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Debatte Demagoge SarrazinLob des Populismus

Kommentar von Markus Linden

Provokateure wie Thilo Sarrazin sind gut für die Demokratie. Sie zwingen zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ressentiments.

D ie Freiheit der Andersdenkenden hat so ihre Tücken. Bringt jemand wie Thilo Sarrazin seine Ansichten in stark zugespitzter Form vor, ist man schnell mit dem Vorwurf des Populismus zur Stelle. Mit seinem Buch wird der Wiederholungstäter den Erwartungen denn auch mehr als gerecht. Inhaltlich sind Sarrazins Vorstöße abstoßend, und mit seinen biologistischen Ansichten zur "Intelligenzvererbung" ist die Schwelle zum Rassismus überschritten. Die einseitig negative Sichtweise auf das Phänomen des Populismus ist dennoch falsch. Denn für die Demokratie kann Populismus an sich gleichwohl funktional und manchmal sogar ein Segen sein - gerade heute.

Die ideologische Angleichung der etablierten Parteien, ihre programmatische Loslösung von angestammten Wählermilieus und ihre Fixierung auf gesamtökonomische Ziele sind Entwicklungen, die in vielen westlichen Demokratien zu beobachten sind. Der Pragmatismus hat seinen Preis. Der Streit über unterschiedliche Werte - also über das, was Menschen unabhängig von der ökonomischen Bedürfnisbefriedigung bewegt und politische Gemeinwesen in ihrer natürlichen Pluralität ausmacht - lässt sich in dieses Koordinatensystem schlecht einordnen.

In Deutschland dominierte lange Zeit eine apolitische Konsenslogik. Auf die neoliberale "Hartz-IV-Phase" folgte der großkoalitionäre Staatsinterventionismus; beides wurde als unausweichliche Reaktion auf wirtschaftliche Zwänge dargestellt. Damit wurden zwei Grundpfeiler der politischen Auseinandersetzung aufgegeben: die Repräsentation von Wertekonflikten und der Gestaltungsanspruch von Politik. Auf beides reagiert der Populismus. Sein positiv gewendeter Tenor lautet: Es gibt Probleme, die bislang zu wenig bedacht wurden - und sie können politisch entschieden werden.

Markus Linden

ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Zusammen mit Winfried Thaa gab er zuletzt den Band "Die politische Repräsentation von Fremden und Armen" heraus (Nomos, 2009).

Unterdrückte "Wahrheiten"?

In einer argumentative Debatte, die sich daraus entspinnt, lassen sich die Ansichten eines Thilo Sarrazin ebenso disqualifizieren wie der Chauvinismus eines Geert Wilders. Der bloße moralisierende Rückgriff auf die Vokabeln der Political Correctness hilft hingegen wenig. Wer sich auf den Vorwurf des Rassismus und des Populismus beschränkt, bestärkt für viele eher den Eindruck, hier spreche jemand unterdrückte "Wahrheiten" aus.

Zur argumentativen Auseinandersetzung bedarf es der Einsicht, dass es in der Politik kaum Wahrheiten gibt. Der Handlungsspielraum ist immer offen. Die Figur des prekariatsfeindlichen Sozialdemokraten (Sarrazin) oder des intellektuellen und homosexuellen Rechtspopulisten (Pim Fortuyn) bietet zudem wenig Angriffsfläche für eine Kritik, die sich nur überkommener Schubladen bedient. Häufig ist der Vorwurf des Populismus nicht mehr als ein stumpfer Ersatz für die alte Unterscheidung zwischen "guten" Demokraten und "bösen" Extremisten. Gruppenbezogenen Ressentiments in der Bevölkerung ist damit nicht beizukommen. Die allzu oft nonargumentative Selbstvergewisserung und Abgrenzungslogik der "politischen Klasse" ist vielmehr kontraproduktiv und kann bei vielen das Gefühl verstärken, es mit einem Machtkartell zu tun zu haben. Der Vorwurf des Rassismus, so berechtigt er im Fall Sarrazins auch sein mag, entbindet nicht von der Notwendigkeit, sich mit seinen empirischen Begründungen und Herleitungen auseinanderzusetzen.

Mäßigende Wirkung

Dagegen entfaltet die offene Auseinandersetzung mit vermeintlich populistischen Argumenten häufig eine mäßigende Wirkung. Ein Beispiel dafür ist die Unterschriftenkampagne der Union gegen den sogenannten Doppelpass und das neue Staatsbürgerschaftsrecht der rot-grünen Regierung im Jahr 1999. 5 Millionen Unterschriften führten dazu, dass das Thema im Bundestag konflikthaft und öffentlich debattiert wurde. Im Verlauf der Debatten wurden immer häufiger die Anliegen der Betroffenen selbst zur Rechtfertigung herangezogen: Das Argument, dass "Doppelpass-Migranten" gegenüber anderen Migranten privilegiert würden, war dabei eine Vorstufe der Abkehr der Partei von ihrer prinzipiell integrationsfeindlichen Position. Die öffentliche Auseinandersetzung über politische Streitfragen - seien es Moscheebauten, die Integrationspolitik oder Bildungsgutscheine für Hartz-IV-Empfänger - ist oft geradezu eine Grundvoraussetzung dafür, die Positionen von Minderheiten überhaupt erst ins allgemeine Bewusstsein zu bringen. In solchen Fällen erweist der Populist seiner eigenen Haltung oft einen Bärendienst, die Demokratie wird hingegen befördert.

Ein weiteres Beispiel ist der erfolglose Slogan "Kinder statt Inder", mit dem Jürgen Rüttgers im Jahr 2000 in Nordrhein-Westfalen seinen Wahlkampf bestritt. Fünf Jahre später wurde er auf anderem Wege Ministerpräsident, gerierte sich als Bewahrer des Sozialstaats und setzte mit Armin Laschet einen liberalen Modernisierer auf den Posten des Integrationsministers. Voraussetzung für diese Mäßigung war die vorangegangene öffentliche Debatte, die ihn später auf Polemik verzichten ließ.

Demokratie für alle

Der Populismus erhebt sich und politisiert die Gesellschaft. Wenn richtig auf ihn reagiert wird, schwindet aber auch seine Unterstützung in der Bevölkerung. Der Populist schafft quasi seine eigenen Grundlagen ab. Dieser Prozess ist natürlich kein Selbstläufer, wie die Beispiele erfolgreicher rechtspopulistischer Parteien in Österreich und den Niederlanden zeigen. Die Alternative - eine Entpolitisierung, die das Ökonomische zum entscheidenden Ausschlusskriterium werden und die Intoleranz geräuschlos glimmen lässt - ist indes wenig wünschenswert. Es gilt: Der argumentativ ausgetragene Konflikt bildet in der Demokratie die Conditio sine qua non, um Ansichten und Werthaltungen aller Betroffenen einzubinden.

Hinzu kommt, dass der Vorwurf des Populismus oft willkürlich und damit wirkungslos ist. Ist es populistisch, die Luftschläge der Nato gegen Serbien mit "Auschwitz" zu begründen, wie es Joschka Fischer als Außenminister getan hat? Oder in der Migrationsdebatte reflexhaft an die deutsche Vergangenheit zu erinnern? In jedem Fall befördert Sarrazins völkisch inspirierter Amoklauf die politisierte Diskussion. Und das ist gut so.

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28 Kommentare

 / 
  • FO
    free or freezed mind?

    Ein interessanter Beitrag zur Debatte, wenngleich ich die Meinung des Autors nicht teile.

     

    @Antje: 1. "Populismus" ist kein Widerspruch zu "Zuspruch [von seinen Lesern]". Erst mal die Definition von "Populismus" auf die Kette bekommen, bevor man "solchen Unfug verbreitet"!

     

    2. Die von Ihnen verlinkte Seite ist eine satirische Verarsche von Sarrazin. Dort wird zwar in ähnlichem Geplärre, aber krass übertrieben hirnverbrannter Schmuh abgesondert ("Der Moslem ist schuld" etc).

    Dass die Unterschiede zwischen realem und lächerlich gemachtem Sarrazin Ihnen & den meisten Kommentatoren auf jener Seite nicht auffallen, offenbart nur die fremdenfeindlichen Ansichten und Verständnisschwierigkeiten vieler Sarrazin-Anhänger.

