piwik no script img

Debatte Afghanistan-EinsatzFreiheit ist kein Ziel mehr

Kommentar von Christian Semler

Deutsche Politiker wollen nicht mehr für Menschenrechte, sondern nur noch für westliche Interessen kämpfen lassen. Eine Bilanz.

Liest man die Begründungen für den fortdauernden Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, so ist ein Argument wie vom Erdboden verschluckt: Deutsche Soldaten sind unerlässlich für die Durchsetzung der Menschenrechte. Das jetzt die deutsche Diskussion beherrschende Kriegsziel, die Herstellung von Stabilität in der Region, ist von dem ursprünglichen Postulat abgekoppelt, mittels der militärischen Besatzung für demokratische Verhältnisse und für die Rechte und Freiheiten der Afghanen einzutreten.

Der beschwörende Ton, mit dem sich Menschenrechtsgruppen an die Londoner Afghanistan-Konferenz im Januar dieses Jahres wandten, um bei einem möglichen Kompromiss mit den Taliban die Menschenrechte einzuklagen, zeigt an, wie sehr sich der Wind bei den Staatsleuten, den ehemaligen Champions der Menschenrechte, gedreht hat. Wie ist es zu dieser Wende gekommen, und wie sollen diejenigen, die der Intervention in Afghanistan kritisch gegenüberstehen, auf sie reagieren?

Christian Semler

ist seit 1989 bei der taz. An dieser Stelle schrieb er zuletzt über die Darstellung des Mauerfalls als "heitere Revolution".

Die menschenrechtliche Begründung kriegerischer Unternehmungen seitens der USA und ihrer Verbündeten hatte sich im letzten Jahrzehnt als geschicktes, allerdings auch als riskantes Manöver erwiesen. Geschickt, weil die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, als die Amis die Guten waren und für universelle Werte eintraten, mobilisiert werden konnten. Riskant, weil der Rechtfertigungsdruck, tatsächlich durch den Krieg den Menschenrechten zum Sieg zu verhelfen, in der Öffentlichkeit besonders hoch war. Um demokratischen Gesellschaften Kriege schmackhaft zu machen, bedarf es außerordentlicher legitimatorischer Anstrengungen. Und die Intervention muss schnell gehen und nur geringe eigene Opfer fordern.

Die gesamte Besatzungspolitik der USA und ihrer Verbündeten seit 2002 folgte einer menschenrechtlichen, universalistischen Rhetorik. Nach ihr ging es in Afghanistan darum, den Grundfreiheiten der Afghanen Raum zu schaffen und für menschenwürdige Lebensbedingungen Sorge zu tragen. Das Petersberger Abkommen von 2002 folgte genau dieser Logik.

Auch der Einsatz deutscher Truppen im Norden Afghanistans zehrte zunächst stark von dem auf Aufbau, nicht auf Zerstörung zielenden menschenrechtlichen Impuls, sodass sich in der Öffentlichkeit eine Zeit lang das Trugbild von der Truppe als freundlichem Entwicklungshelfer festsetzen konnte. Als aber auch nach Jahren kein Ende des Krieges in Sicht war, die Taliban erstarkten und auch im einst friedlichen Norden Kämpfe entbrannten, wurde das Image von der menschenrechtlichen Mission brüchig. Zu dieser Verunsicherung der Öffentlichkeit trugen auch die Arbeiten investigativer Journalisten wie die Mark Thörners bei. Sie bewiesen, dass unter den Augen der Deutschen im Norden Afghanistans die herrschenden Kriegsherren sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig machten, ethnische Säuberungen an der paschtunischen Minderheit durchführten, den Schmuggel organisierten, Verwaltung und Justiz kontrollierten. Die Deutschen wurden jetzt als das erkennbar, was sie immer gewesen waren: eine Partei im Bürgerkrieg. Deutsche Soldaten sollten der deutschen öffentlichen Meinung nach ein unbeflecktes Banner hochhalten. Das Bombardement bei Kundus und der Tod von über 100 Zivilisten hat dieses St.-Georgs-Bild zerstört.

Jetzt wetteifern die deutschen Politiker darin, sich vom hohen Ton der Menschenrechte abzusetzen, allen voran der alerte Verteidigungsminister, der "selbstkritisch" meinte: "Wir haben Gründe nachgeschoben, um in schwierigen Momenten auch mal die Anerkennung unserer Bevölkerung zu bekommen." Wer von den deutschen Politikern redet jetzt noch von diesen "nachgeschobenen Gründen", also den Frauenrechten, der Meinungs- und Religionsfreiheit? Jetzt geht es um eine Verabredung mit den "vernünftigen" Taliban, die, wenn alle menschenrechtlichen Flausen beseitigt sind, vielleicht auch al-Qaida aus Afghanistan herauskomplimentieren werden.

