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Debatte 20 Jahre KinderrechteDas Recht auf Kinderarbeit

Kommentar von Iven Saadi

Seit 20 Jahren gibt es die UN-Kinderrechtskonvention, trotzdem gehen Millionen Kinder arbeiten. Kinderarbeit sollte darum legalisiert werden. Das würde die Position der Kinder stärken.

B is auf die USA und Somalia haben alle Länder die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, die heute vor 20 Jahren von der UN-Generalversammlung beschlossen wurde. Somit gilt fast weltweit: Kinder haben nicht nur das Recht auf Gleichbehandlung, sondern auch ein Mitspracherecht bei Fragen, die ihr Wohlergehen betreffen.

Vor einiger Zeit beriefen sich die Bewegungen arbeitender Kinder auf diese Kinderrechtskonvention, um ein Recht auf Arbeit einzufordern. Dahinter steht ihre Erfahrung, dass Arbeitsverbote viele Kinder nur in die Illegalität treiben und so ihren Arbeitgebern völlig ausliefern. Mit dieser Forderung stießen sie aber auf Unverständnis und breite Ablehnung.

Offenbar traut man Kindern ein sachverständiges Urteil in einer solchen Frage nicht zu, selbst wenn sie unmittelbar und millionenfach davon betroffen sind. Zum anderen heißt es, die Arbeit von Kindern würde das Lohnniveau der Erwachsenen immer weiter nach unten senken und diese dann womöglich sogar in die Arbeitslosigkeit drängen. Vertreten wird diese These vor allem von globalisierungskritischen und gewerkschaftsnahen AutorInnen. So schreibt die in der globalisierungskritischen Szene einflussreiche Ökonomin Susan George: "Kinderarbeit treibt Löhne nach unten und ersetzt Erwachsene. In Indien ist die Zahl arbeitender Kinder ungefähr dieselbe wie die Zahl arbeitsloser Erwachsener." Doch erstens ist diese Behauptung, weil eine Quellenangabe fehlt, nicht überprüfbar. Und zweitens ist mit der Beobachtung von zwei Trends noch keineswegs ein Kausalzusammenhang belegt - oder wer würde behaupten, der Klimawandel gehe auf Piraten zurück, nur weil in den letzten Jahren sowohl die Temperatur gestiegen ist als auch die Zahl der Überfälle auf Schiffe?

Iven Saadi

ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin und Bremen. Er ist Dozent an der FU Berlin, promoviert über die Bedeutung von Kindheit in den internationalen Beziehungen und engagiert sich im Verein ProNATs für die Rechte arbeitender Kinder (www.pronats.de).

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es inzwischen einige Studien, die komplexe Zusammenhänge zwischen der Arbeit von Kindern und Erwachsenen aufzeigen. In Pakistan etwa wächst die Zahl der arbeitenden Frauen und Mädchen parallel - wohl weil Mütter nur dann einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, wenn andere Personen auf ihre Kinder aufpassen. Das sind in der Regel Mädchen. Dagegen ergab eine Studie über die ägyptische Textilindustrie, dass hier Kinder und Frauen tatsächlich dieselbe Arbeit verrichten, Kinderarbeitsplätze also Frauenarbeitsplätze ersetzen.

Zugleich aber stellten die Autoren fest, dass bei Abnahme der von Kindern geleisteten Arbeit auch die Nachfrage der Unternehmen nach erwachsenen Männern sinkt. Solche Untersuchungen belegen, dass der Zusammenhang zwischen Erwachsenen- und Kinderarbeit nicht simpel ist, sondern sich in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich darstellt. Die Annahme, dass arbeitende Kinder auf jeden Fall Erwachsene verdrängen und ihre Löhne drücken, lässt sich jedenfalls nicht belegen.

Doch wie verhielte es sich, wenn der behauptete Zusammenhang bewiesen wäre? Wäre damit der von arbeitenden Kindern erhobenen Forderung nach einem Recht, zu arbeiten, die Grundlage entzogen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Denn strukturell erscheint die Debatte bekannt: Immer wieder haben männlich dominierte Gewerkschaften versucht, sich gegen die "weibliche Schmutzkonkurrenz" auf dem Arbeitsmarkt zu wehren.

Bis vor wenigen Jahrzehnten, insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, erhoben sie die Forderung nach allgemeinen oder speziellen Verboten der Frauenarbeit. Verbrämt wurde das stets mit Fürsorgeargumenten: Die Frauen müssten vor allen möglichen Gefahren geschützt werden, außerdem widerspräche Erwerbsarbeit der weiblichen Natur. Darüber hinaus sei zu befürchten, dass die weibliche Konkurrenz aufgrund ihrer niedrigeren Entlohnung Männer von ihren angestammten Jobs verdrängte und insgesamt eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Lohnabhängige verursachen würde, hieß es damals.

