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Debatte Doping im RadsportIm Zweifel fürs Spektakel

Kommentar von Markus Völker

Höher, schneller, weiter – Radfahrern wird immer mehr Leistung abverlangt und alles ohne unfaire Mittel. Die Geschichte zeigt aber, das eine geht nicht ohne das andere.

Bis an die Grenze der Grimmigkeit gedopt: Lance Armstrong. Bild: reuters

R adfahrer sind von jeher Trendsetter gewesen. Sie beherrschten schon die Kunst der Selbstoptimierung, als es noch keine Pharmakonzerne, Yogakurse und Laufbewegungen gab. Seit über 100 Jahren wird in der Szene ausprobiert, was Radler schneller macht.

Anfangs waren das meist Aufputschmittel, Alkohol oder Kokain. Später wurde es ausgeklügelter, Hormone der Nebennierenrinde und der Hirnanhangsdrüse wurden gespritzt. Nahezu jedes neue Medikament wird auf Verwertbarkeit geprüft. Hilft es, wird es in den Kanon der Fitmacher aufgenommen. Das geht eine Zeit lang gut. Dann werden die Mittel verboten. Der Selbstoptimierung der Radler, der Leistungssportler allgemein werden Grenzen gesetzt, während der Rest der Gesellschaft seinen Körper ohne größere Verbote aufmöbeln darf. Gegen den Trend der Medikalisierung der Gesellschaft müssen Spitzensportler Meister der Enthaltsamkeit sein.

Ist das ungerecht? Irgendwie schon, weil der Sport, und das ist wohl seit den Griechen so, einen grotesken moralischen Überbau verpasst bekommen hat. Die Athleten müssen sich, so lautet das Verdikt, in einem fairen Wettkampf unter gleichen Voraussetzungen messen. Der Stärkere, Schnellere, kurzum: der Bessere gewinnt. Alles Unfaire und Unnatürliche ist in dieser Sphäre des – theoretisch – Hochmoralischen verboten.

Bild: taz
Markus Völker

ist Sport-Korrespondent der taz.

Leistungssportler, lebten sie wirklich nach diesen strengen Geboten, müssten quasi höhere, erleuchtete Wesen sein, denn von ihnen wird nicht nur verlangt, geradezu menschenunmögliche Leistungen wie auf einer dreiwöchigen Rundfahrt zu erbringen, nein, sie müssen diese Tortur auch noch ohne hilfreiche Substanzen durchstehen.

Saubere und moralische Supermänner

Sie müssen sauber und moralische Supermänner sein, Schmerzensmenschen, die trotz der Qualen immer nur zu Wasser und Brot greifen, obwohl auf dem Buffet noch ganz andere Sachen feilgeboten werden: Epo, Kortison, Blutbeutel, Testosteron und Wachstumshormone. Welcher Hochleistungssportler hört ihn nicht, den Sirenengesang der Selbstoptimierer?

Sportmediziner locken mit ihren Mitteln und Methoden. Masseure offerieren geheimnisvolle Cocktails. Kollegen im Team wissen, wie man mit ein paar Pillen schneller wird. Funktionäre schreien Höher-schneller-weiter und fordern Goldmedaillen sonder Zahl. Und der Manager warnt in eindringlichen Worten davor, dass sich das Zeitfenster des schnellen Geldes im Sport ganz schnell schließe. Wer da nicht dopt, ist selber schuld – oder ein echter moralischer Überflieger wie der ehemalige irische Radprofi Paul Kimmage, der schon bei der Einnahme von Vitaminen ein schlechtes Gewissen bekam. Kimmage ist die Ausnahme, der Betrug die Regel.

100-jährige Betrugskultur

Der Radsport, diese besonders anfällige Disziplin, hat den hohen Ansprüchen nie genügen können. Er ist immer den Verlockungen, den Erleichterungen erlegen. Man hat zu „unterstützenden Mitteln“ gegriffen. Man hat die Öffentlichkeit beschissen. Man hat gelogen und die Deppen außerhalb des Radsportsystems glauben lassen, hier ginge alles mit rechten Dingen zu. Es gibt im Radsport eine mindestens 100-jährige Kultur des Betrugs, und es liegt nahe zu behaupten, dass es auch in 100 Jahren noch tricksende Radler und Radsportfunktionäre geben wird.

Es gibt eine tief verwurzelte Tradition der Devianz. Sie vererbt sich von Radsportgeneration zu Radsportgeneration. Wer den Inner Circle betritt, der wird mit den Riten des Radsports vertraut gemacht, mit Spritzenkuren und Medikamentenmissbrauch. Er lernt, sein Verhalten zu rechtfertigen („Alle tun es“) und es zu verheimlichen („Ich wurde nie positiv getestet“). Er gibt nur das Unvermeidbare zu (siehe Lance Armstrong), und er behauptet, der Radsport sei auf dem Weg der Besserung („Wir stehen vor einem Neuanfang“).

Die Initiation eines Novizen sah ja meist so aus: Er bekam Einblick in das System des Medikamentenmissbrauchs, er wurde Teil des Ganzen, ein getunter Ritter der Landstraße, der nach außen die hehren Werte des Sports vertrat, sich in trauter Runde aber ins Fäustchen lachte.

Warum ist gerade der Radsport zum Hort des Dopings geworden? Ganz einfach: Weil es auf der Hand lag zu dopen. In den ersten Jahren der Tour de France wurden 300 Kilometer lange Etappen gefahren, über holprige Pisten mit Rädern ohne Gangschaltung und professionelle Betreuung der Rennfahrer. Die Radler starteten nicht selten schon kurz nach Mitternacht, um dann zehn, fünfzehn Stunden auf dem Rad zu hocken – jeden verdammten Tour-Tag bis zur körperlichen Erschöpfung. In dieser Überforderung, in dieser Inszenierung eines unmenschlichen Spektakels liegt der Keim des Dopings. Das Doping hat vor allem in den letzten 30, 40 Jahren wilde Blüten getrieben.

Der Sportfan – macht er mit?

Die Bekenntniswut von überführten Radprofis in den letzten Wochen wird nicht viel daran ändern, dass die Pflanze weiter wächst und gedeiht. Um sie mit Stumpf und Stiel auszureißen, müsste sich der Sport komplett verändern, dem Dopinggewächs müsste der Nährboden entzogen werden. Die Verbände müssten sich in absoluter Transparenz üben und die Altfunktionäre vom Hof jagen.

Staaten müssten darauf verzichten, Botschafter in Trainingsanzügen loszuschicken und kleinkariert Medaillen zu zählen. Der Sport müsste seinen zirzensischen Charakter verlieren und die Event-Manager der Frankreich-Rundfahrt oder des Giro d’Italia begreifen, dass es 130 Kilometer lange Etappen mit nur einem Bergpass vielleicht auch tun.

Aber machen da die Sportfans mit? Wird es der Breitensportler gut finden, jener unentdeckte kleine Selbstoptimierer, der sich vor seinem nächsten Marathon mit Kortison fitspritzen lässt und hochdosiert Aspirin einnimmt, damit das Blut schön dünn wird? Wird es der Sesselsportler goutieren, der jetzt wie ein Rohrspatz über Lance Armstrong und all die anderen „radelnden Apotheker“ schimpft? Wohl kaum, denn sie alle wollen das Event, die ultimative Show. Aber wer das Spektakel will, der muss auch Doping in Kauf nehmen. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Das hat die Geschichte der Selbstoptimierung im Sport gelehrt.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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10 Kommentare

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  • M
    MattF

    "und die Event-Manager der Frankreich-Rundfahrt oder des Giro d’Italia begreifen, dass es 130 Kilometer lange Etappen mit nur einem Bergpass vielleicht auch tun. "

     

    Die Konsequenz man macht die Radrennen einfach 10km lang, das schafft jeder.

     

    Oder 100/200m laufen. Ach Moment, da gab es doch so nen Kanadier und so US Girls.....

     

    Die Länge der Etappe ändert nichts dran, dass das Rennen am letzten Berg entscheiden wird oder im Zielsprint und es gewinnt der der da am Besten ist, letztlich völlig wurscht ob man vorher 50, 100 oder 200km gefahren ist. Das reitet man im Feld im Windschatten auf der linken Backe ab.

  • P
    Pip

    Die Diskussion über Doping, wie sie hier stattfindet, funktioniert nur, weil ein Imperativ einfach ausgeblendet wird. Doping ist massiv gesundheitsgefährdend. Deswegen muss es mit allen Mitteln bekämpft werden, egal was die Zuschauer darüber denken.

  • A
    anke

    Wenn "der Keim des Dopings" tatsächlich, wie hier behauptet, in der "Inszenierung eines unmenschlichen Spektakels" liegt, dann müssen "wir" seine Wurzeln weit VOR den alten Griechen suchen.

     

    Wer ernsthaft beabsichtigt, "dem Dopinggewächs [den] Nährboden entz[ieh]en", der muss gesellschaftliche Normen angehen, die deutlich älter sind als Olympia – und mit den "Spielen" lediglich einen seinerzeit modernen, populären Ritus verpasst bekommen haben - als "Schlussstein" sozusagen. Diese Normen gelten leider nicht nur für Radrennfahrer, sondern (nun ja, zumindest theoretisch) auch für die Sofa-Kartoffeln vorm Fernseher. (Die haben nur neuerdings noch sehr viel bessere Gründe als früher, das etwas anders zu sehen.) Die "Werte" der Doper gelten keineswegs nur für den Sport, sondern flächendeckend. Es sind "Werte", die untrennbar mit der Erfindung des Krieges am Ende der Bronzezeit zusammenhängen, und die erst in dem Moment von "höchster Stelle" breit gefördert werden konnten, in dem das Machtstreben Einzelner mit dem Metall (Bronze, Silber, Gold) eine reale materielle Grundlage bekommen hatte: den idealisierten und vor allem privatisierten Mehrwert fremden Lebens bzw. Sterbens. Kein Wunder also, dass der "moralische Überbau" heute dermaßen gewaltig daher kommt. In mehr als 5.000 Jahren hat sich vieles angesammelt, das es zu verdecken gilt.

     

    Man sollte meinen, dass es eigentlich nur einer der Radrennfahrer sein kann, der die Herkulesaufgabe der Doping-Keim-Vernichtung als erster angeht. Schade eigentlich, dass diese Typen alle so abendfüllend mit dem Radfahren beschäftigt sind - und mit dem plötzlich tot Umfallen!

  • W
    wien

    Ich fahre Rennrad und bin Radssportbegeistert. Mir macht es nichts aus, dass alle dopen. Ist deren Entscheidung. Ich guck mir die Rundfahrten deshalb nicht weniger gerne an.

  • MB
    matt benz

    böser radsport...

     

    http://fussballdoping.derwesten-recherche.org

     

    "Schonungslos blickt Sportjournalist Klaus Blume in dem Buch "Die Dopingrepublik" hinter die glitzernde Fassade der Sportwelt. In der Bundesrepublik wurde mit Hilfe von ehemaligen NS-Ärzten bereits zwanzig Jahre vor der DDR Dopingforschung betrieben und wer glaubt, es gäbe noch saubere Athleten sei selbst schuld."

     

    http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1952327/

  • ET
    Eddy Torial

    Profisportler sind Maschinen, die glauben, sie arbeiteten für sich selbst. Der Wille zum Sieg? Das Spektakel? Auch nur ideologisch überhöhte Euphemismen für den wahrhaft absurden Grund von Doping: Geld. Das der Ruhm keine Rolle spielt, sollte klar sein, seit sich Riss mit dem gelben Trikot den Arsch abwischt. Armstrong ist Profibetrüger, der damit unsagbar viel verdient hat. Es gibt diesen reinen, unverfälschten Geist des Sportes, den nüchternen Willen zum Sieg über andere und letztlich sich selbst. Aber über diese Sportler hört man nichts, denn mit ihnen werden keine Einnahmen generiert, keine Werbung gemacht und an sie verkauft man kein Doping. Auch wenn sich die Mentalität des Betrugs, der Autokorruption und der Ignoranz gegenüber des Wunders eines verdienten Sieges bis in die Schichten der Sonntagswalker gefressen hat, werden wahre Sportler nicht aussterben. Wer ins Ziel einläuft, weil Medikamente den Schmerz unterdrücken, ist kein Gewinner, der liegt vielleicht auf der Hälfte der Strecke im Schlamm und weiß, dass er beim nächsten Mal weiter kommt.

  • IP
    Ibu Pileti

    Danke!!

    Kam mir bisher etwas verloren vor, mit dieser Aussage.

  • L
    lui

    etwas kurz finde ich nur den radsport als speerspitze des dopings zu betrachten. ich bitte zu beachten dass dies in allen sportarten in denen spitzenleistungen verlangt werden üblich ist. oder warum wurde toni schumacher als fussballer kaltgestellt, nachdem er in seinem buch anpfiff über dopingmethoden schrieb. der spanische arzt fuentes bat der richterin in jüngster verhandlung an, weitere namen on athleten anderer sportarten zu nennen, sollte diese ihn darum bitten. sie wollte es nicht. wenn der radsport als paradebeispiel für die möglichkeit doping zu überführen gilt, bedeutet die meiner meinung nach nur, dass er als einziger einer kontrolle unterliegt, die weniger interessenslagen tangiert als andere sportarten.

  • ST
    Sergeant Tatendrang

    Der Hauptgrund für Doping im Radsport ist sicherlich nicht die Härte des Sports, auch wenn die drei-wöchigen Rundfahrten wohl zum den krassesten körperlichen Belastungen gehören. Der Konkurrenzdruck und der Wille zu gewinnen spielen die größere Rolle. Schmerz und Anstrengung wird der Sportler- wenn auch auf insgesamt gesteigertem Leistungsniveau- genauso empfinden.

  • J
    Jörg

    "Aber wer das Spektakel will, der muss auch Doping in Kauf nehmen. Das eine ist nicht ohne das andere zu haben."

    Das sehe ich als Radsport-Fan ganz anders. Ohne Doping wären die alle einige km/h langsamer, aber spannend wäre es trotzdem. Und das Spektakel einer grossen Tour wäre auch möglich mit kürzeren Etappen.

     

    Ganz im Gegenteil, die Spannung ist doch erst raus gegangen, wie Doping "professionell" betrieben wurde, siehe Armstrong & Co. Man hat sich doch gewundert, warum der (und andere auch) nie einen schwarzen Tag hatte. Jetzt wissen wir warum. Geahnt haben wir es doch immer.

     

    Früher wurde auch gedopt, klar, aber das System war nicht so wie heute, wo Ärzte das alles betreuen. Dadurch waren Überraschungen möglich, was heute so gut wie nie passiert. Übrigens würde ein Verbot vom Funk mit den Fahrern während der Etappen schon einiges ändern. Dann hätten (ungedopte) Aussenseiter sofort wieder eine Chance, zumindest auf einen Tagessieg.

     

    Das Problem ist doch das Geld welches im Spiel ist, wie übrigens auch im Fussball. Dadurch wird alles "professionell", was für einen Profisportler auch die entsprechende "medizinische" Betreuung bedeutet. Und die wurde ja z.B. auch von T-Mobile optimal geboten, wir erinnern uns? Solange das Geld im Spiel bleibt, hat keiner ein Interesse etwas zu ändern.

     

    Das es Betrug gibt, wird sich nie vermeiden lassen. Aber systematischer Betrug schon. Dazu müssten aber eben die Beteiligten erkennen, das sie sich selbst schaden. Ich glaube übrigens nicht, dass ein Sportler "sich ins Fäustchen" lachte. Die verdrängen das und wissen natürlich, dass sie ohne Doping nicht mithalten können.

     

    "Die Radler starteten nicht selten schon kurz nach Mitternacht, um dann zehn, fünfzehn Stunden auf dem Rad zu hocken – jeden verdammten Tour-Tag bis zur körperlichen Erschöpfung. In dieser Überforderung, in dieser Inszenierung eines unmenschlichen Spektakels liegt der Keim des Dopings."

    Das glaube ich auch. Und ich glaube in den Anfängen war Doping ein so normaler Teil des Ganzen, dass das bis heute so geblieben ist.

     

    "Aber machen da die Sportfans mit? "

    Auf lange Sicht, wird der Leistunssport im allgemeinen noch offensichtlicher zu einem Gladiatorenkampf. In einer aufgeklärten Gesellschaft kann das wohl nicht gewünscht und akzeptiert sein. Ob sich diese Erkenntnis durchsetzt, da bin ich mir nicht so sicher.

     

    Ich glaube aber die Randsportarten werden immer wichtiger werden, und die grossen Helden werden verschwinden. Es wird viele kleine Tageshelden geben, und es wird den Fans wieder mehr Spass machen.