     

    Oder sollte Ihr Kommentar bloß ironisch gemeint sein?

  • A
    Antje

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

    Populismus???

     

    Schauen Sie sich mal die Homepage von Herrn Dr. Sarrazin an, bevor Sie solchen Unfug verbreiten!

     

    Da erfährt er gigantischen Zuspruch von seinen Lesern: http://thilosarrazin.blogspot.com

     

     

    Aber es ist ja klar, daß solche ferngesteuerten Zeitungen wie die Ihrige nur am Hetzen eines unschuldigen Patrioten interessiert ist! Wir sind durch die Besatzungszeit schon so geknebelt, daß wir nicht mal mehr 2010 die Wahrheit im eignen Land aussprechen dürfen!

     

     

    Pfui!

  • TD
    Tyler Durden

    @ Kai

     

    So traurig es auch ist, dass sogar die mal mit völig anderen Zielen gegründete TAZ mittlerweile auf diesem Weg der gleichgeschalteten, politisch korrekten Meinungsmache angekommen ist, das Problem ist nicht diese eine ehemals intelligente Zeitung. Das eigentliche Problem ist, dass die GESAMTE Medienlandschaft heute nur noch aus solchen Produkten festgezurrter Meinungen und versuchter Manipulationen besteht.

     

    Es gib kein einiziges wirklich unabhängiges Medium mehr, das tatsächlcih zu etwas Kontroversem auf offene lernfähige Art und Weise bereichtet.

     

    Welche Folgen dies haben wird, ist noch gar nicht abzusehen. Aber welche Folgen das Verlernen eigenen Denkens und verdummende Gleichschaltung haben kann, das kennen wir ja aus er Geschichte.

     

    Danke TAZ, für diesen Dienst!

    Wir werden es nicht vergessen.

    Beim nächsten Abonnenmnet!

     

    Und @Kai, sie sollten auch nicht vergessen wie ungeheuerlich viele Beitzräge hier schon gar nicht erst erscheinen, sondern zensiert werden!

  • KB
    karin bryant

    Der wahre Skandal sind nicht Sarrazin und sein Buch sondern die Art mit der in der BRD jede einschlaegige Diskussion abgewuergt wird und wenn das nicht hilft dann wird verboten...was nicht sein darf.

    Die Hilflosigkeit der Regierung zeigt sich besonders in der Art wie Frau Merkel reagierte; de Maiziere lehnt jede Belehrung ab, denn schliesslich weiss man in Berlin um die Probleme mit gewissen Einwanderern.Wenn das in der Tat so ist dann muss man annehmen dass die Probleme gewollt oder wenigestens toleriert werden. Wie lange glaubt denn die Kanzlerin dass sie den Deckel noch auf dem brodelnden Pott halten kann mit PC????

  • T
    Timocracy

    Provokateure braucht die Demokratie?

     

    Bitteschön:

     

    Ich fordere hiermit alle Staatsanwaltschaften dieses Landes dazu auf, die bereits gedruckten Exemplare im Zuge eines Verfahrens wegen Volksverhetzung zu beschlagnahmen und dem Interessierten umsonst zukommen zu lassen.

     

    Aber bitte, keine Bücherverbrennung, O.K.?

  • B
    BigKelle

    Das ist die sogenannte Meinugsfreiheit hier in der BRD.

    Man kommt zwar nicht mehr in Haft wie zu DDR zeiten aber Politik und Medien machen einen zum H4 Fall.

    Es wurde wieder ein Sundenbock gesucht und gefunden! Es soll Abgelenkt werden vom Sozialabbau genauso wie der Geldzuschieberei zwischen Staat und Banken!

     

    NENE

  • T
    Theo

    @Kai

     

    ''Über Deutsche als "Mistvolk" oder "Scheißvolk" schreiben (taz Berlin 2008) ist aber OK?''

     

    Jop, das ist OK.

     

    Bitte, liebe Mitmenschen, spart euch eure, auf gefährlichem Halbwissen basierenden, Demokratie-Theorien für den Stammmtisch auf!

  • N
    Naskolnikov

    Plasberg-Nachlese

     

    Was um Himmels willen war denn das gestern? Auf der einen Seite ein großer Sarrazin, auf der anderen vier kleine.

    Hier ein alter Mann, der fast hirnorganisch eingetrübt wirkte, sich im Gestrüpp seiner kruden Theorien ähend verhedderte, sein zusammengegoogeltes Viertelwissen ohne Begründung zum »weltweiten Standard« hochfaselte und noch dazu seine Kronzeugin, eine unbekannte Schweizer Psychologin, falsch zitierte.

    Dort geiferten der Allesexperte Baring, eine Vorzeigetürkin, das soziale Gewissen Dreßler und der Schauspieler Friedman aus dem Käfig ihrer ebenso vorgefassten Meinungen. Die herumstehenden Tellerränder wurden nicht überschritten.

     

    Immerhin gab es eine Erkenntnis: zumindest der Hass des Neandertalers auf die Fremden im Nachbartal scheint sich bis heute genetisch gehalten zu haben.

  • FK
    Frau K.

    Ein konstruktiver Kommentar von Markus Linden. Danke. Denn: Die Thesen von Herrn Sarrazin fallen zwar auf fruchtbaren Boden bei vielen MitbürgerInnen, die enttäuscht sind von "den" PolitikerInnen, weil sie von denen einfach zu viel, nachgerade Übermenschliches erwarten. Sie fruchten bei MitbürgerInnen, die jammern über "die" gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie in erster Linie als Ursache ihrer misslichen Lage verantwortlich, welche aber doch weltweit vergleichsweise noch ein Leben ohne Hunger und Krieg ermöglicht. Kurz: Sarrazins Thesen erreichen die Menschen, denen die Welt zu kompliziert geworden ist, die sich als Opfer dieses Umstandes fühlen und die "Schuld" dafür zuerst bei Anderen suchen.

    Zum anderen widerlegen WissenschaftlerInnen verschiedenster Fakultäten, dazu SozialarbeiterInnen und LehrerInnen, die im echten Kontakt mit MigrantInnen sind, Sarrazins Thesen und entlarven sie argumentativ mal als wissenschaftlich nicht haltbar oder - menschlich gesehen - als beleidigend oder rassistisch. Mit diesen DebattenteilnehmerInnen aber will oder kann sich Sarrazin offensichtlich nicht wirklich auseinandersetzen und wiederholt folglich seine Ressentiments gebetsmühlenartig von Talkshow zu Talkshow, verschanzt hinter seinen aus Zahlen und mangelnder Herzensbildung willkürlich zusammengezimmerten Erkenntnisschranken (mit starrem Blick auf die Auflagenzahl/aufs Geld?).

    Sarrazin erscheint mir als ein Mephistopheles-Paradox, denn ich unterstelle dem Hobby-Sachbuchautor mal, dass er das Gute will (mehr Bildung für alle), aber das Böse schafft (Befeuerung von Ressentiments, Denkfaulheit und Rassismus).

    Ich teile Markus Lindens Meinung, dass durch das Buch des Noch-Bundesbankers das Interesse und Bewusstsein für die Fragen, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen, geweckt werden kann. Denn solchen komplexen gesellschaftlichen Fragen (wie nach Gerechtigkeit, Teilhabe, Befähigung zu einer für alle gedeihlichen Lebensgestaltung) steht der Banker Sarrazin wie viele andere ganz offensichtlich ratlos und ziemlich überfordert gegenüber, ja, ihm "wird von alledem so dumm, als ging'" ihm "ein Mühlrad im Kopf herum". So gesehen mag der ganze Medien-Hype tatsächlich etwas Lehrreiches bewirken im Sinne einer fast 800 Jahre alten Erkenntnis des Zen-Buddhismus: "Wenn jemand nicht annimmt, was du sagst, mühe dich nicht, ihn zur Verstandeseinsicht zu bringen. Hör dir seine Einwände an, bis er den Irrtum selbst erkennt."

  • S
    Spartacus

    Eine Ablenkungskampagne größten Ausmaßes, ausgelöst von einem nützlichen und zielgerichteten Provokateur beschäftigt die Eliten des Landes und große Teile der Medien. Bundesbanker Sarrazin besetzt mit dem Thema die Stammtische und die weltweit trotz Billioneneinsatz ungelösten Probleme im Wirtschafts- und Finanzsystem bleiben außen vor.