Auch wenn die Gleichberechtigung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin nicht durchgesetzt ist, würde sich heutzutage wohl kaum noch jemand trauen, Arbeitsverbote für Frauen zu fordern oder Frauen für schlechte Lohnentwicklung verantwortlich zu machen. Anders ist das bei Mädchen und Jungen, von denen mehrere hundert Millionen heute arbeiten gehen.

Auch wenn die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) vor ein paar Jahren eine deutliche Abnahme von Kinderarbeit festzustellen glaubte, spricht vieles für einen entgegengesetzten Trend. Manche Kinder wollen arbeiten; die meisten müssen arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und zur Existenzsicherung ihrer Familien beizutragen. Ein Recht, zu arbeiten, könnte ihnen helfen, sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen, und ihre Verhandlungsmacht gegenüber ausbeuterischen Arbeitgebern stärken, was im Sinne aller Lohnabhängigen wäre.

Den Kinderbewegungen geht es mit ihrer Forderung nicht um irgendeine, sondern um würdige Arbeit - und zwar für alle Menschen, unabhängig von ihrem Alter und ihrer Tätigkeit. Vielleicht könnte dieses Recht außerdem eine längst überfällige Anpassung der Bildungssysteme an die Bedürfnisse arbeitender Kinder vorantreiben. Dass dies nicht nur möglich, sondern ein für die Durchsetzung des Kinderrechts auf Bildung erfolgversprechender Weg ist, zeigt das Beispiel Peru. Hier wurden Schulzeiten und Curriculum in Anerkennung der Tatsache angepasst, dass viele Kinder arbeiten (müssen).

Heute können sich dort viel mehr Kinder ihren Wunsch nach Bildung - parallel zu ihrer Arbeit - erfüllen als früher. Nicht zuletzt würde ein kodifiziertes Recht auf Arbeit mehr Kindern eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen als bisher, es wäre ein Beitrag zu ihrer Emanzipation. Bisher müssen sie häufig heimlich schuften, und nicht selten werden sie von staatlichen Stellen verfolgt.

Sicher reicht das allein bei Weitem nicht aus, um Kindern ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu bedarf es weitaus umfassenderer gesellschaftlicher Änderungen. Aber es wäre immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

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10 Kommentare

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  • MS
    Marc Sch.

    @ Wilfried

    "...dann kannst Du mir vielleicht erklären, wie das funktionieren soll? Wie sollte denn ein Recht auf Schule die Ursachen dafür verändern, dass es vielen Menschen weltweit so schweinedreckig geht, dass sie für einen Hungerlohn arbeiten müssen?"

    Gerne.

    Es geht um Kinderarbeit (von allen Übeln der Welt rede ich nicht!) und in den Industriestaaten hat es genau so funktioniert: Schulpflicht bedeutete höhere Bildung, und höhere Bildung (speziell die für Mütter) bedeutet Weiterentwicklung im wirtschaftlichen und im kulturellen Bereich.

  • W
    wilfried

    Lieber Marc Sch.,

     

    dann kannst Du mir vielleicht erklären, wie das funktionieren soll? Wie sollte denn ein Recht auf Schule die Ursachen dafür verändern, dass es vielen Menschen weltweit so schweinedreckig geht, dass sie für einen Hungerlohn arbeiten müssen?

    Das ist doch alles Augenwischerei von NGOs wie der Welthungerhilfe. Meiner Meinung nach ist es denen wichtiger, mit platten und öffentlichkeitswirksamen Parolen an Spenden zu kommen, als arbeitenden Kindern wirlich zu helfen.

  • MS
    Marc Sch.

    @ Tubus

    Ins simple Raster Gutmensch/Schlaumensch lässt sich auch dieses Problem nicht pressen,

    ProNat´s e.V. sieht in den Überlegungen zur weltweiten Situation sehr viel genauer hin:

    "Ein nicht minder wichtiger Grund sind die grundverschiedenen Paradigmen von Kindheit, die aufeinanderstoßen. Die Kinder bestehen darauf, als arbeitende Kinder anerkannt zu werden. Dies widerspricht jedoch der gängigen (vor allem in den Industrienationen vorherrschenden) Vorstellung sowohl einer „beschützten Kindheit“, für deren Wohl die Erwachsenen zuständig sind, als auch die Vorstellung, dass Kindheit und Arbeit sich ausschließen. Von daher sind die Aktionen beider Seiten verschieden angelegt: die einen wollen Gleichberechtigung – die anderen Schutz. Hier einen Konsens zu entwickeln, wird Aufgabe künftiger Treffen sein."

    (Im übrigen ist der Konsens über das, was sich jeder der Debattanten unter "Kind" vorstellt, gar nicht gegeben. Wer bezeichnet hierzulande einen 17jährigen als Kind? Auch hier arbeiten viele 17jährige den ganzen Tag.)

    Dass sich die aktiven/aktivierten Kindergruppen mit der Forderung nach einem sehr geringen Maß an Bildung begnügen ("Lesen und Schreiben") ist klar - was soll neben der Arbeit auch noch groß möglich sein?

