen.

     

    Zum Ausgleich wäre dann auch denkbar, im Sinne der Förderung deutschen Liedguts, der globalen Verbreitung intellektueller Hausmannskost sowie des generellen Verspätungsdrangs der deutschen Nation und der Befriedigung des evtl. darin implizierten Bestrafungsbedürfnisses Bollmanns Artikel ins Englische zu übersetzen und ihn in den Kommentarspalten von Krugmans Blog häppchenweise

    kundigen Kritikern zur Analyse vorzusetzen. Welche Konsternation ist da nicht schon absehbar, wenn dort der Ralph, der doch nur das Staatssäckelchen fest zuschnüren will, mit der Feststellung konfrontiert wird, dass "The Germans want to freeload!" Womöglich wird er ob dieser gefühlten babylonischen Sprachverwirrung gleich wieder Reißaus nehmen.

    Ja, darf es denn wahr sein, dass wir uns einst eine Deutsche Physik geleistet haben, heute aber schon am Projekt einer Deutschen Ökonomie kläglich scheitern? Wo die Ökonomie doch definitiv unter den Wissenschaften nur als low-hanging fruit figuriert - irgendwo zwischen Banane, Zitrone und saurem Apfel. Bevor er in das krumme Ding beisst, sollte Ralph Bollmann aber wirklich einfach mal einen Blick auf Krugmans Argumentation werfen. Es mag kein free lunch geben, aber ein saurer Apfel ist allemal drin.

     

    Merke: Wenn ein Kommentator eine Realität im Kopfstand porträtiert, sagt dies mehr über seine aktuelle Körperhaltung als über den Gegenstand seiner Überlegungen aus.

  • A
    Amos

    Das Geld, dass dem 'Fußvolk' vorenthalten, wurde von

    'der Elite' verzockt. So einfach ist das. Politik

    der Dummheit. Man ist dumm und gierig, will aber im

    Bankensystem mitmischen.Das Parlament ist stets leer. Wo sind die alle? Geld von den Beraterpöstchen

    eintreiben? Trotzdem Diäten kassieren, aber in der

    Politik, so dumm wie eine hohle Nuss.Die Gier und

    die Jagd nach Dividenden lässt unser System zerbrechen. Was macht man dagegen? Ehe man etwas

    ändert, beschneidet man die Grundrechte und mokiert

    sich über die Stasi.

  • H
    hto

    Simulierte Souveränität - simulierte "Krise", simulierte "Globalisierung", simulierte "Vernunft", wo doch nur systemrationaler Kommunikationsmüll symptomatisch die bewußtseinsschwachen Gesellschaften dieser simulierten Welt- und "Werteordnung" ohne ... pflegt!?

     

    Festzuhalten (konservatives in Neurosen und Psychosen), wo nur Stumpf-, Wahn- und Schwachsinn funktioniert, das ist ...!?