Press-Schlag: Daum und Daumendruck
■ Peinlich, aber nötig: der Wunsch, daß Leverkusen deutscher Meister werde
Deprimierend, wie tief ein Mensch sinken kann. Aber ich gebe es zu: Seitdem Borussia Dortmund in dieser Saison nach menschlichem Ermessen nicht mehr deutscher Fußballmeister werden kann und auch der VfB Stuttgart diesbezüglich chancenlos ist, halte ich zu Bayer 04 Leverkusen. Und schlimmer noch: Ich drücke Christoph Daum die Daumen.
Sagen Sie jetzt bitte nichts: Ich weiß selbst, wie peinlich das ist. Ich schäme mich auch ein bißchen dafür. Aber das große ästhetische Opfer ist unvermeidlich. Denn für alle Zeit gilt die Regel: Alles ist besser, als daß Bayern München Meister wird. Alles – sogar Christoph Daum. So gewöhnungsbedürftig das klingt, wenn man sich Christoph Daum vor Augen führt, so ist es doch der kleinste gemeinsame Nenner und die Ultima ratio aller, die sich noch nicht vollends von der Idee einer menschenwürdigen Ordnung der Welt verabschiedet haben.
Denn den Bayern den Sieg zu wünschen ist ähnlich abscheulich, als bräche man angesichts eines verhungernden Menschen in Jubel aus. Bayern München ist das dreckige Lachen der Reichen über anderer Leute Armut und Elend; wie kein anderer Fußballclub in Deutschland repräsentiert Bayern München mitsamt seinem Personal den Triumph der Hundsgemeinheit. So fies und niederschmetternd es ist, daß mit Reichtum gepaarte Dummdreistigkeit für gewöhnlich die Oberhand behält, so ist es doch ein Unterschied, ob man sich dagegen auflehnt und es nur zähneknirschend erduldet, oder ob man es gutheißt und unterstützt. Kapitalismus allein ist schon ekelhaft genug – Kapitalismus mit frechem Grinsen ist unerträglich und entfacht das gerechte Verlangen, Leuten, die sich als sogenannte Siegertypen abfeiern und abfeiern lassen, Bescheidenheit einzutränken. (Und wenn diese Bescheidenheit nur geheuchelt wäre: Eine Welt, in der Uli Hoeneß, Lothar Matthäus, Mario Basler und vor allem Franz Beckenbauer etwas kleinere Brötchen büken, wäre eine erträgliche Welt.)
Wie aber lehrt man die Leute von Bayern München Mores? Indem man ihnen gut zuredet und alles vernünftig erklärt? Ach was – die Kerle finden sich klasse, wenn ihnen 64 Zähne im Munde blitzen. Das einzige, was sie verstehen, ist die Sprache der Demütigung. Wenn sie nicht mehr gewinnen, schlagen sich die Millionäre gegenseitig die Köpfe ein, und irgendwann implodieren sie dann, „mental“, wie sie sagen würden. Und nehmen die große, strunzdumme Klappe vielleicht einmal nicht ganz so voll.
Und was könnte demütigender sein, als von Christoph Daum besiegt zu werden? Von dieser derangierten Gestalt mit dem irrlichternden, paternosternden Blick? Was wäre zerquetschender, als von diesem würdelosen Mann aus dem Feld geschlagen zu werden und anschließend auch noch sein abstoßendes Freudengetaumel mitansehen zu müssen?
Und deshalb drücke ich Christoph Daum die Daumen. Obwohl mir klar ist, daß das eigentlich peinlich ist. Wiglaf Droste
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