Das offizielle China auf der Buchmesse: "Wir fühlen uns wie im globalen Dorf"
Im China-Pavillion tritt das Gastland der Buchmesse eher zurückhaltend auf. Die Kundschaft bei den chinesischen Verlagen ist gering - das steht im Kontrast zum Selbstverständnis der Chinesen.
Noch drei Schritte sind es bis zum großen China-Pavillon im Forum der Frankfurter Buchmesse. Da tritt ein untersetzter älterer Herr im dunkelblauen Anzug aus dem Saal. Typ: kommunistischer Kader. Der Reporter bittet um ein kurzes Gespräch, nur zwei Fragen. „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“, fragt der Mann zurück. Der Reporter schüttelt den Kopf. „Ich bin heilig“, sagt der Mann. „Gehen Sie weiter. Da drinnen sind alle unsere hohen Beamten.“ Er meint das ernst.
Die chinesischen Gäste scheinen innerlich aufgebracht. Wer von den chinesischen Gästen Deutschland besser kennt, glaubt sich auf der Messe einem Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik ausgesetzt. „Hier auf der Messe sind die Deutschen freundlich zu uns. Aber man muss nur einen Blick in Zeitungen oder Fernsehen werfen: Da wird China nur kritisiert!“, empört sich Jin Shengdao, Berater einer offiziellen Verlagsdelegation aus der chinesischen Boomprovinz Zhejiang bei Shanghai.
Jin hat früher als Privatunternehmer deutsche Publikationen nach China eingeführt, er spricht von alten Zeiten, als er Franz-Josef Strauß die Hand reichte, und sich Deutsche und Chinesen auf den Handel konzentrierten, statt politisch zu streiten. Er trauert dem offenbar hinterher. Aber er verkörpert auch den neuen, kämpferischen Gestus eines KP-Kaders. Er knöpft sein Jackett zu, macht eine Verbeugung, faltet die Hände, blickt zu Boden. „So kamen wir früher nach Deutschland. Das ist vorbei“, sagt Jin. Er öffnet sein Jacket und streckt die breite Brust eines Schwergewichtigen hinaus. „Heute sind wir stolz auf China!“, erklärt er.
Jins lauteres Naturell passt überhaupt nicht zur gesetzten Atmosphäre im China-Pavillon. Hier empfängt das offizielle China auf der Messe seine Gäste. Es gibt - als dekoratives Kunstwerk - eine große Bücherwand mit den chinesischen Urschriften. Am Rand steht die obligatorische Konfuzius-Statue, in der Mitte eine mit großen Holzlettern geschaffene Kunstlandschaft, die an das alte chinesische Druckhandwerk erinnert.
Das wirkt alles elegant, unpompös, fast minimalistisch – so präsentiert sich sonst Japan. Chinas Offizielle haben offensichtlich gedacht: Man will in Frankfurt kein auftrumpfendes, grelles China. Entsprechend gedämpft und leise ist die Athmosphäre. Allerdings ist auch der Besuscherandrang gering.
Vor der Landschaft aus Holzlettern steht einer der mächtigen Verleger Chinas: Zhang Zengshun, 55 Jahre, Leiter der Pekinger „Higher Education Press“, dem wichtigsten Lehrbuchverlag Chinas für sämtliche Studienfächer. Zhang spricht die Sprache der chinesischen Akademiker. Ihn störe die deutsche Kritik an China überhaupt nicht. Die Eröffnungsrede zur Buchmesse von Bundeskanzlerin Merkel hätte er als Dialogangebot empfunden. „Ihr habt uns eingeladen“, sagt Zhang.
Trotz Kritik sei der Westen offen und interessiert an China. Die Buchmesse sei für ihn weit mehr als ein Verlegertreffen, hier fühle er sich als Teil des „globalen Dorfes“, sagt Zhang. Er studiert auf der Messe die deutsche Diskussion über die Wirtschaftskrise. Sie könnte die chinesische Kapitalismusdebatte wesentlich beeinflussen, glaubt er – und vielleicht auch seine zukünftigen Uni-Lehrbücher.
In der Halle 6 der Messe, am Verlagsstand der berühmten Peking-Universität, will China umgekehrt Einfluß auf die westliche Diskussion nehmen. Verlagschef Yao Chenglong steht vor einem Regal mit den Werken der zeitgenössischen Vordenker seiner Uni. Darunter ist der chinesische Chefökonom der Weltbank, Justin Yifu Lin, für dessen jüngstes Werk über die chinesische Wirtschaft Yao den ABC-Verlag als deutschen Lizenzinteressenten gefunden hat, für Lins ältere Werke aber noch Abnehmer sucht.
Da steht ein vierbändiges Werk über die chinesische Kulturgeschichte, das auf Englisch im Verlag der Cambridge Universität erscheinen wird. Dafür hofft Yao nun auf einen deutschen Verlag. „Wir haben auch etwas über Freiheit und Demokratie“, sagt Yao und nimmt ein Werk des Soziologen Wang Hui in die Hand. Wang gilt als Verdenker der so genannten „Neuen Linken“ in China, einer Intellektuellenströmung, die wesentlich zur sozialen und umweltpolitischen Neurorientierung der KP in den letzten Jahren beigetragen hat. Dass seine Werke bislang nicht ins Deutsche übersetzt sind, zeigt, wie wenig der Pekinger Intellektuellendiskurs im Umfeld der KP hierzulande bislang rezipiert wird.
Noch weniger Kundschaft scheinen die anderen chinesischen Verlage zu haben. Sie haben viel Platz in der großen Halle 6, aber bei genauem Besehen doch wenig für deutsche Verlage zu bieten. Viele Verlagstände vertreten einfach eine von den 33 chinesischen Provinzen und stellen sich mit ihren Büchern für Touristen vor. Andere Verlage repräsentieren ihre Universitäten, aber haben nicht annähernd die Prominenz der Peking-Universität im Regal.
Insofern wäre eine deutsche Übersetzung des undogmatischen KP-Vordenkers Wang Hui vielleicht schon eine Belohnung für die offizielle chinesische Delegation auf der Buchmesse. Aber bei Verlagschef Yao nachgefragt hat am zweiten Messetag bislang noch niemand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!