Vereinzelt hört man noch Stimmen wie die von Tom Koenigs (Die Grünen), der für eine fortdauernde deutsche Truppenpräsenz mit dem Argument streitet: "Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Demokraten in Afghanistan." Als ob die Deutschen nicht alles getan hätten, um diese Verantwortung zu ignorieren. Sodass viele der afghanischen Demokraten, viele der Menschenrechtsaktivisten den Abzug ausländischer Streitkräfte als erste Bedingung für ihre Arbeit ansehen.

Indes wäre nichts falscher, als angesichts dieser trostlosen Bilanz den Schluss zu ziehen, der Rekurs auf die Verteidigung der Menschenrechte sei generell ein illusorisches Unternehmen. Seitdem die Linken ihre vormals kritische Haltung gegenüber der Idee der Menschenrechte überwunden haben, ist es ein Privileg der rechten Konservativen, eine menschenrechtsorientierte Politik im Namen des "Realismus" abzulehnen. Im Hinblick auf Afghanistan lautet das Argument, der Geschichte und Kultur dieses Landes seien beispielsweise Menschenrechte für Frauen völlig fremd. Deshalb sei es ein arrogantes wie vergebliches Unterfangen, dem Land Menschenrechtsstandards aufzuzwingen. Solche Argumente werden allerdings regelmäßig vorgebracht, ohne die Opfer zu hören.

Nicht die Verteidigung der Menschenrechte in Afghanistan ist lächerlich, sondern der Versuch, mithilfe der Menschenrechtsrhetorik militärische Unternehmungen zu rechtfertigen, die in Wahrheit der Macht- und Interessenpolitik geschuldet sind. Die Behauptung, sich militärisch für die Menschenrechte einzusetzen, macht sich deren wachsender Popularität zunutze. Aus den entlegensten Winkeln der Welt wird uns täglich das Unrecht vor Augen geführt und schärft das Bewusstsein für unsere globale Verantwortlichkeit. Der Wunsch nach Institutionalisierung des Menschenrechtsschutzes gewinnt an Bedeutung, die "Kultur der Straflosigkeit" wird zunehmend abgelehnt. Die Resonanz auf die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs ist hierfür positives Indiz. Gerade deshalb war der nur vorgebliche Eintritt für die Menschenrechte auch seitens der deutschen Regierung das größte denkbare Betrugsmanöver.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

8 Kommentare

 / 
  • K
    Klingelhella

    Hervorragend beschrieben, und sehr gut erkannt! Da menschenrechtliche Gründe zugegebenermaßen nur "nachgeschoben" waren, wird im Kommentar auch klar die Frage nach konkreter Macht- und Interessenpolitik gestellt. Mach genau da weiter, liebe taz! Es wird Zeit, einen unvernebelten Blick auf unser militärisches Engagement zu richten.

     

    Es ist traurig, dass erst im neunten Jahr des ISAF-Einsatzes die kritischen Kommentare langsam die bellizistischen ablösen; als letzeres werte ich genau dieses "Blut für Menschenrechte"-Geschwafel, was ich mir sogar persönlich von zig Grünen habe anhören müssen! Grauenhaft.

  • DP
    Daniel Preissler

    @ martin

    "Wir erinnern uns ja noch alle an Joschka Fischers Worte eines angeblich drohenden Holocaust, wenn man einen Krieg gegen Serbien ablehnt. Kriegsgegner wurden auf diese Weise in die Nähe von Faschisten gerückt."

     

    nein, in die Nähe von Faschisten hat Fischer die Kriegsgegner nicht gerückt. Und Recht hatte er wohl auch mit der ungefähren Formel: Eher wieder Krieg, als wieder Auschwitz. In diesem Sinne hätte ich mir auch ein NATO-Eingreifen im Sudan gewünscht - und wünsche es noch!

     

    Auch, wenn es zum 100.000sten Mal rhetorisch gefragt wird: wäre es besser gewesen, die Amis hätten damals...?

    Eigentlich Unsinn, fällt mir gerade ein, da ja Deutschland den USA den Krieg erklärt hat. Aber so vom Prinzip her...

    Grüße

  • M
    Mikael

    @ vic: es gab vor einigen Jahren ein entsprechendes sogen. Weißbuch zur Umstrukturierung der Bundeswehr (ich such's jetzt nicht).

