Debatte Die Union im Fünf-Parteien-System: Im Stil der neuen Sachlichkeit
Bei der Wahl in Bayern zeigt sich das ganze Dilemma der Union: ohne Profil und Vision hat sie sich unter Angela Merkel auf niedrigem Niveau konsolidiert. Das aber reicht nicht.
B ei der Bayernwahl am kommenden Sonntag konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Frage, ob das Ergebnis der CSU mit einer Vier oder einer Fünf beginnt - als ob davon viel abhinge. Die CSU wird weiter regieren, vermutlich ohne Koalitionspartner. Wichtiger, weil langfristiger, sind Entwicklungen, die sich zwar auch am bayerischen Wahlergebnis illustrieren lassen, aber weiter zurückreichen und auch weit darüber hinausgehen.
Aus der Perspektive der Christdemokraten werfen sie fünf strategische Fragen auf. Nach dem Führungswechsel in der SPD stellen sie sich dringlicher und kurzfristiger. Mit Kurt Beck hätte die CDU ganz gut leben können. So wie sich Helmut Kohl vor zehn Jahren Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidaten der SPD gewünscht hat, waren auch diesmal die Hoffnungen der CDU: Die SPD rückt nach links, die Mitte wird frei und die Union kann sich dort breit machen. Es ist bekanntlich anders gekommen, damals wie heute. Die SPD regiert seit zehn Jahren, und so lange rumoren auch die unbequemen Fragen in der Union. Doch sie rumoren, ein nicht geringes Verdienst der Parteiführung, wie die Frösche Ovids unterhalb der Wasseroberfläche.
Da ist einmal die verdrängte, weil für die Union bittere Erkenntnis, dass es seit zehn Jahren keine bürgerliche Mehrheit mehr bei einer Bundestagswahl gegeben hat. Auch im kommenden Jahr ist eine solche zwar nicht unmöglich, aber doch eher unwahrscheinlich. Wenn Union und FDP dieses Ziel wieder nicht erreichen, wird wohl endgültig offenbar werden, dass Angela Merkel, die dann fast ein Jahrzehnt lang Vorsitzende ist, die CDU nachhaltig auf niedrigem Niveau konsolidiert hat. So werden es jedenfalls die einen interpretieren, die noch andere Zeiten in Erinnerung haben. Andere wiederum dürften darauf hinweisen, dass angesichts der veränderten Umstände 38 Prozent doch auch ein ganz schönes Ergebnis seien.
Angela Merkel ist in der CDU stark und ohne Alternative, solange sie Kanzlerin ist. Aber selbst wenn sie dies bleibt, wird sich die zweite offene Flanke vehement zurückmelden. Es ist, fünf Jahre nach dem Leipziger Parteitag von 2003, die Frage nach dem Profil der CDU. Nicht mehr Leipzig, so viel ist klar, nachdem die Wähler bei der Bundestagswahl 2005 diesen Kurs so fürchterlich abgestraft haben. Aber was dann? Jürgen Rüttgers hat in der Zwischenzeit den sozialen Flügel stark gemacht, Wirtschaftsrat und Mittelstand in der Union murmeln aber weiter - regelmäßig, doch bisher folgenlos.
Die "Neue Soziale Marktwirtschaft", welche die Vorsitzende der CDU vor Jahren ausgerufen hatte, war wie die gleichnamige Initiative eher ein Flop. Aber die Frage bleibt drängender denn je, wie denn eine soziale Marktwirtschaft unter den neuen Bedingungen auszusehen habe. Was kommt nach Leipzig? Diese Frage markiert das zweite Dilemma der CDU.
Auf einem anderen Gebiet hingegen ist es der CDU durchaus gelungen, Ballast abzuwerfen und einen modernen Konservativismus zu profilieren. In der Familienpolitik, in Fragen der Umwelt und der Integration/Migration hat die CDU die Zeit der großen Koalition dazu genutzt, neue Wege zu gehen und, wenn man so will, einen politisch-kulturellen Paradigmenwechsel einzuläuten. Man sollte nun meinen, dass die CDU stolz und selbst bewusst über diese Erfolge auch öffentlich redet, doch weit gefehlt. Kleinmütig und verzagt schweigt sie lieber darüber, aus Angst, sie könnte traditionelle Wähler vergraulen, und in der Hoffnung, dass sich die neue Anmutung der CDU in den urbanen Milieus dank Ursula von der Leyen und Ole von Beust von selbst einstellt.
