■ Daumenkino: Junk Mail
Der Postbote Roy (Robert Skjæstad), der – wie der deutsche Verleihtitel, tüchtig auf die Kinogeschichte verweisend, sagt – nicht klingelt, ist ein unscheinbarer, schlecht aussehender Kerl in vergammelten, dreckigen Klamotten. Falls er die Post, die er austrägt, nicht sowieso wegwirft, liest er sie erst einmal selbst.
Es verwundert also nicht, daß er den Schlüssel, den die junge Frau von der Reinigung (Andrine Sæther) an ihrem Briefkasten vergessen hat, einsteckt und duplizieren läßt. Zuvor schaut er sich aber noch in ihrer Wohnung um und hört auf dem Anrufbeantworter, wie ein gewisser Georg sie sucht und davon spricht, daß sie „das“ ja „zusammen durchgezogen“ hätten.
Immerhin weiß Roy jetzt, daß sie Line heißt. Was er allerdings nicht weiß, ist, in welchen Schlamassel ihn seine Neugierde auf Line noch bringen wird. Und was die ZuschauerInnen zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ist, wie sehr ihnen dieser mißmutige Tropf noch ans Herz wachsen wird. Samt seinen tumben Kollegen und seinen schrecklichen Zufallsbekanntschaften. Denn wie Roy, diese personifizierte Depression, dieser für die (völlig unabsichtliche) Verteidigung seiner Posttasche mit einer goldplatinierten Armbanduhr geehrte Superpostbote, in den dümmsten – hin und wieder sogar in den richtigen – Situationen eine wahrhaft erstaunliche Tatkraft entwickelt, das ist eine kleine Sensation, die Robert Skjæstads absolut hinreißendem Schauspiel zu verdanken ist.
Klugerweise bleibt Pål Sletaune dicht an seinem Antihelden dran. Er gruppiert ihm neben der fragilen, modernen jungen Frau noch ein paar skurrile Typen bei, steuert die surreale Geschichte in Richtung Thriller – und so ist man längst entwaffnet, wenn Roy mit der riesigen, etwas abgewirtschafteten Wikingerfrau (Eli Anne Linnestad) Lines Wohnung betritt. Da läßt sich nichts mehr von wegen alten Frauen in schlechten Filmen maulen, da geht jeder der vielen Preise (zum Beispiel der International Critics Week Prize in Cannes), den die rabenschwarze Komödie und ihre große Nebendarstellerin gewannen, in Ordnung. Brigitte Werneburg
„Wenn der Postmann gar nicht klingelt“. Regie: Pål Sletaune. Mit Robert Skjæstad, Andrine Sæther, Eli Anne Linnestad, Norwegen 1997, 81 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen