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Debatte Energiedialog mit BrasilienUnter Energiepionieren

Kommentar von Sybille Röhrkasten

Die Kanzlerin reist nach Brasilien. Höchste Zeit, den politischen Dialog zu erneuerbaren Energien wieder aufzufrischen.

Brasiliens Nationalfahne: Neben der Ordnung wird auf der Flagge der Fortschritt großgeschrieben Foto: reuters

A m Mittwoch reist Bundeskanzlerin Merkel gemeinsam mit Vertretern der verschiedenen Ressorts zu Regierungskonsultationen nach Brasilien. Diese Gelegenheit sollte genutzt werden, um frischen Wind in den politischen Dialog zu erneuerbaren Energien zu bringen.

Mit Deutschland und Brasilien treffen zwei Länder aufeinander, die sich als weltweite Pioniere der Nutzung Erneuerbarer profilieren. Im Jahr 2008 schlossen beide eine Energiepartnerschaft, um die Zusammenarbeit zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz zu vertiefen. Der politische Dialog zu Erneuerbaren stockt jedoch. Ein Grund hierfür ist, dass beide Länder in ihrer Erneuerbaren-Politik unterschiedliche Herangehensweisen wählen.

In Deutschland sollen erneuerbare Energien die schon lange umstrittene Atomenergie und klimaschädliche fossile Energieträger im Stromsektor ersetzen. Seit 15 Jahren fördert Deutschland Erneuerbare im großen Maßstab. Ihr Anteil an der Stromerzeugung beträgt mittlerweile 27,8 Prozent. Bis 2050 soll er bei mindestens 80 Prozent liegen. Diese ehrgeizigen Ziele sollen durch einen massiven Ausbau von Wind- und Solarenergie erreicht werden. Als großes Industrieland, das seine Stromversorgung weitgehend umbaut, stößt Deutschland mit seiner Energiewende auf starkes internationales Interesse.

Die brasilianische Stromversorgung basiert seit jeher auf erneuerbaren Quellen. Mit einem Erneuerbaren-Anteil von 75 Prozent erreicht Brasilien schon heute beinahe die Zielmarke, die in Deutschland für das Jahr 2050 gilt. Hintergrund ist das ausgeprägte Wasserkraftpotential Brasiliens, mit dem sich Strom relativ kostengünstig erzeugen lässt.

Pionier der Energiewende seit den 1970er Jahren

Brasilianische Vertreter betonen immer wieder, dass der Erneuerbaren-Anteil ihrer Stromversorgung den weltweiten Anteil und den Durchschnitt der Industrieländer um ein Vielfaches übersteigt. Zudem unterstreichen sie die im internationalen Vergleich sehr geringe Emissionsintensität ihrer Stromversorgung.

Brasilien ist Pionier einer Energiewende im Transportsektor. In der deutschen Energiewende-Debatte wird dieser Bereich weitgehend ausgeklammert. Brasilien begann schon in den 1970er Jahren, Erdöl durch Ethanol aus Zuckerrohr zu substituieren. Heute ist das Land nach den USA der größte Biokraftstoffproduzent der Welt. 95 Prozent der in Brasilien neu verkauften PKW haben Motoren, die mit eine beliebigen Mischung aus Benzin und Ethanol angetrieben werden können. An allen Tankstellen können Autofahrer zwischen Benzin, das eine obligatorische Ethanol-Beimischung von 27 Prozent enthält, und reinem Ethanol wählen. Brasilien ist das Land mit den höchsten Ethanolbeimischungsraten der Welt: Von 2008 bis 2014 schwankten diese zwischen 47 und 90 Prozent. Die Sorge der Deutschen, dass schon eine Beimischung von zehn Prozent Motoren von älteren Autos schaden könnte, finden viele Brasilianer befremdlich.

Stolpersteine der Erneuerbaren-Kooperation

Nicht nur die unterschiedlichen Schwerpunkte machen es schwierig, in der Energiepartnerschaft auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ein Problem ist auch, dass gerade jene Erneuerbare, die für Brasilien von größter Bedeutung sind, in Deutschland stark umstritten sind. Gegenüber Brasilien bekundet Deutschland daher Zweifel an der Nachhaltigkeit von Großwasserkraft und Biokraftstoffen.

Im Zusammenhang mit Ethanol werden immer wieder Vorwürfe laut, die im Hinblick auf Brasilien unberechtigt sind. In der deutschen Debatte ist das Bild »Tank oder Teller« tief verankert. Es suggeriert, der Anbau von Biomasse für die Kraftstoffproduktion verursache Hunger, da nicht mehr genügend Lebensmittel erzeugt werden können. Dem liegt die Annahme zugrunde, Hunger sei eine Folge von Flächen- oder Nahrungsmittelknappheit. In einem Land wie Brasilien, das über ausgedehnte fruchtbare Flächen verfügt, trifft diese Annahme nicht zu. Aber auch abgesehen davon greift diese Analyse zu kurz, da der Faktor Einkommensarmut vollständig ausgeblendet wird. In Brasilien betonen nicht nur Regierungsvertreter, dass die Biokraftstoffproduktion großes Potential für die Stärkung der Landwirtschaft und die makroökonomische Entwicklung des Landes bietet.

IASS

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Plattform Energiewende am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. Sie befasst sich mit der internationalen Dimension der En­ergiewende. Zuvor arbeitete sie über Klimapolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Die brasilianische Regierung reagiert sehr empfindlich auf Nachhaltigkeitsbedenken von außen. Brasilianisches Ethanol ist eine Quelle des nationalen Stolzes und bietet Brasilien die Gelegenheit, sich als internationaler Vorreiter zu profilieren. Hinter Nachhaltigkeitsforderungen wird des Öfteren „Öko-Imperialismus“ vermutet, der ökonomische und politische Eigeninteressen unter dem Deckmantel des Umweltschutzes verschleiere.

So mutmaßt die brasilianische Regierung, Deutschland wolle seine heimische Biokraftstoffindustrie vor der brasilianischen Konkurrenz schützen. Zudem argwöhnt sie, Industrieländer wie Deutschland wollten verhindern, dass Entwicklungsländer wie Brasilien Einfluss in der internationalen Politik gewinnen.

Ansatzpunkte für strategischen Dialog

Diese Konflikte blockieren den politischen Dialog zu Erneuerbaren. Brasilien möchte die Errungenschaften der brasilianischen Ethanolproduktion präsentieren und einen Austausch zu technologischen Fragen befördern. Brasilianische Regierungsvertreter haben den Eindruck, dass Deutschland konstruktive Zusammenarbeit in dem Bereich verhindert, in dem Brasilien führend ist. Daher blockt Brasilien bislang den von Deutschland angestrebten Dialog zu Solar- und Windenergie – zwei Technologien, bei denen Deutschland die Nase vorn hat.

Während der Regierungskonsultationen sollte die deutsche Regierung deutlich machen, dass es ihr unter dem Energieabkommen nicht nur um die Vermittlung deutscher Expertise und deutscher Technologien nach Brasilien geht. Vielmehr sollte Deutschland zeigen, dass es zukünftig auch stärker auf brasilianische Kompetenz setzt. Dann wird Brasilien gewillt sein, auch den Dialog zu Solar- und Windenergie zu stärken. Neben der brasilianischen Ethanol-Expertise bieten Erneuerbare-Auktionen einen gelungenen Anknüpfungspunkt. In Deutschland werden diese nun eingeführt. In Brasilien gibt es solche Auktionen schon seit 2009.

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