Die CDU, das ist ihr drittes Dilemma, hat ein gebrochenes Verhältnis zu ihren eigenen Erfolgen in der großen Koalition. Sie hat sich modernisiert, traut sich aber nicht so recht, davon auch zu reden. In Bildungsfragen bietet sie vielfach ein ähnlich verdruckstes Bild: Sie treibt in Bund und vor allem in den Ländern die frühkindliche Bildung und die flächendeckende Ganztagsschule voran, traut sich aber nicht so recht, im Wahlkampf daraus eine Botschaft zu machen. Die Kanzlerin ruft die "Bildungsrepublik Deutschland" aus, weil die CDU erkannt hat, dass man mit dem Bildungsthema Wahlen verlieren kann. Aber die Union ist noch nicht so weit, auch in der Bildungspolitik (wie es in der Familienpolitik geschehen ist) radikal zu fragen, ob die bisherigen Wege auch zu den gewünschten Erfolgen geführt haben. So könnte es, alles in allem, geschehen, dass die CDU auf Bundesebene im nächsten Jahr einen Wahlkampf hinlegt wie die CSU gerade in Bayern: technisch perfekt und organisatorisch vollendet, aber inhaltsleer und ideenarm. Sie wussten buchstäblich nicht mehr, was sie den Wählern zu sagen hatten.
Diese Entwicklung hin zu inhaltsleeren Wahlkämpfen ist nicht neu, wird aber, das ist der vierte Punkt, verstärkt durch einen politischen Minimalismus, der nachgerade zu einem besonderen Stil der neuen Sachlichkeit in der politischen Klasse zu werden scheint. Frank Walter Steinmeier und Angela Merkel sind sich sehr ähnlich darin, Politik nüchtern und emotionslos zu betreiben und darzustellen: Moderation und Ausgleich statt Richtungskämpfe und Leidenschaften. Es ist ja ohne Zweifel ein Gewinn, dass sie die alten Rüstungen abgelegt haben. Aber mit den Ideologien verschwinden oft genug auch die Ideen.
Die Menschen interessieren aber nicht nur die materielle Seite der Politik, sondern auch Gefühle, Werte und Leidenschaften. Sie wollen wissen, was einen Politiker umtreibt. Maßnahmen begründen keine Loyalitäten, erst gemeinsam Werte und Ziele schaffen so etwas wie Gefolgschaft. Werden diese Zusammenhänge systematisch ausgeblendet, dann kommt die Politik, kommen die Wahlkämpfe dort an, wo die CSU jetzt gelandet ist: bei alten Kreuzzügen gegen die Linken oder bei einem platten Materialismus (Pendlerpauschale, mehr Netto für Brutto), der den Wählern wider alle Vernunft einfach mehr Geld verspricht - und natürlich nicht mehr ankommt. So betrachtet kann die CSU noch ganz zufrieden sein mit dem Ergebnis, das sie erzielen wird.
Das schwierigste Dilemma der Union aber ergibt sich daraus, das Wählermarkt und Koalitionsmarkt auseinander driften. Um es kurz und knapp zu sagen: CDU und CSU dürften auf mittlere Sicht mehr Wähler gewinnen als die SPD, die SPD aber mehr (mögliche) Koalitionspartner zur Auswahl haben, vor allem mit Steinmeier und Müntefering. Im Fünfparteiensystem kommt es darauf an, dass die Parteien untereinander anschlussfähig sind und sich gegenseitig ergänzen.
Mehr denn je wird die Macht nicht in und durch Wahlen, sondern in Verhandlungen über mögliche Koalitionen verteilt. Die neuen Formeln zur Macht begünstigen auf Bundesebene die SPD: vorläufig noch und solange diese sich personell und politisch zur Mitte hin orientiert. Die Union hingegen, so stark sie auch in Bund und Ländern wirkt, bewegt sich auf dünnem Eis.
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