Das war die Woche in Berlin I: Ein Problem mit dem mal Müssen
Rot-Rot-Grün kümmert sich auch um Unisex-Toiletten in Behörden. Das ist keine große Sache und kostet wohl auch nicht viel. Warum also die künstliche Aufregung?
In New York sind sie seit dem 1. Januar Pflicht in sämtlichen öffentlichen Gebäuden, Bars und Restaurants: Unisextoiletten. Berlin ist noch nicht ganz so weit: Im Februar 2015 beschloss das Abgeordnetenhaus, eine Machbarkeitsstudie zu der Frage durchführen zu lassen, in welchen öffentlichen Gebäuden die Einrichtung solcher Toiletten möglich sei, ohne gegen die Arbeitsstättenverordnung zu verstoßen, die vorschreibt, dass die getrennte Nutzung von Toilettenräumen möglich sein muss.
Jetzt gibt es das Ergebnis: In allen zehn untersuchten Häusern sei „die Einrichtung von WCs für alle Geschlechter ohne Nutzungseinschränkung möglich“. Ende März soll es eine Kostenschätzung geben, die Studie selbst kostet das Land 5.000 Euro. Das Ergebnis der Studie wie auch den weiteren Zeitplan teilte die zuständige Verwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in einem Zwischenbericht kurz vor Weihnachten wie vorgeschrieben dem Abgeordnetenhaus mit.
In Berlin dauert ein Verwaltungsvorgang also verhältnismäßig lange – nichts neues. Bisher wurden dafür 5.000 Euro ausgegeben – ziemlich überschaubar. Am Ende dieses Verwaltungsvorgangs wird voraussichtlich stehen, dass einige Toiletten in einigen Gebäuden der Stadt mit einem anderen Schild versehen werden, um eine Gruppe von Menschen, die eine Minderheit, aber eben existent ist, besser vor Diskriminierung zu schützen. Auch kein Aufreger, sollte man meinen.
Aber weit gefehlt: Weil mehrere Medien am Mittwoch fälschlicherweise behaupteten, der Zwischenbericht sei die erste Drucksache gewesen, die die neue Justizverwaltung an das Abgeordnetenhaus geschickt habe, wird die Empörungsmaschine angeschmissen. Der Justizsenator habe die falsche Prioritätensetzung, er kümmere sich lieber um die Probleme von Minderheiten als die der Mehrheit. Die AfD empört sich über die „grundsätzliche Unsinnigkeit des Genderismus“, die Bild-Zeitung fragt scheinheilig, „ob man mal die Frauen gefragt habe“, und auch in seriöseren Medien wird das Thema von einem süffisanten Unterton begleitet: Gibt es denn keine wichtigeren Probleme?
Doch, die gibt es. Und wenn sich alle mal bitte kurz zurück lehnen würden, einmal tief durchatmen und den Blick ganz kurz auf die Fakten lenken, würden sie feststellen, dass auch niemand etwas anderes behauptet hat.
Oder es bleibt eben bei der Schnappatmung – die New Yorker können da vermutlich nur milde lächeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren