: Das immergleiche Spiel
Der Filmemacher Laurentiu Damian über das rumänische Filmschaffen nach Ceausescu: Blockade der Etablierten ■ Von Roland Rust
Jedes Jahr im Juli treffen sich Rumäniens Filmschaffende in Costinesti zum „Filmfestival für die Jugend“. Das „Festivalul de Film Pentru Tineret“ — so der offizielle Titel der vor fünfzehn Jahren vom kommunistischen Jugendverband „U.T.C.“ ins Leben gerufenen Veranstaltung — fungiert seitdem in Ermangelung weiterer Festivals als nationales Filmtreffen. „Umsonst und draußen“ werden eine Woche lang die Highlights der einheimischen Produktion aller Genres einem vorwiegend jugendlichen Publikum im Amphitheater der Feriensiedlung am Schwarzen Meer vorgeführt. Ein unbestechlicher Härtetest, den in diesem Jahr nur wenige Kandidaten bestanden. Demonstrativ vergab die Jury unter Vorsitz der Filmkritikerin Manuela Cernat den Hauptpreis an einen Beitrag aus der Ex-Sowjetrepublik Moldawien („Und es wird sein...“ von Valeriu Jireghie), deren rumänischsprachige Produktionen seit neuestem in das Festivalprogramm integriert werden. Eine der Schlüsselfiguren im aufbrechenden Generationskonflikt des rumänischen Kinos ist der Filmemacher, Drehbuchautor und Hochschuldozent Laurentiu Damian. 1956 in Giurgiu geboren, arbeitete Damian nach seinem Studium an der Bukarester Akademie für Theater und Film (ATF), in den achtziger Jahren in den Sahia-Studios für Dokumentarfilm, bevor er 1991 zu seinem späten Spielfilmdebüt kam („Gottvergessen“, einziger rumänischer Beitrag im Panorama der diesjährigen Berlinale). Damian, neben seiner eigenen Filmarbeit an der Seite seiner Frau Anca Damian (Kamera) seit der Revolution auch Lektor an der ATF, stellte kürzlich auf dem 15. Festival von Costinesti seinen jüngsten Film „Weg des Hundes“ vor. Aus diesem Anlaß entstand das folgende Interview.
taz: Das Publikum in Costinesti reagierte in diesem Jahr zumeist ausgesprochen allergisch auf die gezeigten Filme. Sind die kritischen Stimmen tatsächlich symptomatisch für die gegenwärtige Stellung der meisten Zuschauer zum einheimischen Filmschaffen?
Laurentiu Damian: Das ist ganz richtig beobachtet, was auch an der Auswahl der Filme lag. Costinesti '92 ist aber auch nicht unbedingt als repräsentatives Festival anzusehen, sondern eher als die Bilanz eines Jahres. Und die fiel allein schon quantitativ so schlecht aus, daß tatsächlich nur zwei oder drei der allermiesesten Filme nicht mit hineingekommen sind. Sowieso wollte Costinesti nie mit „seriösen“ Filmfestivals wetteifern. Die Idee war einfach, einem jungen Publikum umsonst und unterhaltsam die neuesten Filme zu präsentieren. In der Vergangenheit hat das auch gut geklappt, wo die pausenlose kommunistische Propaganda im Fernsehen so ziemlich allen zum Halse heraushing. Nach der Revolution ist das plötzlich alles hinfällig geworden, und Costinesti wird das nicht länger ignorieren können. Das Interesse des Publikums ist erheblich zurückgegangen. Aber was kann man erwarten, wenn nicht einmal unter den Kollegen Interesse besteht?
Wie könnte der allenthalben spürbaren Unlust und Unzufriedenheit denn begegnet werden?
Als erstes muß die Programmauswahl drastisch verschärft werden. Dann müßten wichtige Leute aus dem Ausland hinzugezogen werden. Schließlich sollte das Festival außerhalb der Saison stattfinden, um nicht weiter in aussichtsloser Konkurrenz zum Strand aufzutreten. Im Moment dient es ja doch bloß dazu, mit Kind und Kegel auf Staatskosten für ein paar Tage ans Meer zu fahren. Wenn ich sehe, daß in Kürze einer der womöglich wichtigsten rumänischen Filme („Die Waage“ von Lucian Pintilie, in diesem Jahr offizieller Beitrag in Cannes; d.A.) in der Heimat erst aufgeführt wird — und es ist nicht die geringste Neugier oder gar Aufregung zu spüren...
Ursprünglich geht das Festival doch auf eine Initiative des Kommunistischen Jugendverbandes zurück?
Das stimmt. Aber dennoch war Costinesti gleichzeitig auch immer so etwas wie eine „kleine Résistance“ der Avantgarde. Obwohl früher die halbe Jury zum Kommunistischen Jugendverband zählte, konnte beispielsweise ein Mann wie Alexandru Tatos (ein prominenter oppositioneller Filmemacher der achtzigerJahre, gest. 1990; d.A.) seine Filme zeigen und sogar Preise gewinnen (woraufhin die Richtlinien für die Preisvergabe prompt „überarbeitet“ wurden; d.A.).
Auf den ersten Blick scheint das rumänische Filmwesen die Umbrüche der jüngsten Zeit doch relativ unbeschadet überstanden zu haben. Man spricht von fünfzehn bis zwanzig Spielfilmen, die zuletzt entstanden...
...aber nur auf dem Papier stehen. Von insgesamt siebzehn angekündigten Filmen sind überhaupt nur neun zu Ende gebracht worden. Davon wurden sieben für den Wettbewerb ausgewählt.
Und Debüts?
Im vergangenen Jahr gab es ganze drei Debüts. In diesem Jahr nur ein einziges, „Südpol“ von Radu Nicoara; zwei weitere sollen in Arbeit sein. Ich persönlich hatte das Glück, daß Sergiu Nicolaescu meinen neuen Film („Weg des Hundes“, ein ursprünglich von Nicolaescu begonnenes Projekt; d.A.) nachdrücklich unterstützte. (Nicolaescu, Filmemacher und einflußreicher Senator, leitet eines von fünf sogenannten „Produktionshäusern“, die mit staatlicher Hilfe über das Nationale Filmzentrum (CNC) „unabhängig“ Filme produzieren. d.A.) Die anderen Produzenten nehmen die staatlichen Gelder gewöhnlich, um ihre eigenen Filme zu machen. Wenn beispielsweise die bereitgestellte Summe für zwei Spielfilme ausreicht, so kommt zunächst der Direktor, dann sein Stellvertreter dran. Daß unter diesen Umständen gelegentlich auch Werke entstehen, die es tatsächlich wert waren, produziert zu werden, ist reiner Zufall.
Wie stehen dabei die Chancen des Nachwuchses, der doch bei Ihnen in die Lehre geht?
Offen gestanden: derzeit gleich null. Es gibt keine Chance, es sei denn, man findet Sponsoren. Das heißt, an alle Türen klopfen und einen langen Kampf aufnehmen. Irgendwie fühle ich mich selbst schuldig, bei einem System mitzumachen, wo am Ende nur arbeitslose Künstler entstehen.
Wie ist denn unter diesen Umständen die derzeitige Stimmung an der Filmhochschule?
Das Ganze geht ja bereits seit fünf, sechs Jahren so, ein immer gleiches Spiel ohne die geringste Chance. Die einzige Hoffnung wäre ein Engagement des Fernsehens oder ausländischer Investoren. Ich rate meinen Studenten, das Künstlerdasein sein zu lassen und echte Profis zu werden, die in der Lage sind, notfalls alles machen zu können. So ist übrigens auch die Ausbildung angelegt. Neben Regie, Kamera, Drehbuch und Filmkritik wollen wir versuchsweise künftig auch junge Produzenten heranbilden.
Woran liegt es, daß den jungen Leuten der Einstieg so schwer gemacht wird? „Mauern“ die erfahrenen Regisseure?
Tatsächlich existiert so eine Art Blockade der Etablierten. Ich sehe darin eine subtilere Form der früheren Filmpolitik unter dem Paravent des nationalen Films. Ein übler Trick, denn es geht einzig darum, mögliche Konkurrenten auszuschalten, sonst geriete das ganze System sofort außer Kontrolle.
Sollte nicht die Gründung von „Cinerom“ dem Dilemma ein Ende bereiten?
(entrüstet) „Cinerom“ sollte als erstes verschwinden! Die haben das Buftea-Studio zweigeteilt, was völlig absurd ist. Es ist gerade so, als würde man nach einer Scheidung das gemeinsame Domizil untereinander in Küche und Bad aufteilen. Selbst in der rumänischen Presse hat das sinnlose Splitting einen Skandal ausgelöst. Dahinter steht die Absicht der „Produktionshäuser“, sich vor Ablauf der Dreijahresfrist von der weisungs- und kontrollberechtigten Vereinigung der Filmemacher abzukoppeln, was darauf hinausliefe, mit staatlichen Subventionsgeldern eine Art Selbstprivatisierung durchzuziehen. Unter dem Vorwand, künstlerische Filme zu produzieren, soll letztlich ohne Kontrollmöglichkeit in die eigene Tasche gewirtschaftet werden.
Auf der Pressekonferenz zu Ihrem neuen Film, einer Kain-und- Abel-Geschichte zur Zeit der stalinistischen Zwangskollektivierung, zeigten Sie sich mit dem Ergebnis nicht recht zufrieden?
Den Weg, den ich bisher beschritten habe, werde ich verlassen, denn die Filme, die ich bislang gemacht habe, schicken mich zurück in die sechziger Jahre. Ein spezifisch rumänischer künstlerischer Evasionismus, der seinen Grund in der Jahrzehnte währenden Zensur hat, die zu einer regelrechten Flucht in die Metaphorik und Mehrdeutigkeit zwang. Das Drehbuch zu meinem nächsten Film habe ich selbst geschrieben, eine autobiographische Geschichte mit dem Titel „Haben wir wirklich gelebt?“. Was ich damit sagen möchte, ist, daß ich persönlich nicht mehr weiß, wer ich bin. Zuerst mußte ich die kommunistischen Führer verehren, allen voran natürlich Ceausescu, bis ich anfing, mir meine eigenen Gedanken zu machen und zwangsläufig zu revoltieren. So gesehen habe ich in meinem Leben mehr als nur die beiden leiblichen Eltern gehabt. Heute dagegen bin ich mehr oder weniger ohne Identität. Ein allgemeines Schicksal der Nach- Revolution, daß man nicht von heute auf morgen die Seiten wechseln kann, nur weil es opportun ist. Ich fühle, daß ich völlig von vorn anfangen muß, ohne zu verstehen, warum.
Erweist sich Ihre langjährige Arbeit im Dokfilm-Studio dabei im nachhinein als Handicap?
Nein. Ich stehe zu meinen Dok- Filmen, von denen einige ja Dokumentares und Fiktives mischen. Auch jetzt arbeite ich wiederum an einem Dokumentarfilm, „Glaube ohne Schloß“, über die Unzahl verwaister Kirchen im Lande. Nach der Revolution bin ich merkwürdigerweise regelrecht in religiöse Hysterie geraten. Ich glaube an Gott, nicht aber an die Mafia der Kirche.
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