Debatte Bildungsstreik: Den Widerstand eskalieren lassen!

Nach zwei erfolgreichen Streiksemestern an Deutschlands Hochschulen muss die Bewegung jetzt nachlegen - sagt Oskar Stolz vom SDS. Eine Provokation.

Forderung klar, Ende offen. Bild: ap

Derzeit beginnt an Deutschlands Hochschulen ein neues Semester. In zwei sehr dynamischen Streiksemestern hat die Bildungsstreikbewegung die Misere im deutschen Bildungssystem im Jahr 2009 deutlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Nun steht uns wieder ein heißer Sommer bevor. Sein Erfolgsrezept: Der Bildungsstreik muss eskaliert werden.

Neben den Anti-Atomprotesten war der Bildungsstreik der vergangenen Semester die erste große soziale Bewegung unter der schwarz-gelben Bundesregierung. Nachdem hunderttausende im Juni 2009 protestierten, gingen am 17. November erneut 85.000 Menschen auf die Straße. Während die Proteste im Sommer noch auf eine Woche beschränkt blieben, besetzten Studierende diesmal an insgesamt über 50 Hochschulen einzelne Hörsäle.

Angesichts der im Grundgesetz festgehaltenen Schuldenbremse und dem von Schwarz-Gelb im März 2010 verabschiedeten Rekordschuldenhaushalt mit einer Neuverschuldung von mindestens 80 Milliarden Euro, wird es weiterhin zu Kürzungen in den Ausgaben für Bildung kommen müssen. Wenn die Studierenden sich nicht nur mit kosmetischen Veränderungen zufrieden geben wollen, müssen sie sich nun auf einen gesellschaftlichen Machtkampf vorbereiten.

Oskar Stolz, 22, ist im Bundesvorstand des SDS, dem Studierendenverband der Linkspartei

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Zwar hat die Bildungsministerin Annette Schavan zu einem "Bologna-Gipfel" im Bildungsministerium eingeladen. Diesen Verhandlungsprozess mit der Ministerin sollten wir ernst nehmen. Er bietet erstmalig die echte Chance, die Debatten um die fehlgeschlagenen Hochschulreformen und das selektive Bildungssystem öffentlich und transparent zu begleiten. Das ist eine Möglichkeit, die Debatte um die Hochschulen von Morgen zu befördern.

Wir sollten uns aber nicht der Illusion substantieller Verbesserungen hingeben, sondern zugleich gezielt eine Eskalation der Proteste forcieren. Nur so werden sich gesellschaftliche Kräfteverhältnisse tatsächlich zu unseren Gunsten verschieben.

Die Besetzungswelle an über 50 Hochschulen im Winter war ein Fortschritt zu den Protesten im Juni vergangenen Jahres. Im besetzten Hörsaal bestand die Möglichkeit, über alternative Bildungsformen zu diskutieren, Veranstaltungen anzubieten und den Protest und seine Ausweitung vorzubereiten. Aber: An den Unis blieben die Proteste räumlich begrenzt. Oft waren nur einzelne Hörsäle in unserer Hand. Nun müssen wir die Unis als Ganzes erfassen. Wir sollten nicht länger Hörsäle besetzen. Wir sollten ganze Unis erobern.

Denn besetzte Hochschulen sind ein starkes Druckmittel. Ist der Lehrbetrieb gestört, kann niemand die Thematik ignorieren. Diese ist: Das deutsche Bildungssystem ist wie kaum ein anderes selektiv. Es beruht auf der permanenten Bestenauswahl, hohen Durchfallquoten und Knock-out-Prüfungen.

Die neuen Studiengänge Bachelor und Master sind das Instrument einer gezielten Ressourcenverknappung von Bildung, die materielle Ausstattung der Hochschulen bleibt katastrophal, überfüllte Hörsäle und Seminare sind die Regel. Um dagegen anzukämpfen, müssen wir die Unis nach und nach wiedergewinnen. 50 besetzte Hochschulen könnte keine Hochschulleitung, kein Politiker ignorieren. Und der radikale Besetzungsstreik hat einen großen Vorteil: Er ermöglicht allen Studierenden gleichermaßen die Teilnahme.

Im vergangenen Semester ging der normale Hochschulbetrieb neben den Hörsaalbesetzungen weiter. Es blieb eine exklusive und individuelle Entscheidung, an den Protesten teilzunehmen. Die aktivistische Minderheit schaffte es dadurch nicht, die Proteste auszuweiten. Der Protest wurde von Vielen als wichtig anerkannt, aber auch als zusätzliche Belastung neben Studium und Job wahrgenommen. Eine gute Illustration hierfür sind die wöchentlichen Vollversammlungen: Diese waren gut besucht, eine große Mehrheit stimmte für die Besetzungen. Die meisten kehrten jedoch gleichzeitig in den Uni-Alltag zurück.

Im Unterschied zur Hörsaalbesetzung werden bei einem Besetzungsstreik alle Gebäude bestreikt - bis der komplette Lehrbetrieb mit Blockaden an den Eingängen lahm gelegt ist. Erst ein solcher Besetzungsstreik ermöglicht es, Workload und Prüfungsstress auszuschalten und alle in die Proteste einzubinden.

Ein solcher Streik ist eine voraussetzungsvolle Sache, weil er nur funktionieren kann, wenn die Mehrheit hinter ihm steht. Er will gut vorbereitet sein.

Kurzfristig ist dazu wichtig, dass von den Protesten im Vorfeld der Wahl in Nordrhein-Westfalen ein deutlicher Impuls ausgeht. Am 5. Mai ist in Düsseldorf eine bundesweite Demonstration des Bildungsstreiks geplant. Das muss der Auftakt sein. Mit bundesweit vernetzten, dezentralen Aktionen im Juni kann dann der Bildungsstreik in seine dritte Runde gehen. Und dann wird es ein heißer Sommer. Ein Sommer der Eskalation.

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