: Das vergeistigte Fast-Nichts
Neuausrichtung Krist Gruijthuijsen, frisch als Leiter der Berliner Kunst-Werke, Institute for Contemporary Art, installiert, will vom lokalen Mythos weg, hin zu einer international renommierten Ausstellungsinstitution
Seine Arbeit sei so präzise, dass sie verschwinde, meint Kurator Krist Gruijthuijsen mit Blick auf eine feine Bleistiftlinie, die einen exakten Kreis auf den frischen Putz einer weißen Wand zieht. „Circle on the Wall“ ist der lakonische Titel dieser Arbeit des in den USA lebenden Künstlers Ian Wilson. Wilson, Jahrgang 1940, ist ein Konzeptkünstler der ersten Stunde. Schon Lucy Lippard, die erstmals diese materiallose Form der Kunst in Theorie fasste, nahm Ian Wilson in ihren bahnbrechenden Essay zur Konzeptkunst „Six Years“ von 1973 auf.
Zum Auftakt als neuer Leiter der Kunst-Werke Berlin (KW) holt Krist Gruijthuijsen also das vergeistigte Fast-Nichts von Wilson für eine institutionelle Ausstellung wieder hervor. Dabei macht Gruijthuijsen das schwierig auszustellende Werk des Konzeptkünstlers zum Zentrum für eine ganze Reihe von Sequenzschauen.
Künstler und Performer, darunter Miet Warlop, CAConrad, Anthony McCall oder Paul Elliman, werden peu à peu seit Wiedereröffnung der KW am 19. Januar mit eigenen Arbeiten auf die radikale Kunst Wilsons reagieren und dabei langsam die Räumlichkeiten unter neuer künstlerischer Leitung bespielen.
Auch Wilsons letzte Skulptur von 1968 ist jetzt in den KW zu sehen: Ebenfalls ein exakter Kreis, mit Kreide auf den Boden gezogen. Nach „Circle on the Floor“ verschwindet das Material gänzlich aus seiner Kunst. „Es war interessanter, darüber zu sprechen, als es zu malen“, soll Wilson zum Kreide-Kreis später gesagt haben. „Denn das, was interessant war, ist, dass man über einen Kreis auch sprechen kann.“ Seitdem wurde die gesprochene Sprache Wilsons Form der künstlerischen Arbeit. In Diskussionen behandelt er bis heute Themen wie „Zeit“, „Wissen“ oder „Nicht-Wissen“. „The Pure Awareness of the Absolute/A Discussion“, steht im KW auf ein DIN-A4-Blatt gedruckt, unterzeichnet von Ian Wilson. Derartige Zertifikate sind die einzigen Dokumente, die von seiner Kunst zeugen.
Die Sprache, die Wilson schließlich zum Zentrum seiner Arbeit machte, ist die eigentliche Verbindung zwischen all den künstlerischen Positionen, die Gruijthuijsen in den kommenden Wochen zeigen wird. Um ungewohnte Formen der Sprache, um Dialoge zwischen Künsten, Künstlern und Kunstwerken wird sich das Programm bis Mai drehen. Und das ist auch als Angebot eines neuen Leiters der KW zu verstehen, mit der Stadt Berlin in Kommunikation zu treten.
Denn die Figur Gruijthuijsen bedeutet einen Bruch für die KW. Er fügt sich nicht in die Genealogie der bisherigen Chefkuratoren ein. Seitdem Klaus Biesenbach den Kunstraum vor 25 Jahren gründete, waren alle kuratorischen Leiter eng mit der Berliner Szene verzahnt. Und sie alle waren aus den Berliner neunziger Jahren erwachsen, deren experimentierfreudige freie Szene im mietgünstigen Nachwende-Berlin den Mythos für die heutige Kunststadt begründete. Gruijthuijsen ist jetzt in Berlin ein Beobachter von außen. Der 35-jährige Niederländer hat eine zackige Karriere außerhalb Deutschlands hinter sich: Zunächst Gründungsmitglied und Direktor des Amsterdamer Kunstvereins und dann künstlerischer Leiter des Grazer Kunstvereins. In den Kunst-Werken wird er als Chefkurator und Geschäftsführer eine Doppelposition bekleiden und mit einem deutlich höheren Etat arbeiten können als seine Vorgängerin Ellen Blumenstein. Die Richtung, die mit seiner Figur eingeschlagen wird, ist deutlich: Die Kunst-Werke sollen sich von ihrem Kontext ablösen und zu einer international renommierten Ausstellungsinstitution werden.
Der Umbruch, den seine Leitung bedeutet, zeigt sich schon in der Architektur des Kunsthauses: Die Architekten von Kuehn Malvezzi haben den Eingang auf den Seitenflügel verlegt und transparenter gestaltet, den alten Industriecharakter des Bauwerks – eine Woll- und Seidenwarenfabrik aus dem späten 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts – machten sie wieder sichtbar. „Dieses Gebäude als einen klassischen White Cube erscheinen zu lassen wäre ein Fake“, sagt Gruijthuijsen im Gespräch. Vor der Geschichte der KW scheut er sich nicht, vielmehr greift er sie nostalgielos auf.
Mit ihm kehrt ein anderer Typ Kurator in die Kunst-Werke ein. Einer, der vorsichtiger ist, womöglich weniger aneckt. Er, der selbst als bildender Künstler anfing, glaubt an die Sprechfähigkeit und Aktualität der einzelnen künstlerischen Position. Anders als seine Vorgängerin, die Themenausstellungen zu Waffengewalt oder Großstadtdschungeln kuratierte, will Gruijthuijsen keine Gruppenausstellungen und keinen thematischen Überbau für seine Kunst. Stattdessen sollen einzelne Künstler in Zukunft in den Vordergrund rücken.
Schon jetzt gibt Gruijthuijsen einer jungen Künstlerin viel Raum. Die Norwegerin Hanne Lippard ist die Erste, die den reduzierten Konzepten Wilsons im Eröffnungsprogramm Gruijthuijsens mit einer Soundinstallation entgegentritt. Über eine Wendeltreppe in der leeren Haupthalle der KW – eine formale Anspielung auf Wilsons letzte Kreis-Skulpturen – gelangt man in das alltagsmuffige Setting eines einfachen Dachaufbaus. Hier, in den niedrigen Raum mit rosafarbenem Teppichvlies und Blick in den Berliner Innenhof lässt Lippard ihre sonore Stimme in englischen Phrasen, Satzfragmenten und einzelnen Worten vom Band fallen. Zunächst scheinbar ohne semantische Funktion, spielt sie mit ihren Worten als seien sie Objekte, die sie nach Klang und Buchstaben aneinanderreiht. Dennoch entsteht ein Sinn und die formal zusammengefügten Sprachbausteine wandeln sich zu einem Gedankenstrom, der eine fragile Psychologie offenbart. „I do, I don’t, I did, I didn’t, I died.“ Bei Lippard spricht das Individuum, bei Wilson gibt es nur das absolute Konzept.
Bis 9. April Hanne Lippard; bis 14. Mai Ian Wilson, Kunst-Werke e.V., Berlin
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