    Indische Nachbarn von uns behaupten ja, dass das Leben der Kinder in Deutschland mit all dem Schulstress durchaus schwieriger sein könnte als das Leben eines arbeitenden Kindes in Indien..... aber wollen wir die schulische Bildung in Deutschland deshalb auf Lesen und Schreiben verkürzen? Nein? Wir wollen das nicht?

     

    Dann sind wir wieder bei den Handys angelangt: Unsere Kinder unterhalten sich per Handy über ihre gymnasialen Hausaufgaben. Derweil arbeiten in anderen Gegenden der Erde Kinder für die Handyproduktion und werden von uns unterstützt, nebenher wenigstens das Lesen und Schreiben zu lernen.

     

    Unsere gut gebildeten Kinder werden ihnen in ein paar Jahrzehnten schon sagen, wo´s lang geht.

     

    Und vor Weihnachten ist das Thema auf jeden Fall anregend für die wohlwollende Spendenbereitschaft der Industrienationen.

  • MS
    Marc Sch.

    @ hein, so ist es:

    "In unserem gegenwärtigen System nehmen wir billigend in Kauf, dass Wirtschaftswachstum nur mit Ausbeutung von Natur und Menschen, eben auch mit billiger Kinderarbeit möglich ist."

    Wer Kinderarbeit (andernorts natürlich) billigend unterstützt, will lediglich unser komfortables System erhalten.

  • SC
    Stefanie Conrad

    Die Behauptung, dass Organisationen arbeitender Kinder auf ihr Recht auf Arbeit bestehen, ist fraglich. Die Afrikanische Bewegung von arbeitenden Kindern und Jugendlichen zum Beispiel, erkennt die Notwendigkeit zu arbeiten fuer Kinder an, fordert aber, dass Arbeitsbedingungen fair und nicht ausbeuterisch seien sollen. Sie fordert ebenso, dass Schul- und Bildungsmoeglichkeiten flexibler gestaltet werden, um den Beduerfnissen von Kindern, die arbeiten muessen, gerechter zu werden. Angesichts der Tatsache, dass ein Ende der Kinderarbeit in der nahen Zukunft illusorisch ist, muss ich die Diskussion um Kinderarbeit darum drehen, wie Kinder angemessen geschuetzt werden koennen und ihre Rechte nicht verletzt werden, waehrend sie einer Arbeit nachgehen.

  • T
    Tubus

    Das generelle Verbot von Kinderarbeit ist naiv und dumm. Kinderarbeit ist in der Regel Ausdruck von Armut der Eltern und der Kinder. Aber, wie so häufig, ist bei allen Gutmenschen gut gemeint das genaue Gegenteil von gut. Kinderarbeit sollte u.U. geduldet werden, wobei Auswüchse verhindert werden müssen. Noch wichtiger ist die Bekämpfung der Armut, auch wenn das Globalisierungskritiker zu verhindern suchen. Globalisierung war und ist das größte Armutbekämpfungsprogramm, auch wenn einige in unserer Wohlstandsgesellschaft die negativen Auswirkungen spüren, wenn sie mit den Ärmsten konkurrieren.

  • H
    hein

    @Sigrid Reh: Natürlich müssen Grundschüler mit, am besten mehreren Handys ausgestattet werden! Im Sinne unserer Wachstumsfetischisten müsste nach dem Wachstumsbeschleunigungsgesetzes ein Konsumpflichtgesetz eingeführt werden. In unserem gegenwärtigen System nehmen wir billigend in Kauf, dass Wirtschaftswachstum nur mit Ausbeutung von Natur und Menschen, eben auch mit billiger Kinderarbeit möglich ist.

  • SR
    Sigrid Reh

    Im Kongo wird von Kindern unter gefährlichen Arbeitsbedingungen Coltanerz abgebaut, dass zur Tantalgewinnung dient. Tantal wird für z.B. für die Herstellung von Handys benötigt. Müssen hier schon Grundschüler mit Handys ausgestattet werden, um in der Pause mit Mutti zu quatschen?

  • MS
    Marc Sch.

    Die Kinder sollen Arbeit und Schule unter einen Hut bringen?

    Was für ein Ziel!

     

    Die Einführung der Schulpflicht/des Rechtes auf Schule sollte doch die Kinderarbeit verhindern!

  • H
    hto

    Wenn man bedenkt, daß hierzulande ernsthaft über den Egotrip eines "bedingungslosen Grundeinkommens" diskutiert wird, damit die wohlstandsmäßige Bewußtseinsbetäubung auch weiterhin ... - tja, die leichtfertige Kapitulation vor der UNMenschlichkeit des "freiheitlichen" Wettbewerbs um "Arbeit macht frei" kennt weder Skrupel noch Gewissen oder sonstwas, was zu wahrhaftiger Menschlichkeit führen würde, auf der Basis eines bedingungslosen MENSCHENRECHTS auf Nahrung, Wohnen und Gesundheit, mit allen daraus MENSCHENWÜRDIG resultierenden Konsequenzen / Möglichkeiten!?