Debatte Eurokrise: Schreddern wir Europa?
Eurobonds retten den Euro nicht. Im Gegenteil, wenn wir den Euro sterben lassen, könnte sich wieder eine europäische Solidarität entwickeln.
N atürlich kann man den Euro retten. Dazu bräuchte es Eurobonds, gleichzeitig aber eine proeuropäische Aufbruchstimmung. Dann könnte man eine demokratische EU-Regierung durchsetzen, die Steuerflucht unterbindet, die Finanzinstitutionen tatsächlich reguliert, Vermögen und Unternehmensgewinne vernünftig besteuert, eine europaweite Lohnkoordination ebenso auf den Weg bringt wie europaweite Ausgleichsmechanismen aufgrund der verschiedenen Inflations- und Produktivitätsentwicklungen.
Nichts davon ist auch nur annähernd konsensfähig, nicht mal innerhalb der Eurostaaten. Und ein Projekt Europa, in das sich die Bürger verlieben könnten, spürt niemand, eher die Angst, aufgrund der gegenwärtigen Entwicklungen könnten Militärputsche jede Resthoffnung auf demokratische Gepflogenheiten atomisieren.
Der Euro ist im Moment der wichtigste Verbündete einer an Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich desinteressierten Elite. Deshalb geht dieses Gerede auf die Nerven, ein Ende des Euros würde Europa zerstören können. Denn der Euro selbst ist es, der Europa gegenwärtig zerstört.
geboren 1968, ist studierter Physiker und arbeitet als Referent und Buchautor. Zuletzt erschienen: "Das Gesellschaftswunder. Wie wir Gewinner des Wandels werden". Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac.
Die Menschen driften wieder auseinander, innerhalb und zwischen den nationalen Grenzen, wirtschaftlich und ideologisch. Die Zukunft Europas wird krampfhaft an der Zukunft des Euros festgemacht, obwohl die Rettungsmaßnahmen das europäische Fundament aushöhlen.
Keine Solidarität
Damit Griechenland und andere Länder in der Eurozone bleiben können, werden sie entwürdigenden und kontraproduktiven Kahlschlagprogrammen unterworfen. Natürlich gibt es in vielen Ländern Reformbedarf, allen voran in Griechenlands politischem System. Nur ist den Ländern nicht geholfen, wenn deren Arbeitslosenraten auf Rekordmarken steigen, die Löhne sinken - und die Schulden hernach trotzdem steigen. Die Bereitschaft zu solidarischem Handeln existiert nicht - als Solidarität bezeichnen Staatenlenker ein Tun, das ihren Ländern zu Vorteilen verhilft.
Im Falle Griechenlands heißt das: Wir leihen euch Geld gegen deftige Zinsen, falls ihr die Kredite mit Privatisierungserlösen und Sparprogrammen bedienen könnt. Wer den Geldadel verschont, kann den Euro nicht retten, zu hoch sind die Schuldentürme, zu mächtig und flexibel die Gläubiger. Der gegenwärtige Kurs reitet immer mehr Staaten Richtung Kollaps. Portugal, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, wer kommt als übernächster?
Selbst wenn die Bundesregierung eine 180-Grad-Wende vollzieht und etwa die Europäische Zentralbank in großem Stil Staatsschulden garantieren darf, wären Eurobonds allein keine Lösung der Misere. Weil diese in einen inhumanen Rahmen gepresst würden: "Wir refinanzieren eure Schulden, dafür regieren wir in euren Staatshaushalt hinein."
Was nicht schlimm wäre, wenn es von einem demokratisch legitimierten Europaparlament unternommen würde, das die Probleme aus Sicht der Bürger angeht. Eurobonds ohne Vermögensteuern, ohne eine knallharte Verfolgung von Steuerflucht, ohne eine Politik, die die Verursacher der Krise für jene bezahlen lässt, wird Europa keinen Millimeter nach vorn bringen.
Entfesselte Marktkonkurrenz
Eine solche Politikwende ist derzeit nicht zu beobachten. Sondern eine Verschärfung des klassischen Oben-unten-Denkens unter Bedingungen entfesselter Marktkonkurrenz: Wer zahlt, schafft an, und der Stärkere gewinnt. So kann eine Währungsunion nicht funktionieren. Alle Staaten der Euro-Union fanden ausgeglichene Leistungsbilanzen und ähnliche Inflationsraten unwichtig.
Allen Staaten waren die Haushalte und die Steuerpolitik der anderen so weit egal, wie es ihnen die Wettbewerbsposition nicht verhagelte. Und wenn jemand etwa Unternehmensteuern senkte, folgten die anderen im Schlepptau - Ergebnis: Schulden. Entweder diese Haltungen und Handlungsweisen werden beendet oder eine gemeinsame Währung funktioniert nicht.
Es geht also darum, Zeit zu gewinnen. Zeit, in der Politiker sich bilden können und in der der Neoliberalismus überwunden wird, Zeit, die soziale Bewegungen benötigen, um zu wachsen. Zeit, in der europäisch denkende Menschen, wie es sie etwa mannigfach im EU-Parlament und auch in der EU-Kommission gibt, aus der EU einen Staatenbund machen, der die Herzen der Menschen erreicht.
Während dieser Zeit darf es keine Gängelungen durch Finanzeliten geben, die ganze Länder ausbluten und jenen Bedingungen diktieren, wie sie sich zu entwickeln haben. Der Euro ist momentan nur hierfür nützlich. In diesem Europa, mit diesen Führungseliten, mit diesen Wirtschaftswissenschaftlern und Beratern, ist der Euro ebenderen Herrschaftsinstrument.
Spielräume zurückgewinnen
Deshalb müssen wir den Euro beerdigen, damit nicht noch mehr Sozialkapital zerstört wird, damit Europa sozial und demokratisch zusammenwachsen kann. Deshalb müssen wir Länder der Peripherie ermutigen, dieses System zu verlassen - und auf Dominoeffekte hoffen. Dann gewinnen Länder Spielräume zurück, etwa um ihre Währung abzuwerten. So können sie den Saldo aus Import und Export ohne in die Depression führende Lohn- und Preissenkungsrunden zum Ausgleich bringen.
Reibungsverluste wird es trotzdem geben, schließlich bedeutet der Schritt, dass Importprodukte teurer werden, darunter Erdöl, was die Lebenshaltungskosten und die Inflationsraten erhöht. Gerade für Griechenland würde ein in Euro abgewickelter Schuldendienst untragbar, an einem echten Schuldenschnitt führt kein Weg vorbei. Gleichzeitig werden aber griechische Exportprodukte sowie Tourismusangebote für Ausländer billiger, das heißt, diese Sektoren werden die Krise schnell überwinden können.
Nach einem Zerbrechen des Euros wären progressive Reformen gar nicht so unwahrscheinlich. Denn Europas Spitzenpolitiker würden begreifen, dass Europas Einheit tatsächlich gefährdet ist - und innerhalb der EU einen Rahmen suchen, der Wechselkurskapriolen verhindert und den Menschen Gerechtigkeit, Solidarität und Mitwirkungsmöglichkeiten anbietet, damit sie Europa wieder wollen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“