    Über den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SOFFIN) gibt Deutschland staatliche Beteiligungen und Garantien im Rahmen von 480 Mrd. Euro zur Rettung des deutschen Bankensystems ab. 182 Mrd. Euro dieser potentiellen Leistungen waren davon per 30.06.2010 von den Banken abgerufen. Alleine die marode Deutsche Pfandbriefbank AG (HRE) hat 102 Mrd. Euro an Garantien abgerufen und 7,7 Mrd. Euro an Kapitalzufuhr erhalten! 210 Mrd. Euro an "Vermögenswerten", Kredite und Risikopapiere, wird die HRE im 2. Halbjahr 2010 in eine staatliche Bad Bank der SOFFIN abladen, mit dem Namen FMS-Wertmanagement, diese Transaktion steht nur noch unter dem Zustimmungsvorbehalt der Europäischen Kommission.

    S.a. http://wirtschaftquerschuss.blogspot.com/2010/08/divide-et-impera.html

  • BE
    Boris Eigner

    "(...) mit seinen biologistischen Ansichten zur "Intelligenzvererbung" ist die Schwelle zum Rassismus überschritten (...)"

     

    Diese Schlussfolgerung will mir nicht in den Sinn. Habe ich sportliche Eltern, dann bin ich meist ein sportliches Kind. Sind meine Eltern dunkelhäutig, hellhäutig, rothaarig, fett oder dünn dann bin ich das als Kind mit großer Wahrscheinlichkeit auch.

     

    Nur beim Thema kognitiver Fähigkeiten machen wir auf einmal tabula rasa und tun so, als wären alle Menschen gleich? Das erscheint mir wenig plausibel und auch unter Wissenschaftlern habe ich noch nie gehört, das ein Erbfaktor ausgeschlossen ist.

     

    Warum das nun "Rassismus" ist, verstehe ich nicht.

     

    Auch gemeinsame Gene innerhalb bestimmer ethnischer Gruppen erscheinen nur logisch. Das müsste jedem einleuchten, der den Biologie-Unterricht bis zur zehnten Klasse besucht hat. Was hat die Benennung solcher Tatsachen mit "Rassismus" zu tun? Ich finde das erst einmal wissenschaftlich interessant, nicht mehr oder weniger.

     

    Ich würde mich über eine ehrliche Antwort des Verfassers freuen, worin hier der "Rassismus" besteht.

  • H
    HamburgerX

    Guter Artikel, ich möchte aber nochmals betonenm, dass "der Vorwurf des Rassismus" NICHT berechtigt ist. Ich halte es für absolut besorgniserregend, dass offenbar vielen Journalisten die Rassentheorien aus dem 20. Jh. völlig unbekannt zu sein scheinen (was einerseits ja gut ist, aber für so eine Debatte äußerst schädlich, da verharmlosen), denn damals wurde nicht lediglich auf genetische Unterschiede hingewiesen, sondern gravierende Unterschiede ausgemacht, die Unterschiedsgruppen biologisch falsch als "Rassen" eingeordnet, daraus unabänderliche Verhaltenseigenschaften abgeleitet und ab- und aufgewertet. Dann wurde ggf. noch zum "Rassenkrieg" aufgerufen.

     

    DAS war Rassismus. Alles andere heute, einschließlich Sarrazin, ist mit dem nicht ansatzweise zu vergleichen.

     

    Es ist auch schäbig und unanständig, wie einige Pseudowissenschaftler versuchen, dieses Signal-Stichwort in seiner Bedeutung immer weiter auszudehnen und zu verwässern. Nur weil man zu bequem ist, konkret und an einer Sachaussage entlang zu argumentieren.

     

    Wer Rassen postuliert und diese auf- und abwertet, ist Rassist und niemand sonst!

  • B
    BerlinaWoman

    Ich erlaube mir, aus einem anderen Kommentar zu zitieren: "Was uns bei politisch korrekten Journalisten nicht stören darf (nämlich die Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse oder statistischer Zusammenhänge), wird Sarrazin nun angekreidet. Wenn Pisa feststellt, dass türkische Migrantenkinder oder Kinder aus sozialen Problembereichen weniger leistungsfähig sind, nennt man das politisch korrekt "mangelnde Chancengleichheit". Nur weil Sarrazin die versimplifizierte Opfertheorie nicht akzeptiert und auch die Verantwortung der Eltern anmahnt, wird er jetzt zum "unanständigen" und "dummen" Deutschen erklärt - ob da viele im Glashaus sitzende besser nicht mit Steinen schmeißen sollten?"

  • H
    hto

    Wo findet die "Auseinandersetzung" statt? Ich sehe nur verstärkten Populismus, Zynismus, Sündenbocksuche / gewohnt systemrationale Ausbeutung und Unterdrückung von wahrhaftiger Auseinandersetzung / konfusionierende Überproduktion von Kommunikationsmüll.

  • S
    Stephan

    Prinzipiell mag ich herrn Linden zustimmen. Aber nur wenn wir eine politische Kultur des breiten öffentlichen Diskurses vorfänden. Da der / die durchschnittliche deutsche (und sicher nicht nur Angehörige dieser Nationalität) aber kaum zur Meinungsbildung durch Abwägung aller Argumente gelangt und auch nicht um den wahrheitssgehalt wissenschaftlicher Theorien weiß, betreibt sarrazin hier soziale zündelei. Allein das Thema der Intelligenz und deren Vererbung bzw. der Einfluss des Umfelds ist beileibe kein abschliessend geklärtes Thema. Im Gegenteil benutzt sarrazin genau wie z.B. die neoliberalen bestimmte menschliche Eigenschaften, um sie als anthropologische konstante in seine Modelle einzubauen. Das sich dann dadurch dieser oder jener bestätigt fühlt, erst recht wenn er mal türkische Jugendliche grölend in der Nachbarschaft erlebt hat, ist abzusehen, sicher aber auch eine Art von Befangenheit.

     

    Die Lösungen, die sarrazin anbietet, stellen vor allem im schulischen Bereich ein Sammelsurium des Vorgestern dar. Wenn er über die 50er Jahre schwadroniert, jene vermieften nachkriegsjahre in der der lehrer nicht selten im Geist von gestern unterrichtete, bekommt man eine Ahnung, wie sehr er an einer alten (Spieß)bürgerlichen Welt hängt, die (zum glück) nicht wiederkehren wird. Ähnliches erlebten wir ja bereits bei seinem "im Winter Pullover anziehen, statt Heizung", weil es bei ihm als Kind halt auch so war.

     

    Sarrazin hat vor allem nicht begriffen, dass wir im gegenwärtigen Neoliberalismus kein Problem der Ethnien, sondern eins der Stratifikation haben. Sarrazins Buch strotzt vor falschen historischen vergleichen (Stichwort "wofür war der Limes gut") und bietet nur ganz punktuell wirklich sinnvolles, wie etwa die kostenlose Schulspeisung. Der Rest ist weder vom Stil noch dem Inhalte nach der ernsthaften Diskussion würdig und dient (siehe oben) nur der Kräftigung von Vorurteilen, da gegenteilige, berechtigte Positionen nicht zu Wort kommen.

     

    Gruß

    Stephan

  • L
    likewise

    Lob auch für den Brandstifter, ohne den die Feuergefahr nicht so schnell entdeckt worden wäre...

     

    Wie wäre es, wenn all jene, die zwar kritisch zu Sarrazins Thesen stehen aber irgendwie mit ihrem Erfolg umgehen müssen, mal auf den Gedanken kämen, nicht den Bradstifter zu loben, sondern die schlafende Feuerwehr zu schelten? Viel zu lange waren die Probleme (die meist in die genau entgegengesetzte zu den von Saeeazin verorteten gehen) nämlich bekannt und offensichtlich, aber die Feuerwehr (und ebenso die Medien, die sie schon vile früher so intensiv hätten thematisieren können wie jetzt) hatte geschlafen, weils bequemer war.

    Das will keiner sagen, lieber wird der Brandstifter gelobt, er habe immerhin ein Problem aufgedeckt -- und versucht den gesellschaftlichen Zusammenhalt abzufackeln.

  • W
    witzig

    Macht ihnen diese Entwicklung keine Angst? Wenn ich lese, daß sich SPD Mitglieder für diese Person

    einsetzen, fällt mir nur der immer noch fruchtbare Schoß ein, aus dem ES kroch.

    http://www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/sarrazin-verunsichert-spd/

    MfG

  • LG
    Lothar G. Kopp

    Das finde ich auch. Und Selbstkritik ist ebenso vonnöten, schrieb doch Robert Misik in der taz vom 04.07.2006 über ein "jüdisches Intelligenz-Gen" Folgendes: "All das klingt nach hanebüchender Eugenik, ist aber leider wissenschaftlich nicht unprofund".

    So so.

    Misik ist immer noch taz-Autor, Sarrazin muß für das gleiche "Vergehen" gehen. Wer da Böses denkt ist ...

  • A
    Andie

    Den Kommentar habe ich gestern im Sarrazynismus-Artikel gepostet, leider kam er nicht an... wie schön, dass dieser Artikel eine ähnliche Richtung hat...

     

    "Als jemand, der sich studienbedingt mit der Evolutionstheorie beschäftigt, finde ich die Debatte insofern wichtig, da Sarrazin mit seiner Eugenik in Reinstform die Biowissenschaften in Mißkredit bringt - erst vorgestern in einer Diskussion erlebt, als mir jemand mit vor gerechtem Zorn vibrierender Stimme erklärte, dass das Ganze ja irgendwas mit Richard Dawkins und dem Egoistischen Gen zu tun haben müsse.

     

    Sarrazin als rassistischen Hohlkörper (der er ja unbestritten ist) einfach zu ignorieren ist m.E. schädlicher, als ihn sauber mit den vorhandenen Argumenten aus der Biologie und den Sozialwissenschaften zu widerlegen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass manchen Menschen nur die Assoziation Biowissenschaften = Rassismus hängen bleibt.

     

    Zudem gelingt es bei solchen Debatten mitunter, eine unterschwellige revisionistische Haltung in der Bevölkerung ans Licht zu zerren und zu widerlegen, wie etwa in den Geschichtswissenschaften in der Fischer-Kontroverse ("Deutschland hat den Ersten Weltkrieg nicht verschuldet"), dem Historikerstreit der 1980er ("Hitler hat den Überfall auf die Sowjetunion nur aus Gründen der Prävention begonnen") oder jüngst mit Eva Herman geschehen."

  • HH
    Harald Hamburg

    Es hat überhaupt nichts mit Populismus zu tun, die Trennung zwischen Staat und Religion zu verteidigen. Gegen das Christentum, aber auch gegen den Islam.

     

    Es erstaunt mich seit Tagen, mit welcher Naivität gerade auch "aufgeklärte" Medien einer stark auf Deutungshoheit pochenden Religionsgemeinschaft (wie die des Islam) einen "Welpenschutz" zukommen lassen wollen.

     

    In unserer Gesellschaftsform kann (zum Glück) jeder in seinen vier Wänden glauben, an was er/sie will. Aber keine Christ, kein Mormone, kein Hindu und auch kein Muslim verdient es, im öffentlichen Raum mit seinem Anspruch auf Deutungshoheit geschützt zu werden.

     

    Oder kurz gesagt: Das Recht, Mohammed-Karikaturen veröffentlichen zu dürfen, ohne eine Fatwa befürchten zu müssen, ist deutlich wertvoller, als der Schutz einer Religionsgemeinschaft im öffentlichen Raum!

  • LR
    l. rohleder

    danke thilo sarrazin !

     

    für deinen mut und unerschrockenheit für die wahrheit einzustehen und dir alle gesellschaflichen repressalien aufzubürden.

    alle medien schlagen auf dich ein und interpretieren dich in die rechte ecke um sich nicht mit den islam auseinanderzusetzen.

    vielen dank für deinen entschlossenheit und viel erfolg für dein buch, obwohl du es ja gar nicht nötig hättest.

    ( erste ausgabe vergiffen, gebraucht zur zeit erhältlich zwischen 40 und 50 euro )

    aus finanzieller gewinnsucht wirst du wahrscheinlich in deiner gesellschaftlichen position nicht gehandelt haben. denn dagegen stehen deine sicherheit,( rache der fundamentalitischen muslime )

    aberkennung, anfeindung und demontage deiner gesellschaftlichen stellung, parteiausschluß usw. alles verursacht durch die unfaire geballte macht der öffentlichen medien und unserer volksvertreter.

    glücklicherweise ist das volk nicht so dumm wie es manche gerne hätten.

    in allen umfrageergebnissen hast du die überwältigende mehrheit des volkes auf deiner seite.

    wir wollen multikulti aber ohne die faschististoide staatsform des islam.

  • NF
    Norman Frey

    Schöner, sachlicher und treffender Artikel. Gefällt mir.

  • I
    indika

    Hallo,

     

    ich wundere mich schon darüber, dass es noch niemandem aufgefallen ist, dass Sarrazins "Thesen" ein Licht (zurück-)werfen auf den moralisch-intellektuellen Zustand (nicht nur) der Bundesbank und der SPD.

     

    Solche Äußerungen spiegeln den inneren Zustand des Macht-/Geldapparates: die haben sich in ihrer Ingroup längst vom Rest der Gesellschaft verabschiedet; die sind es selbst, die sich aus der gesellschaftlichen Verantwortung stehlen und integrier-resistent sind (s. Bankenkrise).

     

    Die vorgeworfene Abgrenzung anderer praktizieren diese Leute doch selbst in hohem Maß. Da könnten sich Muslems u.a. Zugewanderte noch eine Scheibe von abschneiden; nur, die können nicht so viel anrichten.

     

    An diesem Fall erkennt man schön die moralisch-intellektuelle Vewahrlosung derer, die mit für das Gemeinwohl verantwortlich sind. Aber das ist ja nicht Neues.

     

    P.S. warum Integration nicht klappt? Bei diesen „Vorbildern“ aus Politik und Wirtschaft, die uns das Gegenteil vorleben?

  • S
    Stefan

    Ein erstaunlich unaufgeregter Artikel. Am Ende hat sich der Autor doch noch von der Schauprozess-Stimmung inspirieren lassen und geifert was von "Sarrazins völkisch inspirierter Amoklauf". Schade!

  • P
    PerditaDolorosa

    Endlich mal 'n linker Journalist, der's kapiert hat. Ganz dickes DANKE. Prima Text.

  • G
    ghartmann

    Sehr geehrter Herr Linden,

     

    Danke!!!

     

    Das ist der erste wirklich reflektierte, sachliche und konstruktive Beitrag in dieser Debatte, den ich im Internet lese!

  • L
    Lina

    Lieber Herr Linden,

     

    Ihre Thesen sind ehrenwert und ich bin ganz bei Ihnen.

     

    Trotzdem frage ich mich, in Anbetracht der Tatsache dass

     

    - der Spiegel und die Bildzeitung vorab ganze Passagen aus

    dem Buch abgedruckt haben,

    - Talkshows inszeniert wurden

    - Umfragen gestartet wurden, bei denen 70% aller Befragten

    den Thesen des Herrn S. voll und ganz zustimmten

    - das "Unterschichten-Fernsehen" alles noch einmal kräftig

    untermauert,

     

    ja, dann frage ich mich in welche RICHTUNG der Populismus diese Gesellschaft politisiert.

     

    Das kann nicht gutgehe, oder?

  • K
    Kai

    "Debatte Demagoge Sarrazin

    Lob des Populismus

    Provokateure wie Thilo Sarrazin sind gut für die Demokratie. Sie zwingen zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ressentiments".

     

    Alles, was nicht in die taz'sche Brille passt, ist populistisch. Kennen wir schon. Derjenige, der etwas nicht taz'istisches sagt, ist ein Demagoge? Es reicht. Wie bereits mehrfach, zuletzt in taz-Meinungen über das Ergebnis der Volksabstimmung in Hamburg zur Schulreform, endet die taz'sche Demokratie-Toleranz, bei anderen Wahlergebnissen als erwünscht-und anderen Meinungen. Welch elendige Heuchelei.

    Es müßte richtigerweise heißen: "Provokateure wie Thilo Sarrazin sind gut für die Demokratie. Sie zwingen zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemfeldern".

     

    Über Deutsche als "Mistvolk" oder "Scheißvolk" schreiben (taz Berlin 2008) ist aber OK?