Debatte Alice Schwarzer: Fidel Castra der Frauenbewegung
Der Kampf zwischen Alice Schwarzer und den jüngeren Feministinnen wird immer härter. Der Alleinvertretungsanspruch ihres konservativen Feminismus blockiert den Fortschritt.
A lice Schwarzer macht ihren Job nun schon seit über dreißig Jahren. Unermüdlich spielt sie die Frauenfrage in die Öffentlichkeit; für bundesdeutsche Chauvinisten ist sie eine berechenbare Hassfigur. Den Medien, den konservativen zumal, erleichtert sie das Tagesgeschäft, weil sie das komplexe Feld der Geschlechterfrage auf einfache Wahrheiten reduziert. Denn Alice Schwarzer weiß immer, wo der Feind steht. So selbstbewusst, schlagfertig und so stur wie sie vermochte bislang niemand, die historisch variablen Aushandlungen zwischen den Geschlechtern in eine allseits verständliche Mechanik zu übersetzen: Täter versus Opfer, will heißen: Mann gegen Frau.
Ines Kappert ist Redakteurin im Meinungsressort der taz und Literaturwissenschaftlerin. Demnächst erscheint ihr Buch "Der Mann in der Krise. Eine konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript verlag).
Derzeit üben die jüngeren Frauen an ihr, der selbst ernannten Übermutter der zweiten deutschen Frauenbewegung, den Muttermord. Gerade an diesem Punkt, ihrer Ablösung, erweist Schwarzer sich als höchst empfindlich. Entsprechend schreckt sie nicht davor zurück, die ihr missliebig gewordene kurzzeitige Emma-Chefredakteurin gegenüber der Presse als überfordertes Mädchen hinzustellen. Mit ihren zwei kleinen Kindern und einem kranken Vater belastet, werde Lisa Ortgies der anspruchsvollen Aufgabe leider nicht gerecht, heißt es. Die Wortwahl macht deutlich: Die für einen "neuen Feminismus" - was immer das heißen mag - streitende Ortgies war für die Patriarchin des Feminismus nicht adoptierbar. So wirkt Alice Schwarzer immer mehr wie die Fidel Castra der Frauenbewegung.
Nun ist das autokratische Verhalten von Alice Schwarzer ja nichts Neues. Die autoritären Arbeitsverhältnisse bei Emma sind sattsam bekannt, ebenso ist es Schwarzers Unwilligkeit, in ihrem Heft selbstkritische Debatten zu führen. Viele emanzipierte Frauen hat dieses autoritäre Denken das Interesse an Emma verlieren lassen. Andere haben sich einen Spaß daraus gemacht, besonders abwegige Thesen von Emma, wie etwa den Vergleich der Massentierhaltung mit dem Holocaust, nur noch über das Satiremagazin Titanic zu goutieren. Doch es gibt nach wie vor ein Bedürfnis für spezifische Frauenbelange: Bis heute verkauft Emma alle zwei Monate rund 45.000 Exemplare.
Das Erfolgsgeheimnis von Schwarzer ist aber nicht allein, dass keine anderen nichtwissenschaftlichen feministischen Konkurrenzorgane existieren. Auch der Umstand, dass Frauen nach wie vor in Deutschland mit erheblichen Nachteilen zu rechnen haben, weil sie Frauen sind, erklärt nicht hinreichend, warum Schwarzer als Feminismuskönigin mittlerweile ein Dauerticket für die vielen Spiel- und Talkshows besitzt. Entscheidend für ihre Popularität ist vielmehr, dass sich ihr Schwarz-Weiß-Feminismus inzwischen problemlos in das nicht zuletzt in den Medien omnipräsente Schwarz-Weiß-Denken eingliedern lässt.
Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind. Auf dieser Ebene kann die Feministin mit Frank Schirrmacher auf Augenhöhe reden, ebenso wie sie Werbung für die Bild-Zeitung machen kann. Obgleich sie konträre Positionen einnehmen: Schwarzer, Schirrmacher und Diekmann bewegen sich in der gleichen Logik. Das, was die Polarisierung "Mann versus Frau" seit Jahrhunderten so attraktiv macht, ist das an dieses binäre Denken geknüpfte Versprechen, komplexe und widersprüchliche Machtverhältnisse auf ein unerschütterlich simples Schema reduzieren zu können. Am Anfang und am Ende stehen dann verlässlich Adam und Eva - mit dem kleinen Unterschied, dass Schwarzer vehement für die Umkehrung der Schuldzuweisung zwischen Mann und Frau streitet.
