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Debatte Deutsche BahnSo schnell wie nötig

Kommentar von Michael Cramer

Das Chaos bei der Berliner S-Bahn ist ein weiterer Beleg: Der Kurzstreckenverkehr wird vernachlässigt. Kunden gewinnt man so nicht.

I n Europa gibt es zwei Eisenbahnsysteme, die beide von sich behaupten, in den vergangenen Jahren Erfolge erzielt zu haben: die SBB in der Schweiz und die SNCF in Frankreich. Während die Schweizer die Konkurrenz mit dem Auto ins Visier genommen haben, wollten die Franzosen den Airlines die Kunden abjagen.

Die Schweizer verzichteten auf die Höchstgeschwindigkeit und proklamierten "So schnell wie nötig", wobei sie für die Verbindung der Fahrgäste von Haus zu Haus immer ein besonders waches Auge hatten. Die Franzosen wollten von A nach B "so schnell wie möglich" und bauten die neuen Bahnhöfe auf der grünen Wiese, damit ihre TGVs beim Durchfahren der Städte keine Zeit verlieren. So haben von den zehn neuen TGV-Bahnhöfen gerade mal zwei einen Schienenanschluss an das bestehende Netz, sind also nur über die Straße erreichbar.

Den Kampf gegen die Airlines hat die SNCF gewonnen. Zwischen Paris und Lyon wird ebenso wenig geflogen wie zwischen Paris und Brüssel. Den Kampf um die Fahrgäste im Nahverkehr allerdings hat sie gar nicht erst aufgenommen und deshalb gegen das Auto verloren.

Michael Cramer

ist Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort seit 2004 verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Davor saß er für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und war ebenfalls für Verkehrspolitik zuständig. Seit 1979 ist er ohne Auto mobil.

Die Schweizer aber haben doppelt gewonnen. Wegen der hohen Fixkosten sind Schienenstrecken nämlich nur dann rentabel, wenn sie gut ausgenutzt werden. Und ein kleines Stück vom großen Kuchen Autoverkehr ist eben mehr als ein etwas größeres vom - zahlenmäßig gesehen - kleinen Luftverkehr. Mit dem integrierten Taktverkehr ohne Höchstgeschwindigkeit wird in der Schweiz pro Einwohner doppelt so viel Bahn gefahren wie in Deutschland.

Welchen Kurs verfolgt die DB AG nun unter ihrem neuen Chef? Fährt Rüdiger Grube weiter in der französischen Spur à la Hartmut Mehdorn, oder setzt er auf Schweizer Intelligenz statt Beton?

Wie sehr sich die Landschaft im Eisenbahnfernverkehr verändert hat, zeigt sich beispielsweise im Land Brandenburg. Dort hielten im Jahr 1999 noch 400 Fernzüge pro Tag. Heute, zehn Jahre später, sind es nur noch 100. Und Brandenburg ist keine Ausnahme.

Die InterRegios wurden abgeschafft, die InterCity-Züge zum großen Teil durch die ICE-Züge ersetzt. Durch die Aufschläge und auch durch die jährlichen Fahrpreiserhöhungen um insgesamt 24,3 Prozent seit 2004 wurde das Bahnfahren in Deutschlands Fernverkehrszügen aber nicht nur erheblich verteuert. Es wurde durch das erzwungene mehrfache Umsteigen auch unbequemer. Zudem verlängerte sich die Fahrzeit - sofern man nicht in den Genuss einer Direktverbindung kam. Das Gesamtangebot des Fernverkehrs auf dem deutschen Netz liegt heute unter dem von 1994, obwohl seither 50 Milliarden Euro in die Schiene investiert wurden.

Auch wenn mit dem neuen Bahnchef Rüdiger Grube erneut kein "Bahner" an die Spitze des Unternehmens aufgerückt ist, könnte ihm seine Vergangenheit als Daimler-Manager dennoch helfen. Navigationssysteme in Autos berechnen schließlich die Wege vom Abfahrtsort zum Zielpunkt und nicht nur den Teil auf der Autobahn. Die alte Logik, die Fahrzeit zwischen Berlin und Hamburg ohne Rücksicht auf die Fahrgäste auf 90 Minuten zu verkürzen, bedeutet allenfalls für die Statistik einen Mehrwert. Denn für mehr als eine Million Bahnkunden, die vorher in Berlin-Spandau oder am Bahnhof Zoo ein- und aussteigen konnten, hat sich die Fahrt von und zum Berliner Hauptbahnhof um etwa 30 Minuten verlängert.

Wie fixiert die Bahnspitze auf diese falsche Fährte setzt, zeigt sich aktuell auch darin, dass sie selbst dann einen Fernverkehrshalt im Bahnhof Zoo verweigert, wenn der S-Bahn-Verkehr im Berliner Innenstadtbereich zusammenbricht.

Dieses Beispiel ist leider kein Einzelfall, es demonstriert nur die falsche Punkt-zu-Punkt-Philosophie. In der Schweiz stecken die Eisenbahnplaner ihre Energie vor allem in vertaktete Fahrpläne, um die Umsteigezeiten zu verkürzen, und ziehen ihre Bürger damit erfolgreich in die Bahn.

In Deutschland müssen Bahnchef und Verkehrsminister, die jahrelang in ihrer Höchstgeschwindigkeitsstrategie ein Herz und eine Seele waren, das Verhältnis von Fern- und Regionalverkehr wieder ins Lot bringen. Bisher gehen nämlich 80 Prozent der Investitionen in den Fernverkehr - eine Priorisierung, die an den wahren Wachstumsfeldern der Bahn vorbeifährt.

Seit 15 Jahren stagniert der Anteil des Fernverkehrs bei 7 Prozent. Die Wachstumsrate zwischen 1993 und 2006 liegt aber im von Bundespolitik und Bahnspitze stiefmütterlich behandelten Nah- und Regionalverkehr bei 48 Prozent. Der Kurzstreckenverkehr wird vernachlässigt, um die unrentablen Hochgeschwindigkeitsstrecken zu finanzieren. 84 Prozent der Stationsentgelte und 64 Prozent der Trassenpreise werden durch Regional- und Nahverkehrszüge erzielt, ohne dass die dafür zahlenden Bundesländer Einfluss auf die Preisgestaltung und die Investitionsentscheidungen haben. Allein bei der Berliner S-Bahn - sie und nicht der ICE finanziert den neuen Hauptbahnhof in Berlin - wurden in den vergangenen Jahren zweistellige Millionenbeträge abgeschöpft. 2010 sollte es mit 125 Millionen Euro sogar ein dreistelliger werden.

Bahnchef Grube muss klar analysieren, mit welchen Investitionen die größten Erfolge erzielt werden. Eine bessere Vertaktung von Regional- und Fernverkehr bringt dabei größeren Zeitgewinn für die Kunden als ein mit Milliardeninvestitionen um fünf Minuten beschleunigter Zug. Gleiches gilt auch für Prestigeobjekte, die noch immer nicht ad acta gelegt wurden, zum Beispiel Stuttgart 21.

Denn auch die Milliarden für die Versenkung des Stuttgarter Bahnhofs in den Untergrund werden Deutschlands Bahn nicht voranbringen. Abermals soll dort das Geld vergraben werden, das andernorts für eine effiziente Bahn benötigt wird.

Stattdessen würden ein paar kluge Navigatoren beim Gestalten des Fahrplans, in Verbindung mit der Beseitigung von Engpässen und Lücken bei der Bahn, den Quantensprung bringen, den sich die Steuern zahlenden Bahnkunden von ihren Milliardeninvestitionen seit Langem erwarten.

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6 Kommentare

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  • CA
    Christian Alexander Tietgen

    Die Schweizer machen es richtig.

  • G
    Greenhouse

    @Hamburgerin

    Ja, es stand am 29. Mai in der taz:

     

    "Die Deutsche Bahn hat verdeckte Öffentlichkeitsarbeit eingeräumt und sich von PR-Aktionen des Jahres 2007 distanziert. Bahnchef Rüdiger Grube stellte am Donnerstag in Berlin fest, er lehne PR-Maßnahmen entschieden ab, bei denen der Urheber nicht erkennbar sei. (...)

     

    Dabei handelte es sich nach Bahn-Angaben um vorproduzierte Medienbeiträge, Leserbriefe, Äußerungen in Internetforen und Meinungsumfragen, bei denen der Urheber beziehungsweise Auftraggeber nicht erkennbar ist. Die Bahn bestätigte, dass dafür im Jahr 2007 knapp 1,3 Millionen Euro ausgegeben worden seien.

     

    Die Initiative LobbyControl berichtete, das Geld habe damals die Lobbyagentur EPPA erhalten, die wiederum der Agentur Berlinpolis Aufträge für PR-Aktionen erteilt habe. (...)"

  • JM
    Joseph Michl

    Die Forderung ist vollkommen richtig. Wer aber das Schweizer Bahnsystem so sehr lobt, moege sich bitte mal genauer anschauen, wo dort die Reise hingeht.

     

    Regiert in der Schweiz tatsaechlich Intelligenz statt Beton?

     

    Fakt ist: Fuer viele Milliarden werden Basistunnel unter den Gotthard und den Loetschberg gebaut (Hochgeschwindigkeit). Ich bin gespannt, wie lange es beispielsweise die landschaftlich schoene Strecke ueber den Loetschberg (Rampe) mit wichtiger Erschliessungsfunktion fuer viele Ortschaften noch gibt.

     

    Vielfach sind auch in der Schweiz die Zuege leer und die Strassen voll. Selbst auf attraktiven Strecken wie der Visp - Andermatt ist es so.

     

    Bestenfalls gibt die Schweiz bei der auch dort praktizierten unsinnigen Parallelinvestition in Strasse und Schiene ein wenig mehr fuer die Schiene aus als hierzulande.

     

    Aber auch dort wird man sich leere Zuege nicht lange leisten wollen. Hinzukommt, dass es in der Schweiz sehr viele Privatbahnen (!) gibt, die auch auf die Wirtschaftlichkeit achten muessen. (Seilbahnen wurden nach Erschliessung von Bergdoerfern durch die Strasse bereits abgebaut.)

     

    Ausgelastet sind - dies allerdings nach meinem subjektiven Eindruck, den ich bei mehreren laengeren Anschluss-Wartezeiten in Goeschenen gewonnen habe - selbst Strecken wie die ueber den Gotthard nicht.

     

    Sicher: Noch ist es mit dem oeffentlichem Verkehr in der Schweiz etwas besser als bei uns. Ich befuerchte aber, es werden dort die gleichen Fehler gemacht wie hier, die Entwicklung geht in die gleiche Richtung.

     

    Auch der Schweiz taete eine Verkehrswende gut!

  • T
    tiefseetaucher

    @Hamburgerin ... welcher Teil meines Kommentars soll denn bestellt gewesen sein? Habe ich etwa - wie offensichtlich der Autor - irgendwelche Fakten verdreht ;-) Wir leben doch in einer Demokratie? Da darf ich doch noch eine Meinung haben, auch ein grüner Politiker mal wieder die Welt abschließend erklärt hat?

  • H
    Hamburgerin

    Der Tiefseetaucher-Kommentar riecht ein wenig bestellt. Welches Unternehmen war das noch, dass Leserkommentare in Auftrag gibt? Oder waren es gar viele?

  • T
    tiefseetaucher

    ... möglicherweise lebe ich ja hier in einem anderen Berlin? Die Fahrzeit von Berlin Zoo zum Berlin Hbf. hat sich nicht "um etwa 30 Minuten verlängert", sondern exakt um 4 Minuten. Vom Bahnhof Berlin-Spandau sind es mit dem RegionalExpress über Jungfernheide 9 Minuten - wobei der ICE nach Hamburg in Spandau hält.

     

    Auch wenn es momentan nicht ganz so populär ist: die Fahrgastzahlen der S-Bahn Berlin haben sich seit der Bahnreform 1994 verdoppelt, die des Regionalverkehrs Berlin-Brandenburg sind sogar um 125 Prozent gestiegen. Bei den Investitionen in der Region in den vergangenen Jahren, kann ich auch nicht dem Pauschalurteil folgen, es gebe hier einen "stiefmütterlich behandelten Nah- und Regionalverkehr". Vermutlich sehen die Zahlen für den Fernverkehr in der Hauptstadtregion ähnlich erfreulich aus, da mit der Eröffnung der Schnellbahnstrecken nach Hannover, Leipzig und natürlich Hamburg jeweils zweistellige Zuwächse verbucht wurden. Sicherlich zählt auch der Berlin-Warschau-Express zu den Gewinnern.

     

    Natürlich lässt sich nicht jedes Detail in einem Artikel klären. Klar jedoch ist, dass die Partei Michael Cramers sieben Jahre Regierungsverantwortung in Deutschland hatte und dabei vor allem im Verkehrsbereich enttäuscht hat - das immer wiederkehrende Gejammer, das jeweils die anderen Schuld seien, ist schon schwer zu ertragen. Vor allem auch deshalb, weil dadurch der gesamte Schienenverkehr in Misskredit gebracht wird - das Negativ-Marketing ist verheerend und der gegenteilige Effekt des Gewünschten tritt ein: Ahnungslose finden die Bahn noch grauenvoller ...