Datenschutz-Debatte: Die Transparenz der Anderen

Transparent sollen immer nur die Anderen sein. Ob bei Street View oder der Piratenpartei: Viele Netzaktivisten fordern Offenheit und Datenschutz zugleich – ein Widerspruch.

Verpixelte Gesichter – muss soviel Datenschutz wirklich sein, fragt Michael Seemann. Bild: Freiheit statt Angst 2008 - Lizenz: CC-BY-SA

Die netzpolitische Szene hat ein Problem. Datenschutz und Transparenz waren schon immer ihr Anliegen - Themen, für die sie auch am Samstag auf der "Freiheit statt Angst"-Demonstration in Berlin eintreten wird. Doch gerade jetzt, wo diese Themen dank Wikileaks und Google Street View auch in der gesamtgesellschaftlichen Debatte ankommen, wird klar, wie widersprüchlich diese Forderungen sind. Und schon immer waren.

Denn einerseits ist der Computer ein mächtiges Werkzeug der Partizipation und Meinungsfreiheit des Privatmenschen. Und andererseits ist da die Angst vor dem Missbrauchspotential des Computers in den Händen des Staates als Kontrollinstrument für den Einzelnen. Die Sicht auf die Verarbeitung von Daten ist seit langem zwiegespalten: Wo sie der Zivilgesellschaft Vorteile verschafft, wird sie bejubelt und eingefordert. Wo sie von den staatlichen - und neuerdings privatwirtschaftlichen - Stellen genutzt wird, wird sie verdammt und soll eingeschränkt werden.

Als der Berliner Polizeichef im Vorfeld der "Freiheit statt Angst"-Demo ankündigte, dass Polizisten dort Videoaufnahmen machen werden, obwohl ein Gericht das anlasslose Filmen verboten hat, war das Geschrei auf Seiten der Datenschützer groß. Andererseits wurden die Demoteilnehmer vom Chaos Computer Club aufgerufen, ihre Kameras mitzubringen, um eventuelle Polizeiübergriffe dokumentieren zu können - wie im vergangenen Jahr geschehen. Natürlich solle man im Fall des Falles die Gesichter der Demonstranten verpixeln, bevor man das Material online stellt - nicht aber die der Polizisten. Transparenz für die einen, Datenschutz für die anderen.

Bei der Piratenpartei stritt man unlängst über ein neues internetgestütztes Demokratiewerkzeug namens "Liquid Feedback", das für die Bundespartei eingeführt werden sollte. Es ermöglicht jedem Parteimitglied einerseits bei der Meinungsbildung vollumfänglich repräsentiert zu sein, aber gleichzeitig Entscheidungen in Themengebieten, die nicht im eigenen Interessenfokus liegen, völlig frei an irgendeinen Parteifreund seines Vertrauens zu delegieren. Die Software soll auch die sonst übliche "Hinterzimmerpolitik" für alle nachvollziehbar machen und geht damit einen weiten Schritt in Richtung einer der Hauptforderung der Piraten: nach einer transparenten Politik. Und sie verstößt gleichzeitig gegen eine andere Hauptforderung der Piraten: den Datenschutz.

Um beiden Anforderungen gerecht zu werden, diskutierte man darüber, eine klare Grenze einzuführen: die zwischen Mandatsträger, also "echtem Politiker" (soll transparent sein) und einfachem Parteimitglied (soll vollen Datenschutz genießen). Also ebenjene Grenze, die man mit Liquid Feedback doch eigentlich auflösen wollte.

Auch im Zuge der Debatte um Google Street View kam die Idee auf, Konzerne und Unternehmen gesetzlich einen Sonderstatus zu verpassen, was die Nutzung des öffentlichen Raums angeht. Um den normalen Menschen die Panoramafreiheit zu erhalten und gleichzeitig den Konzernen zu verbieten, die Häuser zu fotografieren, wären manche bereit, die "Straßenneutralität" zu beenden. Grenzen, Sonderregelungen und Diskriminierung als die neuen Wegmarken zur Freiheit?

Denn transparent soll immer nur der andere sein. Der Staat, nicht der Bürger, der Geschäftsmensch nicht der Privatmensch, der Profi, nicht der Amateur. Und gleichzeitig verschwinden genau diese Grenzen, soll Politik mehr von Bürgern gemacht werden, machen Amateure den Profis Konkurrenz. Schunkeln sie jetzt, aber bitte nur jeder zweite.

Es wird Zeit, dass sich die Netzszene offen mit ihren inneren Widersprüchen auseinandersetzt. Dass sie einsieht, dass Transparenz keine Einbahnstraße sein kann. Dass sie bei ihrem Differenzierungswahn bedenkt, dass man im Zweifel einem anderen ein anderer ist, auf dessen Transparenz dieser ebenso ein Interesse haben kann. Wikileaks mag derzeit Rechtsradikalen und Regierungen die Hosen ausziehen, aber sein Prinzip wird uns alle treffen. Wir haben es verpasst, den Kontrollverlust mit einer positiven Zukunftsvision zu flankieren, die eingesteht, dass auch wir mit der neuen Situation umgehen müssen. Es gibt noch viel zu diskutieren.

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