■ Das neue Modell des französischen Unterwäscheherstellers HOM ist mehr als nur eine Unterhose: Das Kleidungsstück mit dem horizontalen Eingriff ist ein Angebot zur Demokratisierung der Formen.: Der Schlitz wird flachgelegt
Das neue Modell des französischen Unterwäscheherstellers HOM ist mehr als nur eine Unterhose:
Das Kleidungsstück mit dem horizontalen Eingriff ist ein Angebot zur Demokratisierung der Formen.
Der Schlitz wird flachgelegt
Vor 30 Jahren beanspruchte in deutschen Kaufhäusern die Verkaufsfläche für Männerunterwäsche kaum mehr als zehn Quadratmeter. Im Angebot befanden sich durchweg die Klassiker in Feinripp, unterschiedlich nur gering in der Qualität der Stoffe: auf jeden Fall Baumwolle, seltener aus Kunststoffasern. Wichtig war den – meist weiblichen – Kunden nur, daß die weißen Textilteile kochfest waren, um porentief auch die allerletzten Geruchserinnungen an seinen Träger herauswaschen zu können. Schmutz galt als peinlich, Geruch als lästig.
Während der Nachkriegsjahre galt es wie schon seit Anfang dieses Jahrhunderts nur, zwischen Haut und Anzug etwas zu legen, das den männlichen Intimbereich davor schützte, zum Teil des männlichen Äußeren zu werden. Die prosperierende Angestelltenkultur hatte zur Norm, daß der Mann nicht mit Genitalien konkurriert, sondern mit seinen Qualitäten im Kopf.
Den Männern dieser Jahre muß die Umgewöhnung von gediegener olfaktorischer Präsenz zu parfümierter (und medizinisch gesehen zu starker) Reinheit schwergefallen sein. 1968 wechselten, so Ingo Braun in seiner „Soziologie und Ökologie der Waschmaschine“, nur fünf Prozent aller deutschen Männer, aber 59 Prozent aller Frauen täglich ihre Unterhose. 1988 hatten sich die Werte verändert: Am meisten folgten Männer dem Gebot, „frisch und frei von Körpergeruch“ (Rexona- Werbung) den Tag zu beginnen.
Seit Anfang der achtziger Jahre hat sich das Bild vom Manne, nicht zuletzt dank Frauenbewegung und Yuppiekultur, heftig gewandelt; Struppis und Stinker konnten bei Frauen nicht mehr landen. Die Duft- und Textilindustrie hat auf diese Entwicklung mit einer Produktpalette reagiert, wie sie sich jeder Marktwirtschaftler in seinen schönsten Träumen ausmalen würde: ein völlig neues Marktsegment mit einer Prognose auf Milliardenumsätze. Mann hatte künftig sportlich zu sein. Zuerst war es von der Form der Slip, der mit dem Feinrippmodell um Käufer buhlte. Schließlich war es der bequeme und von den meisten Medizinern empfohlene Boxershort („Let it swing“), der Männer auch bei Unterhosen Akzente setzen ließ. Und: Die Unterwäsche war längst nicht mehr nur weiß. Waschmittel und Stoffbeschaffenheit zwangen niemanden mehr, die „Unaussprechlichen“ (Britanniens Königin Victoria) zu kochen, um Bakterien und Pilzkeimen den Garaus zu machen. In allen Farben und Mustern – Bären, Bienen, Rauten, Design noch und noch – kamen die Shorts und Slips auf den Markt. Das Wort „Schlüpfer“ hatte endgültig einen leichten Hautgout weg.
Damit allerdings war das Hauptproblem der Männer noch nicht aus der Welt geschaffen. Während Frauen durch allerlei Hilfen ihren sexuellen Reizen stets etwas aufzuhelfen wußten – Schaumgummieinlagen in Wonderbras beispielsweise –, war es Männern nach wie vor nicht vergönnt, trotz womöglich kleingeratener Dingelings ein größeres Modell vorzutäuschen.
Insofern ist das Modell des französischen Wäscheherstellers „HOM“ eine echte Neuerung, ja ein Angebot zur Demokratisierung der Formen. Der horizontale Schlitz und die darunter befindliche elastische Naht dienen ersten Berichten zufolge fast als Sack- und damit als Penishalter. Gisela Staupe, Kuratorin für Sonderausstellungen beim Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, will darin einen lobenswerten Rückschritt in ganz alte Zeiten erkennen: „Im 16. Jahrhundert zeigte der Adel mit den ersten Unterwäschemodellen, daß er sich abheben wollte. Die Leibwäsche war nicht versteckt.“ So führen es heute die Jünger des Designers Calvin Klein vor: Über der Hose lugt wie ein Siegel absoluter Coolness das Stretchband des CK-Slips hervor: Leibwäsche als schmückendes Accessoire.
Daß auf diese männerfreundliche Idee kein deutscher Modemacher gekommen ist, wundert im Lande der „Schiesser“ kaum (siehe Interview). Auch der zuerst bei schwulen Männern gebräuchliche Cockring (eine Art Eisenring um Skrotum und Penisschaft) wurde in Frankreich erfunden. Immerhin: Otto Kern, „Lifestylekonzeptionist“ aus Kaiserslautern, will demnächst mit dem Entwurf von nicht nur funktioneller Herrenunterwäsche beginnen: „Bodywear muß die Figur unterstreichen.“
Was für den Modemacher höherer Angestellter keineswegs heißen soll, daß Männer mit verlebten Körpern die Dessous nicht tragen sollten: „Das kann nur Ansporn sein, um aus sich etwas zu machen. Wenn es denn schön aussieht, hat sich das alles gelohnt.“ Frauen haben sich übrigens schon entschieden: 29 Prozent von ihnen mögen nach einer Forsa-Umfrage der Woche Männer am liebsten in bequemen Shorts, 18 Prozent nehmen die hermetischen Beutel der klassischen Unterhose in Kauf. Jan Feddersen
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