Das war die Woche in Berlin II: Das Öko-Schwein in meinem Bad
Wie der Klima-Gipfel in Paris sich im Alltag in Berlin bemerkbar macht.
Neulich hatte ich Besuch. Vom Klo kehrte eine der Besucherinnen mit spöttisch hochgezogenen Augenbrauen zurück. Ob in mir vielleicht „ein kleines Ökoschweinchen“ stecke, fragte sie und verwies tadelnd auf meinen neuen Wäschetrockner. Ich stotterte irgendwas von „so praktisch mit zwei kleinen Kindern“, „überall immer diese Wäscheständer“ und „Energieeffizienzklasse A+++“. Aber innerlich dachte ich: Verdammt, erwischt!
Natürlich war es eine taz-Kollegin, die mich für die Anschaffung des energiefressenden Großgebläses kritisierte. Und es war sozusagen mein professionelles Zeitungsgewissen, das sich daraufhin meldete (nicht nur, weil in Paris die Woche über das Klima gerettet werden soll). Dieses Gewissen regt sich manchmal, wenn ich doch lieber Kiwis aus Neuseeland, statt regionaler Äpfel in den Einkaufskorb packe. Oder die Kinder morgens mit dem Auto zur Schule und zum Kindergarten bringe, weil mit dem Fahrrad sonst die Zeit wieder nicht reicht. Oder schon wieder die Einkaufstasche vergessen habe und eine Plastiktüte brauche.
Dabei bin ich keineswegs eine besondere Ökosünderin. In unserem Freundeskreis sind wir als Familie mit nur einem benzinsparsamen Auto und weitgehendem Verzicht auf Flugreisen sogar eher vorbildlich. Freunde von uns haben gerade eben ihren zweiten Langstreckenflug in diesem Jahr gebucht und dann doch eins der ganz dicken Autos gekauft – damit alle Kinder Platz haben. Ein anderes Paar, das gerade Zwillinge bekommen hat, diskutiert noch über das richtige Modell. Aber dass sie sich eine große Familienkutsche anschaffen, steht außer Frage. Aus umweltschutzpolitischen Gründen den eigenen Lebensstil einzuschränken oder die Urlaubsziele zu modifizieren, das käme von meinen Freunden wirklich niemandem in den Sinn. Dabei sind das gut ausgebildete und keineswegs ignorante Leute.
Es ist schon komisch: Sogar Angela Merkel gibt die Klimakanzlerin, die Allianz kehrt der Braunkohle den Rücken, und in Berlin gibt es neuerdings städtischen Ökostrom. Das öffentliche Klima ist pro öko. Aber soll ich jetzt Freunde dafür kritisieren, wenn sie mir, vor ihrem gemütlichen neuen Kaminofen sitzend, von ihren Fernost-Reiseplänen erzählen? „Kleines Ökoschweinchen“ und so? Vielleicht mache ich das tatsächlich. Der Kollegin bin ich ja auch nicht böse – und schalte den Trockner seither weniger häufig ein als sonst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden