Das jährliche Kiezmonitorin zeigt: alles beim Alten: Arm bleibt arm

Die Lage in den Brennpunkten der Stadt ist stabil - besser wird sie nicht. Die Armut unter Kindern und Jugendlichen steigt. Das zeigt die jährliche Untersuchung der Kieze.

Kinderarmut ist nach wie vor ein gravierendes Problem in Berlin. Bild: AP

Die Kinderarmut steigt kontinuierlich an, in Brennpunkten sind vier Mal so viele Jugendliche arbeitslos wie anderswo, sozial schwache Viertel stagnieren: Was Ingeborg Junge-Reyer (SPD) am Donnerstag zu verkünden hatte, gab wahrlich keinen Anlass zum Feiern. Und doch zeigte sich die Stadtentwicklungssenatorin zufrieden über die Bilanz der jährlichen Datenerhebung zur sozialen Situation in der Stadt. "Die Schere klafft nicht weiter auseinander, unser Frühwarnsystem greift", sagte Junge-Reyer. Der Soziologe Hartmut Häußermann pflichtete ihr bei. Die Situation in den Problemkiezen habe sich nicht verschlechtert im Vergleich zum Vorjahr - das sei ein Erfolg. Häußermann und seine Mitarbeiter haben die Daten des Statistischen Landesamts aus dem Jahr 2009 für den Senat ausgewertet.

Sie unterteilen Berlin in 440 Planungsräume. Die bewerten die Stadtsoziologen nach sechs Indikatoren: Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Anteil der Aufstocker, Kinderarmut und der Migrantenanteil an unter 18-Jährigen. Daraus ergibt sich ein Entwicklungsindex.

Zehn Prozent der untersuchten Viertel vor allem in Mitte und Neukölln zählen zu den sozial sehr schwachen; Schlusslicht bilden der Moritzplatz, die Gegend um die Treuenbrietzener Straße, der Wassertor- und der Mehringplatz. Diese Viertel drifteten 2009 zwar nicht weiter ab, liegen aber abgeschlagen hinter der Gesamtstadt: Die Arbeitslosigkeit ist dort um mehr als die Hälfte höher als in Gesamtberlin; die Kinderarmut - das heißt Kinder, die von Hartz IV leben müssen - liegt bei 71,3 Prozent, berlinweit sind es 37,4 Prozent.

Die Zahl der Erwerbstätigen ist in Berlin und Brandenburg 2010 im Bundesvergleich am stärksten gestiegen. Innerhalb eines Jahres wuchs die Zahl der Beschäftigten um 1,0 Prozent auf 2.754.900 Personen. In Deutschland nahm die Zahl der Erwerbstätigen um 0,5 Prozent auf 40,48 Millionen Beschäftigte zu. Allerdings war der Zuwachs an Beschäftigten in Berlin und Brandenburg geringer als im Vorjahr. 2009 hatte die Zahl der Erwerbstätigen um 1,4 Prozent zugenommen. (dapd)

Letztere hat noch zugelegt, obwohl die Arbeitslosigkeit in denselben Vierteln abnahm: Die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt ist also kein Garant mehr für ein Ende der Armut. Oft reicht ein Job nicht mehr zum Leben. "Das untermauert die Forderung nach einem Mindestlohn", sagte Junge-Reyer.

Der Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen nannte die hohe Kinderarmut eine schwere Hypothek für die Zukunft. Die Grünen-Abgeordnete Claudia Hämmerling erklärte, der Senatorin fehlten die "klaren Zielvorgaben". Das Programm Soziale Stadt müsse ressortübergreifender als bislang organisiert werden. Die Lage verschlechterte sich vor allem für Jugendliche in Wedding und Moabit. Dort galten 2007 noch 62,1 Prozent der Jugendlichen als arm, 2009 waren es 63,7 Prozent. Ähnlich entwickelte sich das Viertel Spandau-Mitte: Dort erhöhte sich der Anteil an armen jungen Menschen von 51,8 auf 52,3 Prozent.

Entkräften konnte Junge-Reyer hingegen die sarrazinsche These, die Höhe des Migrantenanteils entspreche dem Unfang der sozialen Probleme. 43,1 Prozent aller Jugendlichen hatten Ende 2009 Migrationshintergrund. In manchem Brennpunkt liege diese Zahl deutlich darunter, sagte Soziologe Häußermann. Er verwies auf Gegenden in Hellersdorf, in denen vergleichsweise wenig Zuwanderer lebten und sich die Probleme trotzdem ballten. "Da braucht es andere Ansätze zur Erklärung."

Trotz der Stagnation belegen die Zahlen laut Häußermann den Erfolg von millionenschweren Sozial-Programmen, die das Land für Quartiersmanagement, Denkmalschutz und Bildungsangebote aufwendet. Noch im vergangenen Jahr befürchtete er, dass sich manche Viertel abkoppeln und der Stadt entziehen könnten - dieser Trend scheint gestoppt. Die Ankündigung der Bundesregierung, soziale Programme künftig weniger zu bezuschussen, seien vor diesem Hintergrund ein "herber Schlag", so Häußermann. Für Berlin geht es um fünf bis acht Millionen Euro weniger - von insgesamt geplanten 22 Millionen für 2011. "Die langsam aufgebaute Infrastruktur zur Eindämmung sozialer Probleme wird gefährdet." Junge-Reyer hofft, den Wegfall der Bundesmittel kompensieren zu können: Die Verhandlungen im Senat laufen.

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