: Das radikalste Getränk der Welt
Was vor der Nica-Dröhnung geschah: Mark Pendergrast hat eine Kulturgeschichte der Kaffeebohne geschrieben
Kaffee ist neben Alkohol und Tabak das wichtigste Genussmittel. Der weltweite Verbrauch wird auf 120.000 Tonnen pro Jahr geschätzt. Im Gegensatz zu Hochprozentigem und Nikotin kommt beim Koffein kaum jemand auf die Idee, nach einer Abhängigkeit zu fragen.
Wie stark Körper und Geist auf die legale Droge ansprechen, merkt man erst bei Verzicht. Der macht müde und verursacht Sehnsucht nach dem schwarzen flüssigen Stoff. Erst nach einigen Monaten legt sich die Gier, verschwindet selten ganz. Warum das so ist, erklärt der Amerikaner Mark Pendergrast in seinem jetzt auf Deutsch erschienenem Buch „Kaffee“.
Koffein, erstmals 1819 vom Berliner Friedlieb Runge isoliert, gehört zu den Alkaloiden – Stickstoffverbindungen, die Pflanzen zur Selbstverteidigung, etwa zum Schutz vor Fressfeinden, zumal in einem Klima ohne Winter, produzieren. Koffein ist also ein natürliches Schädlingsbekämpfungsmittel. Die menschliche Leber behandelt es folgerichtig wie ein Gift und versucht, den Stoff abzubauen. Genug Koffeinmoleküle passieren jedoch die Leber unbeschadet und docken am Gehirn an. Es ahmt den Neurotransmitter Adenosin nach, der die elektrische Aktivität im Gehirn reduziert, alles verlangsamt und uns ruhen lässt. Erreicht Koffein die Rezeptoren vor dem Adenosin, bleiben wir hellwach.
Für sein 500 Seiten starkes Buch hat Pendergrast drei Jahre lang recherchiert und auch als Kaffeepflücker gearbeitet. Trotz Überarbeitung für den europäischen Markt kommt die Kulturgeschichte der Kaffeebohne sehr USA-lastig daher. Was verzeihbar ist, gilt der dortige Markt doch als größter weltweit. Dafür bewahrte sich der Wirtschaftsjournalist seinen kritischen Blick auf politische wie ökonomische Entwicklungen und prangert offen die meist leider sehr unrühmliche Rolle seines Heimatlandes bei „Kaffee-Konflikten“ in Südamerika an.
Aber schon vorher war die Geschichte des Kaffees bunt. Erstmals im 10. Jahrhundert von einem arabischen Arzt schriftlich erwähnt, hat vermutlich irgendjemand im 16. Jahrhundert die Bohnen geröstet, gemahlen und einen Aufguss zubereitet – es entstand eine Art Kaffee, wie wir ihn kennen.
Im 17. Jahrhundert schmuggelte ein muslimischer Pilger verbotenerweise Samenkörner nach Indien. Kaffee breitete sich über ganz Asien aus, von dort brachten die seefahrenden Niederländer den Europäern die Bohne. Schon 1721 gab es in den meisten großen deutschen Städten Kaffeehäuser, obwohl Ärzte warnten, das Gesöff mache unfruchtbar und verursache Totgeburten. Nach Asien und der Karibik gelangten Kaffeepflanzen um 1750 auch nach Lateinamerika.
Inzwischen war das Getränk ein Stärkungsmittel für die Unterschichten und wichtiger Faktor bei der Ausnüchterung des alkoholgetränkten Europas und darüber hinaus ein sozialer wie geistiger Katalysator geworden. „Wo auch immer eingeführt, bedeutete Kaffee Revolution. Es war das radikalste Getränk der Welt, weil seine Funktion stets darin bestand, die Menschen zum Denken zu bewegen. Und wenn die Menschen anfingen zu denken, wurden sie den Tyrannen gefährlich.“
Anfang des 19. Jahrhunderts wuchs die Nachfrage enorm. Vor allem in Brasilien wurden immer neue Kaffeeplantagen in den Regenwald geschlagen, die Monokultur hielt Einzug. Fortan boomte das Geschäft, brach zusammen, boomte und immer so weiter. Vor allem Brasilien überschwemmte die Welt immer wieder mit seinem Kaffee, vernachlässigte jedoch andere Nahrungsmittel, die man importieren musste. Die schwere Pflückarbeit leisteten meist Frauen und Kindern zu geringsten Löhnen. In Guatemala förderte der Kaffeeanbau soziale Ungleichheiten und die praktische Versklavung der indigenen Völker. Landraub war auch in Mexiko und Nicaragua an der Tagesordnung. In El Salvador metzelte die Regierung vor 72 Jahren 30.000 Indianer hin, die gegen ihr Elend aufbegehrten.
Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, schrieb Mark Pendergrast seine Kulturgeschichte als Streitschrift wider den Globalisierungswahn und den Hang zur Monokultur-Landwirtschaft. Er fragt, warum auch fair gehandelter, biologisch oder vogelfreundlich angebauter Kaffee für uns Industriestaatler relativ billig zu kaufen ist und wer auch an diesem Produkt gut verdient. Der Kaffeepflücker auf alle Fälle nicht.
Vor allem in Lateinamerika liegt die „enge Verbindung von Kaffee, Macht und Gewalt“ nach wie vor auf der Hand. Kaffee war und ist unzertrennbar „mit einer Geschichte sozialer Ungerechtigkeit“ verbunden. Weltweit hängen derzeit 25 Millionen Menschen in über 70 Ländern von uns Kaffeetrinkern ab. Deshalb müssen immer neue Produktideen den Konsumenten bei Laune halten. War gerade Milchkaffee angesagt, ist jetzt Latte Macchiato in. ANDREAS HERGETH
Mark Pendergrast: „Kaffee – Wie eine Bohne die Welt veränderte“. Edition Temmen, Bremen 2002, 512 Seiten, 24,90 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen