Debatte Eurokrise: Tschüss, Deutschland?
Bricht der Euro auseinander, dann wird die deutsche Wirtschaft zusammenbrechen. Die Debatten, die Berlin führt, sind deshalb reiner Luxus.
I n Brüssel versteht niemand, warum gerade Deutschland das Scheitern des europäischen Projekts riskiert. Der von Merkel ausgehandelte Kompromiss auf dem EU-Gipfel ist eindeutig zu wenig, um die Krise zu bewältigen. Es ist an der Zeit, die Debatte zuzuspitzen: Lassen wir Deutschland allein untergehen, oder retten wir es mit Europa?
Was wir derzeit in Deutschland erleben, ist eine echte Luxusdebatte. Im Schutz von Vollbeschäftigung und Rekordsteuereinnahmen lässt sich scheinbar entspannt über den Euro diskutieren. In Kombination mit der einseitigen Überzeugung, dass die Griechen ihr Schicksal durch Faulheit selbst verschuldet haben, während wir unseren Erfolg durch Tüchtigkeit, Lohnverzicht und Schröders Reformen selbst erarbeiten mussten, hat uns diese komfortable Lage blind für die Wirklichkeit gemacht. Es wäre die verdammte Pflicht der deutschen Politik, zumindest aber der Europapartei „Bündnis 90/Die Grünen“, den Menschen in Deutschland die Realität vor Augen zu führen und klare Konsequenzen zu fordern.
Die Wirklichkeit ist so erschreckend wie banal. Deutschland kann sich ein Auseinanderbrechen des Euro nicht leisten. Die Staaten der EU sind mit weitem Abstand vor Asien und Nordamerika der größte Abnehmer deutscher Produkte. Die D-Mark, existierte sie noch, wäre seit Jahren brutal aufgewertet worden und hätte unsere Exporte abgewürgt.
FRANZISKA BRANTNER und JAN PHILIPP ALBRECHT sind Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Brantner hat Politikwissenschaft studiert und kommt aus Baden-Württemberg. Albrecht ist der mit 29 Jahren der jüngste deutsche Abgeordnete und hat Rechtsinformatik studiert.
Ein Zerfall des Euro wird Deutschland sofort eine Billion Euro kosten und über Jahrzehnte unabsehbare Summen darüber hinaus. Die Wirtschaftsleistung würde sofort um mehr als 10 Prozent einbrechen. Die Griechen haben nicht mehr viel zu verlieren, wir schon! Wir profitieren derzeit sogar noch von Kapitalzufluss und den historisch niedrigsten Zinsen für den deutschen Staat.
Die Ursache der Krise ist nicht mehr umstritten
Die deutsche Politik muss endlich so ehrlich sein, den Menschen klarzumachen, dass ein Rettungspaket nach dem anderen oder ein Euroaustritt nach dem anderen den deutschen Steuerzahler teurer zu stehen kommt als eine Kur, die die Ursachen der Krise angeht. Welche diese Ursachen sind, ist unter Ökonomen nicht mehr umstritten: Man kann auf Dauer keine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik haben.
Sonst brechen die Ungleichgewichte die Währungsunion in der Weise auf, die wir gerade besichtigen können. Weil es objektiv unmöglich ist, in den wenigen Monaten, die zur Rettung des Euro noch verbleiben, all das nachzuholen, was an politischer Integration fehlt, müssen wir in zwei Schritten vorgehen.
Als Sofortmaßnahme müssen der EZB alle erforderlichen Mittel zur Bewältigung der akuten Zinskrise an die Hand gegeben und Regeln für eine strenge Bankenaufsicht festgelegt werden. Gleichzeitig wird der Prozess zur Schaffung einer demokratischen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialunion in Europa begonnen.
Wir brauchen nicht nur Eurobonds, sondern eine gemeinsame Steuerpolitik, Steuerharmonisierung, das Schließen der Steueroasen, eine europäische Vermögensabgabe zur Tilgung der Staatsschulden und einen EU-Haushalt, der groß genug ist, um die Kohäsion innerhalb der Union zu stärken. Die Union muss in die Lage versetzt werden, in Krisensituationen schnell und mit Durchschlagskraft zu agieren.
Demokratische Kontrolle statt Eurokraten
Dazu aber braucht es etwa das Fünffache des heutigen Werts von 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Dies erfordert ohne Zweifel das Bekenntnis zu einer neuen Stufe der europäischen Integration. Ein solches Bekenntnis wird es aber nur durch die Verankerung einer wirklichen parlamentarischen Demokratie geben.
Die Kompetenzen Europas dürfen nicht mehr bei Eurokraten oder unkontrollierbaren Versammlungen der nationalen Regierung liegen. Stattdessen müssen wir den europäischen Institutionen mehr Eingriffsrechte und den Bürgern wieder demokratische Souveränität verschaffen. Das bedeutet Begrenzungen der nationalen Budgethoheit – aber ohne Verlust an parlamentarischer Demokratie.
Deswegen darf die EU-Kommission nicht einfach mehr Macht bekommen, sondern sie muss gleichzeitig mehr demokratische Legitimation erhalten. Die EU-Kommission, zumindest ihr Präsident, muss von den Bürgern über die Wahlen des Europäischen Parlaments bestimmt werden. Außerdem muss das Europäische Parlament in allen Fragen der Wirtschafts-, Währungs- und Steuerpolitik als gleichberechtigter Gesetzgeber mitentscheiden. Eine zusätzliche Kammer von nationalen Abgeordneten für den Euro, wie sie Joschka Fischer fordert, wäre hingegen eine Gefahr für Integration und Demokratie in Europa.
Vorteile eines EU-Konvents
Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs sollte noch vor der Sommerpause die notwendigen Schritte zu dieser Strukturreformen einleiten. Teile dieses Pakets können ohne Probleme im aktuellen Vertragsrahmen umgesetzt werden, andere erfordern Vertragsänderungen. Für diese muss nun endlich ein Europäischer Konvent einberufen werden, der unter Einbeziehung aller Parlamente und Regierungen sowie einer breiten Zivilgesellschaft den grundlegenden Rahmen für das neue Europa schafft.
Diesen hätte das Europäische Parlament schon längst auf den Weg bringen können. Wir Grüne haben hier zwar Diskussionen angestoßen, aber bislang dabei versagt, den Prozess konsequent voranzubringen. Es ist jetzt an der Zeit, dass das Europäische Parlament seiner Verantwortung für die Gestaltung eines demokratischen Europa gerecht wird. Es müsste die Gestaltung eines Konvents selbst in die Hand nehmen.
Die Debatten über die kurzfristigen Krisenmaßnahmen lenken von diesen tief greifenden Strukturfragen Europas ab. Wir brauchen aber jetzt die Erkenntnis, dass die Geschichte von Demokratie und Staatlichkeit in Europa an einem Wendepunkt steht.
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