    Darin wird der Weg weg von der Landesverteidigung hin zur Interventionsarmee, die die Rohstoffwege und die Ressourcenversorgung absichert, gezeichnet.

  • V
    vic

    Es geht auch für die deutsche Regierung um Ressourcensicherung in der Region. Das ist ein erklärtes Kriegsziel, nachzulesen in einem Paier des "Verteidigungs"ministerium.

    Ich habe es selbst gesehen, doch leider habe ich den Link nicht mehr. Aber ich fürchte es ist inzwischen ohnehin verschwunden.

    Es ging niemals um Menschenrechte oder individuelle Freiheit. Sie dachten, wenn sie ein paar Löcher bohren, Kinder hübsch anziehen, etc.pp, erreichen sie ihr wirkliches Ziel schneller.

    Früher waren´s Glasperlen, bevor die Bevölkerung umgebracht wurde, heute sind´s eben ein paar Bunnen und Schulen.

    Hat sich mal jemand die Mühe gemacht und die häufig wechselnden Gründe für diese Kriege verfolgt?

    In Afg:

    Rache für 9/11

    Vernichtung von Bin Laden

    Kampf gegen Al Quaida

    Kampf gegen Taliban

    Kampf gegen Opium

    Kampf gegen "den Terror" allgemein

    Dazwischen immer wieder mal

    Kampf FÜR Menschenrechte, gegen Unterdrückung von Frauen.

    Keine Gewähr auf Vollständigkeit

    In Irak:

    Sichere Erkenntnisse auf Massenvernichtungswaffen

    Vernichtung des Diktators Hussein zum Zweck der

    Befreiung des Volkes (Menschenrechte s.o.)

    Hier ging es um Öl,

    in Afg um den Transportweg in den Westen.

    Beide Staaten verbindet, dass die westliche Intervention Verwüstung hinterlassen hat die diese Staaten selbst niemals hinbekommen hätten.

  • M
    Martin

    Ein sehr guter Artikel, Herr Semler. Wir erinnern uns ja noch alle an Joschka Fischers Worte eines angeblich drohenden Holocaust, wenn man einen Krieg gegen Serbien ablehnt. Kriegsgegner wurden auf diese Weise in die Nähe von Faschisten gerückt. Und Afghanistan? Auch dort blieb es ein vorgeschobenes Argument, Menschen bombardieren zu müssen, um Menschenrechte durchzusetzen. Lebendig verbrannt, bekamen sie das 'Recht' des qualvollen Todes, dann auch noch schön mit T-Shirts gefeiert. Das alles als angebliche Hilfstruppen der 'demokratisch gewählten Regierung Afghanistans beim Wiederaufbau'. Eine Regierung, der man angeblich zur Hilfe eilt, über die es aber dann heißt, sie solle 'Schritt für Schritt' die Verantwortung für das Land übernehmen, also eine Marionette, durch und durch korrupt, im Drogen- und Menschenhandel sehr aktiv - darüber berichtete u.a. Herr Thörner - mit Warlords, die jeden problemlos foltern und umbringen lassen, der ihnen nicht paßt. Und die dann (die Warlords sind ja oft die Gouverneure) von den 'Schutztruppen' zu verteidigen sind. Was für eine Verblödung, eine solche Tätigkeit als 'Aufbauarbeit' für Menschenrechte zu definieren. Dass es leider immer noch Grüne gibt, die sich als Propagandisten für den weiteren Krieg engagieren, ist an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten.

  • W
    wirdjaauchzeit

    Na endlich werden unsere "hohen Herren" mal wach und schrauben ihre Aroganz runter. Was haben , will mal sagen, westliche Menschenrechte in islamischen Ländern zu suchen?Wie können wir wagen unsere Maßstäbe für allgemeingültig zu halten?

  • S
    Sonne

    Wer behauptet, daß der afghanischen Kultur Menschenrechte für Frauen fremd sind, weiß es entweder nicht besser oder er lügt einfach nur. Bitte im Internet unter der Seite der afgh. Frauenvereinigung RAWA nachschauen - Stichwort König Amanullah.

  • M
    Mikale

    Zitat:"Deutsche Politiker wollen nicht mehr für Menschenrechte, sondern nur noch für westliche Interessen kämpfen lassen".

    Oh, war das denn jemals anders????

    Die schönen Worte habe ich wohl gehört, jedoch fehlte mir stets der Glaube... Um den Inhalt der schönen westlichen Worte Wirklichkeit werden zu lassen, hätte es nicht eines Krieges bedurft, das wäre anders gegangen.