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■ DaumenkinoTieta do Brasil

Eintritt im roten Sportcoupé, mit blonder Perücke und rabenschwarzer Sonnenbrille. Tieta, einst als Siebzehnjährige mit Schimpf und Schande aus dem heimatlichen Städtchen Agreste verstoßen, is back in town. Breit erzählt, mit vielen pittoresken Details, schildert Carlos Diegues den als Triumphzug begonnenen, aber als Expedition in ein Schlangennest endenden Passionsgang seiner Heldin.

Da sitzen sie, die neidische Schwester, der willensschwache Vater, und blasen Trübsal, als sei gerade der Karneval in Rio abgesagt worden. Pläne werden geschmiedet, wie man ans Geld der inzwischen Begüterten kommen könnte.

Die naheliegende Frage, womit die als gemachte Frau auftretende Tieta wohl ihren Lebensunterhalt in São Paulo verdient, werden mit einer Extraportion geheuchelter Diskretion umgangen. Denn bei all den Schecks, die die Familienbande bereits verbraten hat, fragt man nicht lange nach dem Woher.

Der Autor Jorge Amado, der die literarische Vorlage gleichen Titels (im Original: „Tieta do Agreste“) verfaßte, tritt gleich zu Anfang selbst auf. Mit einer verlesenen Warnung an das Publikum, nicht allzuviel moralischen Bombast von der Geschichte zu erwarten. Das ist freundlich, aber doch eigentlich unnötig.

Denn letztlich hört die umsichtig entwickelte Verfilmung auf ein einfaches Motto: Verlorene Tochter sucht Zuhause, sucht Rache, sucht aber eigentlich doch nur Liebe.

Sonja Braga spielt diese Paraderolle, erinnert sich in altertümelnd in Braun getönten Szenen, wie sie beim Rummachen mit einem Fischer erwischt wurde, damals die Ziegen ihres Vaters hütete und an all die anderen malerischen Kleinigkeiten, die da unter „Kindheit“ firmieren.

Vor allem aber versprüht sie, was man früher vielleicht „eruptive Sinnlichkeit“ genannt hätte. Indes, es ist beinharter Sex-Appeal. Braga, die im wirklichen Leben mit Robert Redford verbunden war, kehrte eigens für die Dreharbeiten nach zwölf Jahren „kulturellem Exil“ in den USA nach Brasilien zurück, die Filmrechte für „Tieta“ im Gepäck.

Die Endvierzigerin tritt hier auf als Katalysatorin mit amoralischem Sendungsbewußtsein, untermalt von zärtlichen Weisen nach Art des Landes. Je länger der Besuch in der Provinz dauert, desto tiefer werden die Dékolletés. Und als die Sause aus ist, verbucht die weise Tieta sogar einen klitzekleinen Sieg über die Doppelmoral. Gudrun Holz

„Tieta do Brasil“ (Originaltitel: „Tieta do Agreste“). Regie: Carlos Diegues. Drehbuch: Ribeiro Calmon. Musik: Cateano Veloso. Kamera: Edgar Moura. Mit Sonja Braga, Marilia Pera, Chico Anysio, Claudia Abreu, Zeze Mota, Calon Diaz. Brasilien, 1996, 115 Minuten

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