Nun gibt es schon seit knapp zwanzig Jahren ein anderes, pluralistisches Verständnis von feministischer Gesellschaftskritik. Eine Kritik, die Machtverhältnisse insgesamt in den Blick nimmt, folglich auch die eigenen Verstricktheiten. Frau ist dann nicht mehr per se, also qua Geschlecht, in einer moralisch besseren Position; und es sind auch nicht mehr allein "die Männer", die Krieg führen, ob nun im buchstäblichen oder übertragenen Sinn. Insbesondere in den Neunzigerjahren öffnete sich die feministische Diskussion für eine harsche Selbstkritik und entledigte sich in weiten Teilen jenes Essenzialismus, den Schwarzer bis heute vertritt.
Die Fragen der Täterschaft, der Machtinteressen, des Konservativismus und der Gewalt werden seitdem nicht mehr allein an "die Männer" gerichtet, sondern ins Feld der Frauen zurückgespielt. Die Ikone dieses Paradigmenwechsels ist die US-amerikanische Philosophin Judith Butler. Sie fragt grundsätzlich danach, ob tatsächlich allein die Frau, und nicht vielleicht auch der schwule Mann oder der/die Transsexuelle, das politische Subjekt des Feminismus sein könnte. Butler bezog für diesen Vorstoß ungeheuere Prügel. Leider fand dieser Streit ums Ganze vor allem an den Universitäten statt, und nur die wenigsten Akademikerinnen haben sich darum bemüht, eine Sprache zu finden, um ihre Überzeugungen einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Weil sie diesen Transfer radikal vernachlässigt haben, trugen die Wissenschaftlerinnen nolens volens entscheidend dazu bei, dass Alice Schwarzer ihren Alleinvertretungsanspruch aufrechterhalten konnte.
Wenn man nun aber aufhört, sich auf den Feind zu fixieren, und stattdessen die Frage "Wie wollen wir leben?" stellt, dann werden diese unsinnigen Gräben, wie sie gerade zwischen Schwarzer und den jungen "Alphamädchen" ausgehoben werden, hinfällig. Dann lässt sich die Frage nach einem positiven Lebensentwurf ins Zentrum des Nachdenkens stellen.
Jene Autorinnen, die Alice Schwarzer der "Verluderung des Feminismus" bezichtigt, haben kein Interesse daran, Männer unter Generalverdacht zu stellen. Ja und? Umgekehrt ist es allzu einfach, Schwarzer einmal mehr als lustfeindliche Emanze zu brandmarken. Was bitte ist an dieser Debatte interessant? Der blinde Fleck der "Alphamädchen" liegt in ihrem bestenfalls naiven Anspruch, Elite sein zu wollen. Er liegt in ihrem Mangel an Interesse, einen Begriff von Gesellschaft zu entwickeln, mithin über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Spaß haben kann man ja mit vielen Menschen unterschiedlichsten Geschlechts. Nur erklärt sich über diese Praxis des fröhlichen Miteinanders nicht, warum Frauen nach wie vor an die berühmte "gläserne Decke" stoßen, wenn sie im Berufsleben weiterkommen möchten.
Von 68 lernen heißt, zu begreifen - Klaus Theweleit hat unlängst darauf hingewiesen, wie eine Generation obsessiv nach einer neuen Sprache gesucht hat, um sich selbst neu zu erfinden. Es gelte, Politik ohne Feind zu machen. Das bedeutet: Der Blick heftet sich nicht mehr an den Gegner und macht ihn nicht mehr zum Maßstab aller Dinge. Erst dann, endlich, kann sich die Diskussion wieder um Sachfragen kümmern. Erst dann können Wege erkundet werden, um die Geschlechterdemokratisierung zu befördern, damit die Kategorie Geschlecht künftig nicht mehr den gesellschaftlichen Platz zuweist. Und um nichts anderes geht es doch.
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