: Dat kannste vergessen
Ente Lippens, einst Bundesliga-Unikum, watschelte für die taz durch die Oberhausener Ausstellung des DFB und räsoniert über deutsche Untugenden, den Spaßfaktor, Trainerstab und die EM-Favoriten
von WILLI LIPPENS
Wenn ich das hier so seh: Ich glaub, früher hatten die Menschen noch mehr Spaß beim Fußball. So wie hier die Japaner mit ihrem Kemari. Guck mal: Die Pille immer nur hochhalten, so jonglieren – dat wär auch ne Übung für mich gewesen. Und hier die alten Knollen; ich hab in den Fuffzigern auch noch mit solchen Dingern gespielt, im Regen schwer wie Steine, mit Naht und Schleife. Wenn du den geköppt hast, hatteste nen Abdruck von der Naht auf der Stirn.
Der deutsche Fußball hat bei der EM eine große Chance, was fürs Image zu tun. Sicher haben die Holländer die besten Fußballer. Aber die Mentalitätsfrage ist, ob sie im Turnier zum Team zusammenwachsen. In Holland fehlt dieses ausgeprägte Nationalgefühl. Außer bei diesen Ersatzkriegen gegen Deutschland. Niederlagen sind da nicht wie eine Katastrophe, eher wie ein normaler Verkehrsunfall. Vereinsmannschaften sind in Holland immer wichtiger gewesen, wie Ajax zu meiner Zeit.
Deutsche Mentalität ist so viel zu jammern, das übertriebene Trauern, dieses ganze Gewicht. Als entschiede der Fußball das Leben. Alles so engstirnig, so wenig Freude aufm Platz. Für übertriebenen Jubel gibt es heute die gelbe Karte. Und manchmal sogar Platzverweis. Also so ein Käse, Jubelverbot! Außerdem ist die Übersättigung mittlerweile so groß, dass man einen viereckigen Kopp kriegen würde, wenn man alles guckt. Ich werd auch die EM erst mal nur sporadisch sehen, zwischendurch gehe ich auch mal raus auf unsern Hof. Bei Ballgeschiebe bleibe ich nicht sitzen, ich nich.
Hier auf den Bildern sieht man die Weltmeister von 54, wie sie alle so einen Goggo-Motorroller geschenkt bekamen. Den Boss, also den Helmut Rahn, siehste hier nich. Der hat sein Roller gleich versilbert, noch in München. So verrückte Typen braucht der Fußball doch, auch heute: Ich hätte zur EM zum Beispiel den Mario Basler mitgenommen, als Joker. Wenn mal nix läuft. Dann kannste dem doch sagen: Geh rein und mach, watte wills. Und wenn nachher alle sagen, der ist bekloppt: Iss doch egal! Scheiß auf die Taktik, aber vielleicht bringen so verrückte Sachen ja das entscheidende Tor. So wie beim Rahn 1954. Wenn der erzählt, wie er vorm Finale zum Chef Herberger gesagt hat: „Also Schiief, ich schieß die Ungarn alleine ab.“ Und nach dem 3:2 ist er zur Seitenlinie gerannt: „Und, Schiiief, wie war dat? Soll ich noch einen machen, Schiief?“ So war das damals.
Alles wird heute so verbissen gesehen, auch beim DFB. Wer etwas extravagant ist, ist nicht gelitten. Immerhin: Häßler für Neuville dabei, das ist schon mal gut. Vieles ist so weich geworden heute. Da sagt der Spieler nach sechzig Minuten: Trainer auswechseln, ich glaube, mein Muskel macht zu. Was haben wir uns früher geärgert, wenn wir ausgewechselt wurden! Das zeigte doch allen im Stadion: Der war schlecht. Selbst der Kahn musste neulich mal geschont werden, er brauche das mental, hat er gesagt. Wunderbare Sprüche: Ich muss mich mal mental schonen! Ich würd mich besser verkaufen heute als die. Mit meiner Volksnähe, nicht mit dieser gespielten Kacke heute; diese Bauchrutschen nach dem Spiel und das gemeinsame Armgeschwenke.
Wenn ich ne Ecke geschossen hab, dann hab ich dem Kerl, der da seit Jahren an der gleichen Stelle in der Kurve stand, mal die Hand gegeben oder von einem anderen die Mütze und hab damit aufm Kopf die Ecke getreten. Heute gäb es dafür gleich die gelbe Karte, wegen unsportlicher Bekleidung oder so.
Hier aufm Video: Ha, der Lothar Matthäus, wie er gerade den legendären Elfmeter im Pokalfinale 1984 vergeigt. Jaja, Matthäus. Was der da jetzt monatelang in den USA veranstaltet hat, war auch wieder so typisch: jammert nur über das schlechte Niveau. Heulsuse. Diese Drohungen: erst nicht hinwollen, dann wieder abhauen wollen möglichst schnell. Er hat sich doch für USA entschieden, dann soll er das doch als Chance begreifen. Ich habe am Karriereende meine neun Monate drüben in Dallas als Willi the Duck auch genossen. So viel erlebt und gelernt.
Der Lothar macht nur Theater und jedes Image kaputt. Seins und das des deutschen Fußballs. Mein Sohn Martin hat in New Port Beach bei Los Angeles ein German Soccer Camp für Kinder. Der hört doch jetzt schon: „German? Soccer? So wie dieser Matthäus?“
Ja, der Horst Hrubesch, mit dem hab ich später gespielt bei Rot-Weiß Essen. Was der jetzt machen soll als neuer Trainer? Na, Händchenhalten vielleicht. Wat Nettes erzählen. Viel zu machen gibtet doch nich. Wenn beim Spieler die Bereitschaft da ist, kann man motivieren, Selbstvertrauen vermitteln. Das ist sein Job.
Den Erich Ribbeck hab ich auch erlebt in Essen. Das war seine erste Trainerstelle, Anfang der Siebzigerjahre. War kein schlechter Trainer. Sehr jung damals, sehr autoritär. Und immer vorneweg bei den Waldläufen, deswegen hab ich ihn dabei selten erlebt. Hat sicher ne gute Ausbildung. Mein Landsmann Jan Wouters hat bei Bayern mal gesagt: In der Spielbesprechung ist Ribbeck der Einzige, der keine Ahnung von Taktik hat.
Ob das so ist, weiß ich nicht. Aber ganz nüchtern muss man sagen, der war zu lange aus dem Geschäft raus: zweieinhalb Jahre Frühpensionär auf Teneriffa. Ich würde mir das nicht anmaßen: Wenn ich mich nicht jahrelang um jede Einzelheit eines jeden Spielers kümmere und alle Interna kenne, dann kannse dat vergessen. Ich muss die ganze Szene so kennen, dass du mich nachts wecken kannst und ich dat Dingen auf der Stelle steuern kann. Wer das nicht kann, ist automatisch der falsche Mann. Und das Konzept, das Ribbeck vielleicht hat, kann er dann nicht mehr reinbringen. Aber gut, die Vorrunde wird Deutschland überstehen. So gut sind die anderen auch nicht.
Hier irgendwo bin ich auch, ich hab denen für ne kleine Ente-Ecke auch Sachen geschickt. All die alten Bilder, Autogrammkarten und da: Was steht da dran? „Aufklappbare Glückwunschkarte in Form einer Ente“ und „Geräusch erzeugende Plüschente von Willi Lippens“. Was die erzeugt? Na, die quakt!
Ich hab zwar den holländischen Pass, aber ich bin mehr Deutscher mittlerweile geworden. Vielleicht halte ich auch zu den Deutschen etwas mehr. Es gab mal ne Zeit, da hab ich den Holländern gar nichts gegönnt. 1974, weil ich nicht mitdurfte zur WM. Ich konnte zu der Zeit mit zuen Augen Tore machen. Wenn ich im Endspiel gespielt hätte, da hätt ich den Vogts hüpfen lassen undmeine Töpfe gemacht. Ich wär Weltmeister geworden. Das weiß ich genau.
Mein Karriereknackpunkt war 1972, ich sollte zu Ajax, 950.000 Mark, so viel wie für keinen Spieler bis dahin, wollten die an Rot-Weiß zahlen. Und dann hat das ganze Stadion gesungen, 35.000 Leute: „Willi, du darfst nicht ge-he-hen ...“ Da bin ich geblieben. So bekloppt war man damals. Ich jedenfalls.
Ob Deutschland Europameister wird? Eher Norwegen! Aber im Ernst: Unter die letzten vier kommen Holland, Deutschland, Spanien. An England, Italien glaub ich nicht, Portugal auch nicht; die können alles, aber schießen keine Tore. Frankreich auch nicht, eher Belgien. Und am Ende gewinnt – ich glaube doch Holland.
Aufgeschrieben von BERND MÜLLENDER
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