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Archiv-Artikel

„Das wäre Folter“

Zivildienstleistender, der pflegebedürftigen Mann verbrühte, zeigt vor Gericht keine Einsicht. Heimleitung: Hat nicht begriffen, was passiert ist

Von Elke Spanner

Der Traum von Rachid A., später als Krankenpfleger zu arbeiten, endete am 2. August 2003 morgens gegen 10 Uhr. Als ihm passierte, was nicht hätte passieren dürfen, und was er auch heute nicht begreifen, sondern nur leugnen kann: Rachid A., damals Zivildienstleistender in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, verbrühte einen pflegebedürftigen alten Mann beim Duschen schwer.

Dieser verstarb fünf Tage nach dem Vorfall, und Rachid A. hat großes Glück, dass der Tod nach Aussagen der Gerichtsmedizinerin nicht auf die Verbrühungen zurückzuführen ist. So muss A. sich nur wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen vor dem Altonaer Amtsgericht verantworten. Dieses eröffnete gestern den Prozess.

Die Fakten sind nicht zu leugnen. Rachid A. tut es trotzdem. Erst seit einem Monat war er in der Behindertenwohngruppe der Alsterdorfer Anstalten eingesetzt gewesen. Für die Hauswirtschaft eingeteilt, sollte er auch den Pflegern unter die Arme greifen. Der damals 20-Jährige arbeitete sehr gewissenhaft, bestätigte die Heimleitung vor Gericht. „Er war eher 150-prozentig“, so Teamleiterin Ilse K. „Uns allen war klar: Der wird mal Krankenpfleger, und er wird ein guter.“

Weil man ihm vertraute, hatte ein Kollege den Zivildienstleistenden mit dem schwer kranken Patienten allein gelassen. Der 74-Jährige war aus dem Bett gestürzt und am ganzen Körper mit Kot verschmiert, Rachid A. sollte ihn duschen. Er drehte den Wasserhahn auf – laut Anklage auf 63,3 Grad. Den Dienstanweisungen zuwider habe er anschließend versucht, den Mann allein ins Zimmer zurückzubringen, und ihn dabei zu Boden stürzen lassen.

Das Problem ist, dass Rachid A. das alles nicht wahrhaben will. Die Verbrühungen könnten nicht von ihm herrühren, darauf beharrte er den Fakten zum Trotz. Er habe den alten Mann nur lauwarm mit einem Schwamm abgerieben, nicht etwa einen heißen Strahl auf ihn gerichtet. „Das würde ich nie machen, das wäre eine Folterung.“ „Etwas rot“ sei die Haut geworden, weil er den Mann mit dem Schwamm abgerubbelt habe, um den Kot abzuwaschen.

„Er schien überhaupt nicht begriffen zu haben, was passiert ist“, sagte Teamleiterin Ilse K.: „Er war wie unter Schock.“ Sie ist überzeugt, dass der heute 22-Jährige „eher therapeutische Hilfe als Strafe“ braucht. Doch wie soll man jemandem helfen, hielt der Richter entgegen, „der negiert, was passiert?“

Nach der Misshandlung wurde der Zivildienstleistende an eine Tagesstätte für Obdachlose versetzt. Den Wunsch, Krankenpfleger zu werden, hat er aufgegeben: Rachid A. macht inzwischen eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann.